Jean Genet und der revolutionäre Diskurs in seinem historischen Kontext. Sara Izzo

Jean Genet und der revolutionäre Diskurs in seinem historischen Kontext - Sara Izzo


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(GP) und damit den Ursprung der Gruppierung,9 jedoch „avec ce iota de différence que se devaient d’introduire les intellectuels.“10

      Jean Genets Partizipation im G.I.P. wurde in der bisherigen Forschung weitestgehend ausgeblendet,11 was dadurch begründet werden kann, dass Genets Interesse im Aktionszeitraum von 1970 bis 1972 vornehmlich den Black Panthers in den USA gilt. Interferenzen zwischen seinem Engagement im G.I.P. und seiner Unterstützung der Black Panther Party in den USA resultieren aus den gemeinsamen historischen Rahmenbedingungen. Die in den frühen 1970er Jahren erstarkende staatliche Repression widerständiger Protestgruppen und -bewegungen mittels juristischer Direktiven determiniert nämlich einen politischen Wirkungskreis, in dem sich zeitpolitische mit juristischen Diskursen überlagern. Ebendieses Phänomen ist auch in Genets politischen Schriften zu beobachten, wobei jene für den G.I.P. verfassten Texte und weitere darüber hinaus entstandene mit analoger diskursiver Thematik voneinander zu differenzieren sind. Genet nimmt in gewisser Weise eine Mittlerrolle zwischen den Aktionen des G.I.P. und dem Kampf der Black Panthers in den USA ein, wovon die beiden im Kontext des G.I.P. entstandenen Texte zeugen, nämlich jener zur Revolte der Inhaftierten im US-amerikanischen Gefängnis von Attica12 sowie das bereits erwähnte Vorwort13 zur dritten der insgesamt vier vom G.I.P. herausgegebenen Broschüren mit dem Titel L’Assassinat de George Jackson vom 10. November 1971.

      Es ist kein Zufall, dass allein sein Text zu der für die Gründung des G.I.P. grundlegenden Fragestellung einer Trennung von politischen und gewöhnlichen Strafgefangenen unveröffentlicht bleibt.14 Wie Edmund White berichtet, lehnte Genet die Publikation mit der Begründung ab:

      I don’t want to publish anything about France. I don’t want to be an intellectual. If I publish something about France I’ll strike a pose as an intellectual. I am a poet. For me to defend the Panthers and the Palestinians fits in with my function as a poet. If I write about the French question I enter the political field in France – I don’t want that.15

      Genet verdeutlicht hier, dass sein Engagement für die Black Panthers und die Palästinenser seiner Funktion als Poet entspricht, wohingegen jegliche Publikation über Frankreich dem Funktionsbereich des Intellektuellen zufällt. Obwohl er damit eine Positionierung als Intellektueller eindeutig zurückweist, lassen sich Affinitäten zu Foucaults Aktionsform feststellen, die ihm nicht nur eine Plattform bietet, um auf den latenten und manifesten Rassismus der amerikanischen Gesellschaft und die Probleme der Black Panthers aufmerksam zu machen, sondern ihn in ein spezifisches Konzept des Engagements und des Informationsflusses integriert. Auch wenn Neutres grundsätzlich zu Recht konstatiert, dass Genet „[à] la différence du projet intellectuel de Foucault, […] ne s’est jamais envisagé, dans sa littérature comme un philosophe-journaliste“16, wirft seine Feststellung insofern Widersprüche auf, als er zwischen literarischen und politischen Texten differenziert. Seine Aussage, dass Genet in seinen literarischen Texten nicht den Anspruch eines radikalen Journalismus vertritt, erscheint somit hinfällig. In Analogie zu Foucaults Autodenomination als „philosophe-journaliste“17 könnte Genet als ‚poète-journaliste‘ bezeichnet werden, dessen journalistisches Konzept jedoch nicht aus einem philosophisch-theoretischen Postulat der Wissensproduktion heraus entsteht, sondern aus einer poetischen Vision. Die Hinwendung zur Aktualität sowie die Kritik an den Institutionen verbindet beide, doch setzen sie dabei unterschiedliche Akzente, wie die nachfolgende Gegenüberstellung zeigen soll.

      Wie bereits herausgestellt, kennzeichnen sich Jean Genets pragmatische Texte aus der Zeit um 1970 durch ihre Sachbezogenheit. Seine Reden und Texte für die Black Panthers dienen der Mobilisierung und regen zu zukunftsorientierten Handlungen („actes pleins“, „actes réels“) an, welche von symbolischen und idealistischen Gesten („gestes creux“, „gestes symboliques“) abgegrenzt werden.18 Das Konzept der realen Handlung selbst weist im Gegensatz zur Symbolik eine futurische Zeitform auf: „Les symboles renvoient à une action qui a eu lieu, non à une action qui sera.“19 Diese futurische Ausrichtung nimmt im Fall der revolutionären Handlung den Charakter eines Neubeginns der Welt an: „Aussi tous les actes révolutionnaires ont une fraîcheur du commencement du monde.“20 Insbesondere die frühen Reden Genets für die Black Panthers, so die Rede zum Ersten Mai, der Brief an die amerikanischen Intellektuellen oder die Ansprache im Massachusetts Institute of Technology, betonen die Verankerung im Hier und Jetzt. Die darin praktizierte, repetitive Verwendung der Adverbialpronomen der zeitlichen und örtlichen Bestimmung „ici“, „maintenant“ und „aujourd’hui“ indiziert die Vordringlichkeit der Problematik und des Handelns.

