Nachtdenken. Martina Bengert

Nachtdenken - Martina Bengert


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aus frisst sie sich in den Körper und sorgt letztlich für die Auslöschung der ganzen Imaginationsszene. Die Inkorporierung der Angst und des Begehrens erscheint dabei als bedrückende Belagerung des Körpers, bevor diese Körperlichkeit zurückgeführt wird auf die Wunde des Nacht-Gedankens. Denn es ist nun „sa pensée, confondue avec la nuit“,5 die Thomas heimsucht und von außen versucht, sich in den Körper zu inkorporieren und eine „union monstrueuse“ herzustellen. Anzumerken sei, dass sich diese monströse Vereinigung auch sprachlich im Personalpronomen „elle“ zeigt, bei dem unentscheidbar ist, ob es „la nuit“, „la pensée“ oder eben beides bezeichnet. Diese Figur einer kryptischen Selbstfundierung bewirkt unter den Augenlidern einen „regard nécessaire“, welcher im Kuss zur furiosen Auslöschung des „visage“ führt.6 Visage kann zweierlei meinen in diesem Kontext: zum einen Thomas’ Gesicht, dessen Oberflächen grotesk geöffnet werden, zum anderen aber das Gesicht (das Gesehene) der Imagination. Die Szenerie wird abgeräumt und entleert. Von der Krypta bleiben am Ende des Kapitels nur mehr die Spur (des Textes), ein paar versetzte Bäume und Thomas’ sinnloser, gedankenvoller Körper.

      3. Licht-Blick – Berührung des Anderen

      Das 3. Kapitel meiner Untersuchung steht im Zeichen des Blicks und der Wahrnehmung. Es enthält ein separates Unterkapitel zur Wahrnehmungstheorie Maurice Merleau-Pontys, auf dessen Trennung von Auge und Blick auch andere Kapitel immer wieder Bezug nehmen werden. Zudem liegt mein Augenmerk auf der Frage der taktilen Wahrnehmung, die Blanchot mit Merleau-Ponty dem Sehen annähert, sofern dem Blick – wenngleich auf Entfernung – ein taktiles Abtasten des erblickten Objektes zugeschrieben wird.

      Zum einen bedarf das Sehen eines physischen (übertragen auch eines denkerischen) Abstandes zwischen Betrachter und Betrachtetem, zum anderen überwindet das Sehen die Entfernung in einer Berührung auf Distanz.1 Während das analytisch begreifende Sehen auf der Unterscheidung von Subjekt (Betrachter) und Objekt (Betrachtetem) basiert, wird in Thomas l’Obscur das Begreifen zum Ergriffen-Werden durch das Objekt, wodurch sich die Subjekt-Objekt-Relation nicht nur verkehrt, sondern völlig in sich zusammenbricht. Basis des Sehens ist, wie die Kryptaerfahrung des 2. Kapitels gezeigt hat, das Nicht-Sehen – eine Schwärze oder Leere, in der es keine Möglichkeit zur Unterscheidung gibt bzw. jeder Versuch einer Differenzierung an der Unsichtbarkeit scheitert. Auch wenn das analytische Sehen Trennungen vollzieht, besteht über jeden Blick potentiell die Gefahr der Gegenreaktion des Erblickten, z.B. in Form des Zurückblickens, Blendens oder des Entzuges. Diese Umkehrbewegung betitelt Blanchot in seinen theoretischen Schriften in L’espace littéraire als Faszination.2 Sie bildet eine durchgängige Makrostruktur der Begegnung in Thomas l’Obscur. Auf einen in Bezug auf das Subjekt sehr bedrohlichen Aspekt der Faszination wird das 4. Kapitel näher eingehen.

      Das vorliegende Kapitel wendet sich der Faszination als Grundlage einer wesentlich phänomenologisch geprägten Blicktheorie zu. Welche Rolle dieses Blicken für die Begegnung von Thomas mit der zweiten Figur – Anne – einnimmt, soll unter anderem anhand ihres Eigennamens untersucht werden, nicht zuletzt, weil über die Aussprache des Eigennamens eine unmittelbare Verbindung oder Berührung möglich ist, die dem Sehen das Hören beifügt. Im Falle von Thomas wird sein Name über die Frage der Berührung mit seinem biblischen Namensgenossen, Thomas dem Ungläubigen, sowie dem Thomas der apokryphen Thomas-Schriften verknüpft.

      3.1 Annäherung

      Das 3. Kapitel von TO2 ist gerahmt durch den Eintritt Thomas’ in ein Hotel und dessen Speisesaal mit dem Ziel der Nahrungsaufnahme in Form eines Abendessens zu Beginn des Kapitels und dem Verlassen dieses Gesellschaftsraums am Ende des Kapitels. Man erfährt, dass Thomas am Nachmittag schwimmen war, wodurch eine etwas genauere zeitliche Fixierung des Schwimmens im 1. Kapitel möglich ist und ein Bezug des 3. Kapitels zum 1. Kapitel hergestellt wird, welcher strukturell zusätzlich in der Bewegung des Eintritts und Austritts das Wasser mit dem geschlossenen Raum verschränkt.

