Jean Genet und der revolutionäre Diskurs in seinem historischen Kontext. Sara Izzo
sich vor allem durch seine Kommentierung des Gewaltkonzeptes in Fanons erstem Kapitel offenbart.
Auch Genets erstes Vorwort zu George Jacksons Gefängnisbriefen wird durch jene Scharnierstellung determiniert, welche die Vorrede zwischen Haupttext und Leserkreis einnimmt. Wenn sich Sartre selbst jedoch jenem „nous“ zurechnet, mithilfe dessen er die potentiellen europäischen Leser adressiert, vermittelt Genet zwischen zwei Lagern, ohne jedoch sich selbst mit dem „vous“ zu identifizieren, das er auf diejenigen Leser anwendet, welche den Erfahrungshorizont Jacksons nicht teilen. Jene Haltung der offenen Distanzierung vom Leser knüpft an die narrative Struktur seiner frühen Romane an, in denen er gleichsam unter Rekurs auf die Personal- und Possessivpronomen „vous“ bzw. „votre“ eine Demarkation zur normierten Welt außerhalb von Kriminalität und Gefängnis markiert. Genet erhebt die im Gefängnis oder in der Reklusion entstandenen Texte, denen auch Jacksons Buch angehört, zu einer eigenen literarischen Kategorie, deren verbindendes Merkmal sich in einer Gleichgesinntheit zeige:
Si une même complicité noue les œuvres écrites en prison ou dans les asiles (Sade et Artaud se rejoignent dans la même nécessité de trouver en eux-mêmes ce qui, pense-t-on, doit les conduire à la gloire, c’est-à-dire, malgré les murs, les fossés, les geôliers et la magistrature, dans la lumière, dans des consciences non asservies), ces œuvres ne se rencontrent pas dans ce qu’on nomme encore la déchéance: se cherchant elles-mêmes à partir de cette déchéance exigée par la répression sociale, elles se découvrent des points communs dans l’audace de leur entreprise, dans la vigueur et la justesse de leurs idées et de leurs visions.17
Wie in diesem Zitat deutlich wird, präsentiert sich Genets Vorwort als Literaturkritik, und er selbst figuriert als „‚parrain‘ littéraire ou idéologique“18 im Sinne Genettes, eine Rolle, zu der ihn seine eigene Gefängniserfahrung prädestiniert. Das Identifikationsmoment liegt für Genet folglich hier weniger im Programm der Black Panthers oder in der Problematik des Rassismus als in der literarischen Aufarbeitung jenes Momentes der Reklusion, welche an eine ganze literarische Tradition anknüpft, die auch durch sein eigenes Frühwerk repräsentiert wird. Es scheint daher kaum verwunderlich, dass auch seine beiden anderen Vorworte in den Kontext des Gefängnisses zu rücken sind. Damit unterscheidet sich Genets Initiative als préfacier maßgeblich von jener Sartres, wie sie in seinem Vorwort zu Les damnés de la terre manifest wird. Sartre rechtfertigt seine mithilfe des Vorwortes operierende Vermittlung, indem er auf einen ethisch intendierten Bewusstwerdungsprozess der europäischen Bevölkerung abzielt, wohingegen Genet sein Vorwort auf Basis seiner Affinität zur Thematik des Gefängnisses als Literaturkritik verfasst. Dadurch nimmt Genet eine ambigue Position ein, insofern in seinem Vorwort Jacksons politische Forderungen und dessen poetisches Konzept gleichgewichtet behandelt werden, denn, wie Genet betont, „Jackson est poète, mais il encourt la peine de mort.“19 Über die Darstellung der gesellschaftspolitischen Situation der Afroamerikaner in den USA hinaus erläutert Genet den für ein im Gefängnis entstandenes literarisches Werk eigentümlichen Stil und hält für jene „lecteurs non réprouvés, qui jamais n’ont été et n’iront en prison“20 einen Lektüreschlüssel bereit. Par excellence wird in diesem Text die Verquickung von Poesie und Politik inszeniert, durch welche auch Genet sein eigenes politisches Engagement legitimiert.21 So beschreibt er den „génie poétique“ als Quelle jeder revolutionären Unternehmung:
Si l’on accepte cette idée, que l’entreprise révolutionnaire d’un homme ou d’un peuple a sa source en leur génie poétique, ou, plus justement, que cette entreprise est la conclusion inévitable du génie poétique, il ne faut rien rejeter de ce qui permit l’exaltation poétique.22
Die unwissende Leserschaft warnt Genet vor, dass ihr der Inhalt von Jacksons Werk unmoralisch erscheinen könne, und er begründet dies mit den Worten, „c’est parce que l’œuvre tout entière refuse votre morale“23. Im Unterschied zu Sartre identifiziert sich Genet in seiner Vermittlerrolle nicht mit den Adressaten, sondern mit dem Autor, dessen Werk er nicht mit dem erklärenden Anspruch einer moralischen Instanz, sondern aufgrund seiner persönlichen Erfahrung kommentiert. Die Situation dieser Mediation zwischen Autor und Leserschaft durch die Gitterstäbe der Gefängniszelle hindurch, denn „c’est donc derrière une grille, seule acceptée par eux, que ses lecteurs […] devineront l’infamie“24, soll im Nachfolgenden vor dem Hintergrund des von Foucault gegründeten Groupe d’information sur les prisons und dem darin operationalisierten Konzept des Gegen-Diskurses näher beleuchtet werden. Zusammenfassend muss Genets offene Konkurrenz zu Sartre betont werden, auf dessen Interventionsmodell er stets negierend rekurriert. Als Mediator agiert er zwar strategisch für die politischen Zielsetzungen der Black Panthers, verortet sich selbst dabei jedoch nie eindeutig in deren oder etwa im intellektuellen Lager. Im textuellen Zwischenraum des Vorwortes für George Jackson positioniert er sich insbesondere durch die gemeinsame Gefängniserfahrung auf der Seite des Autors.