      Auch für Foucault ist gerade die Prävalenz der Aktualität ein maßgebliches Kriterium zur Definition seines Konzeptes des radikalen Journalismus: „Je me considère comme un journaliste dans la mesure où ce qui m’intéresse, c’est l’actualité, ce qui se passe autour de nous, ce que nous sommes, ce qui arrive dans le monde.“21 Die mit Nietzsche einsetzende Hinwendung der Philosophie zur gesellschaftspolitischen Aktualität basiere auf der Vorstellung einer offenen Zukunft, wie Foucault erläutert: „Le futur est la manière dont nous réagissons à ce qui se passe, c’est la manière dont nous transformons en vérité un mouvement, un doute. Si nous voulons être maîtres de notre futur, nous devons poser fondamentalement la question de l’aujourd’hui.“22 Diese transzendentalphilosophisch anklingende Vorstellung der Transformierbarkeit von Zukunft muss jedoch vor dem Hintergrund des im Gründungsmanifest des G.I.P. geäußerten Projektes der Aufklärung und unmittelbaren Information über kritikwürdige, reale Zustände verstanden werden, worin die Quintessenz seines Konzeptes des radikalen Journalismus liegt: „Nous voulons seulement faire connaître la réalité. Et la faire connaître immédiatement, presque au jour le jour; car le temps presse. Il s’agit d’alerter l’opinion et de la tenir en alerte. Nous essaierons d’utiliser tous les moyens d’information […].“23 Foucaults radikaler Journalismus zielt auf die Produktion einer gesellschaftskritischen Gegeninformation ab, die in der unmittelbaren Gegenwart verankert ist. Die Radikalität beruht auf einem Bestreben, die nicht tolerierbaren Zustände an der Wurzel anzugreifen und die Probleme somit nachhaltig zu lösen. So postulieren Foucault und Genet die Vordringlichkeit des Handelns, um eine Sensibilisierung für die Problematik und eine gesellschaftliche Veränderung zu bewirken. Foucaults Verständnis von Politik manifestiert sich jedoch nicht in der Idee einer Revolution, sondern im Prinzip der Eruption einer unbekannten Kraft, wie es Artières/Potte-Bonneville als symptomatisch für Foucaults Rolle als Intellektueller beschreiben: „[…] Foucault se défait de l’idée de révolution au profit de la notion d’émergence ou d’éruption de forces.“24 Anzumerken ist auch, dass Foucault seine Vision einer eruptiven, aufspringenden Kraft besonders eindrücklich in Hinblick auf George Jacksons Erfahrung im Gefängnis schildert. Das Gefängnis, von dem Jackson Zeugnis ablegt, wird als „un lieu où naissent et se manifestent des forces, un lieu où se forme de l’histoire, et d’où le temps surgit“25 beschrieben. Er bewertet den Raum der gesellschaftlichen Exklusion als Motor der Geschichte, ohne dabei jedoch auf das Prinzip der Revolution bzw. der gesamtgesellschaftlichen Umwälzung zu rekurrieren. Hinter dem abstrakten Begriff der eruptiven Kraft verbirgt sich Foucaults Konzept des Gegen-Diskurses, welcher sich aus den Gefängnissen heraus gegen den Diskurs der Macht konstituiert und in der Folge näher beleuchtet wird. Der Begriff der Macht ist in dieser Epoche für Foucault institutionell besetzt.

      Anders als Foucault sympathisiert Genet in seinen Texten und Reden um 1970 mit der Idee einer Revolution, insofern sie jedoch auf dem Prinzip einer poetischen Vision und Negation der Gesellschaft beruht:

      Si je suis sincère, je dois dire que ce qui m’a touché d’abord, ce n’est pas leur souci [des Panthères Noires, S.I.] de recréer le monde. Bien sûr, ça viendra et je n’y suis pas insensible, mais ce qui m’a fait me sentir proche d’eux immédiatement, c’est la haine qu’ils portent au monde blanc, c’est leur souci de détruire une société, de la casser.26

      Während Foucault die Produktion einer insbesondere vom Gefängnis ausgehenden eruptiven Kraft ansteuert, um die gesellschaftliche Ordnung aufzubrechen, identifiziert sich Genet mit einer destruktiven, gegen die Gesellschaft gerichteten Energie. Diese Negation nimmt vor allem im Appendix seiner „May Day Speech“, welcher der Publikation des Artikels im City Lights Verlag beigefügt wurde, eine


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