      Thomas trägt die Einschreibung der anderen Nacht als Spur der Krypta-Erfahrung in sich und erprobt aus dieser „nouvelle manière d’être“ heraus, wie die anderen Hotelgäste auf ihn reagieren.1 Seine neue Art des Seins bedeutet, dass er, so meine These, in der (Wieder-)Annäherung an die (Sprach-)Gemeinschaft alle Phasen der frühkindlichen Entwicklung der Sprache durchleben muss. Die erste dieser Phasen ist der akustische Kontakt, d.h. das Hören von zunächst undifferenzierten Geräuschen, die noch nicht an ein Objekt gekoppelt werden können.2 Nachdem Thomas einige Schritte in den Raum gewagt hat, konzentriert er sich zunächst auf seine auditive Wahrnehmung mit dem Ziel, auf diese Weise mit der Umwelt in Kontakt zu treten. Dieses genaue Hinhören ist jedoch nicht auf ein Objekt bezogen, sondern intransitiv: „D’abord il prêta l’oreille; il y avait un bruit confus, grossier, qui tantôt s’élevait avec force, tantôt s’atténuait et devenait imperceptible […] c’était un bruit de conversation […].“3 Aus dem lärmend-chaotischen Rauschen filtert Thomas langsam verständliche Lautketten heraus, die eine weitere physische Annäherung seinerseits bewirken. Isotopisch ist das Feld der Kommunikation in Ausdrücken wie „conversation“, „langage“, „des mots très simples qu’on semblait choisir pour qu’il pût les comprendre“, „interpeller“, „dire“, „On lui fit signe“, „invitation“, „On l’appela plus fort“, „entretien“ innerhalb weniger Zeilen unübersehbar realisiert.4 Mit anderen Menschen in Verbindung zu treten, d.h. zu interagieren, ist alles andere als selbstverständlich für Thomas. Es ist vielmehr ein Akt der ständigen Überwindung, Rücknahme, Korrektur und des Versuchens, denn die Kommunikation bedeutet eine Begegnung mit dem Anderen und als solche auch eine mit der anderen Nacht, sofern diese „die Leere des Zwischen“ von Ich und Anderem ist.5 Sofern sie dies ist, verschieben sich in ihr alle Verhältnisse permanent. Nähe ist nur durch Entfernung möglich, da allein die Distanz eine Selbstwahrnehmung wie eine Fremdwahrnehmung ohne sofortige Aneignung des Anderen ermöglicht.

      Wie der Text im Weiteren vorführt, benötigt Thomas für die Möglichkeit einer Begegnung mit den anderen Menschen im Raum deren Bereitschaft, ihm offen und positiv entgegen zu treten, wenngleich er ihnen eine gewisse Hinterhältigkeit unterstellt, die sein Vertrauen zügelt. Zunächst einmal muss Raum geschaffen werden, der es ihm rein physisch ermöglicht, auf einem von einer betagten Dame verlassenen Stuhl Platz zu nehmen, um einen Ausgangspunkt der Kommunikation zu schaffen. Der leere Stuhl, den er sehr schnell besetzt, markiert auf der Ebene des Sprachlichen eine Lücke in der symbolischen Ordnung, in die Thomas als Fremder eindringt. Im Zuge seiner Selbstverortung und Orientierung am Tische wird Thomas seiner direkten Tischnachbarin gewahr, die er fasziniert betrachtet, zu der er jedoch auch im weiteren Verlauf nichts sagen wird, da er einen leeren, begehrenden Blick ohne Stimme verkörpert.

      3.2 Der leere Blick – Faszination

      Sein Betrachten ist einnehmend und invasiv. Thomas fixiert seine unmittelbare Tischgenossin, da diese von einem prächtigen Licht umgeben ist: „Il continua cependant à la fixer, car toute sa personne, éclairée d’une lumière superbe, l’attirait.“1 Es ist nicht klar, welcher Natur dieses Licht ist, ob es von einer Lichtquelle außerhalb der Tischnachbarin stammt oder ihrem Innerem entspringt. In jedem Fall bewirkt es, dass Thomas in den Sog der Anziehungskraft der Frau gerät und auf diese Weise durch seinen Blick an sie gebunden ist. Das Fasziniertsein ist eine exklusive Bindung, die keine Störung von außen duldet, welche potenziell die Begegnung unterbrechen oder gefährden könnte. Als jemand schließlich wagt, über die – eine Reaktion provozierende – Benennung der Frau mit dem Namen Anne in die Relation zwischen ihr und Thomas einzugreifen, muss dieser handeln, um Schlimmeres zu verhindern. Sein mächtiger Schlag auf den Tisch verschreckt die anderen Hotelgäste nicht nur aufgrund der impliziten Gewalt, die in ihm verborgen ist, sondern auch bedingt durch den Verstoß gegen die Struktur der symbolischen Ordnung, in die Thomas Zutritt zu erlangen sucht.2 Der Schlag ist als nichtsprachlicher Akt eine Gefährdung dieser Ordnung, deren Zugänge sich als Konsequenz aus dem Übergriff verschließen und Thomas, der die andere Nacht erfahren hat, isolieren. Um aus dieser Einsamkeit und Kommunikationslosigkeit herauszukommen, greift Thomas zu einem, den Schlag noch steigernden, leeren, dabei alles und nichts fixierenden invasiven Blicken:

      C’est alors que Thomas, pour brusquer


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