2.2.2 Genet und Foucault: Kooperation im ‹Groupe d’information sur les prisons›
Genet und Foucault verbindet eine ähnlich konfliktreiche Beziehung, wie Didier Eribon in seiner Biographie über Michel Foucault berichtet.1 Die Kontaktaufnahme zwischen Genet und Foucault in Hinblick auf die gemeinsame Publikation einer Broschüre des Groupe d’information sur les prisons (G.I.P.) zur Ermordung George Jacksons im Gefängnis von San Quentin im Sommer 1971 erfolgt durch die Vermittlung von Catherine von Bülow, die zu diesem Zeitpunkt bei Gallimard angestellt ist. Neben dieser kurzzeitigen Kooperation im Rahmen des G.I.P. sind beide – neben unter anderem Sartre – Mitbegründer des Komitees Djellali, an dessen antirassistischen Aktionen von Bülow erinnert.2 Eribon betont die Anerkennung, welche Foucault Genets Werk und seiner Persönlichkeit zollt.3 Zeugnis seines frühen Interesses an dessen Werk ist beispielsweise die Lehrveranstaltung an der Universität Uppsala zur Thematik der Liebe in der französischen Literatur von Sade bis Genet,4 deren Unterlagen jedoch dort nicht mehr auffindbar sind.5 Auch in den Jahren der Zusammenarbeit bringt Foucault seine frühe Wertschätzung für Genet zum Ausdruck: „Je suis comme tout le monde. J’ai lu Jean Genet quand j’étais jeune, et j’ai été, comme beaucoup de gens, extraordinairement bouleversé. Le Journal du voleur est à coup sûr l’un des très grands textes.“6 Foucault bewundert nicht nur Genets schriftstellerische Leistung, sondern betont auch seine Qualitäten als Mensch und als Revolutionär:
Il s’est trouvé que j’ai connu Genet, personnellement, dans des conditions tout à fait autres, et hors du contexte, justement, écrivain, écriture. C’était à propos des Black Panthers, à propos des trucs politiques, et on s’est pas mal liés. On se voit très souvent, enfin, quand il est à Paris, on se voit tous les deux ou trois jours. On bavarde, on se promène. C’est un homme dont je ne peux pas dire qu’il m’impressionne. Si je l’avais connu à l’intérieur de l’institution littéraire, il m’aurait sans doute profondément intimidé. Mais la simplicité avec laquelle il s’est mis à travailler sur des choses politiques et, en même temps, son sens politique très profond – cet homme est profondément révolutionnaire, dans tous les instants de sa vie, dans le moindre de ses choix – sont évidemment impressionnants et donnent à ses réactions une justesse profonde, quand bien même elles ne sont pas formulées directement.7
Die von Foucault hier geschilderte Verbundenheit bleibt jedoch ein kurzes Intermezzo, wie Eribon herausstellt:
Les liens entre Genet et Foucault se distendront bien vite et ils ne se verront plus après ces quelques épisodes militants: Genet, en fait, ne se privait pas, selon plusieurs témoignages, de tenir des propos assez sarcastiques sur Foucault, à cette époque où il leur arrivait de se côtoyer, et, de son côté, Foucault ne conservera pas l’admiration qu’il avait éprouvée dans sa jeunesse pour l’auteur du Journal du voleur.8
Diese offenbare plötzliche Missstimmung zwischen Genet und Foucault ließe sich ähnlich wie in der Beziehung zwischen Genet und Sartre auf die Divergenzen im palästinensisch-israelischen Konflikt zurückführen, muss jedoch auch relativiert werden. So berichtet Tahar Ben Jelloun, zu dem Genet nach Erscheinen von dessen erstem Roman Harrouda 1973 Kontakt aufnimmt, dass Genets paradoxes Verhältnis gegenüber Foucault vielmehr aus einem Spannungsverhältnis