Jean Genet und der revolutionäre Diskurs in seinem historischen Kontext. Sara Izzo
Gefängnisbriefe, dass Genet mit deren Bewertung als „livre révolutionnaire“21 zusätzlich an ein anderes politisches Konzept anknüpft. Tatsächlich stehen bei ihm Poesie und Revolution in einem eigentümlich interdependenten Verhältnis, wodurch eine Verquickung von Ethik und Ästhetik stattfindet, die auch in seinem Projekt der Korruption von Sprache erkennbar wird und im Anschluss analysiert werden soll. Über die Tatsache hinaus, dass ein Gegen-Diskurs produziert wird, hinterfragt er insbesondere die Modalitäten dessen Verbalisierung. Genets Postulat einer neuen Ausdrucksform wird zum ersten Mal als Appell in seinem Brief an die amerikanischen Intellektuellen formuliert: „Je crois que le temps est venu d’user d’un vocabulaire également neuf et d’une syntaxe capable de rendre chacun attentif au double combat, poétique et révolutionnaire, des mouvements qui sont chez les Blancs comparables à ceux des Black Panthers.“22 Diese Sprachreflexivität bringt die Vorstellung einer Anpassung der Sprache an die sozialen Umwälzungen zum Ausdruck. So bemerkt Genet in demselben Text, dass sich aus der poetischen Vision der afroamerikanischen Bevölkerung ein politischer Gedanke entwickelt habe. Und dieser müsse vermittels einer neuen Sprache verbalisiert werden. Solange müssten einige Worte in Verwendung bleiben, bis diese dann in einer neuen Sprache aufgehen könnten: „Il est bien évident que je n’écrirais pas cela si la révolution planétaire avait eu lieu: certains mots, maintenant doivent être repris, d’autres supprimés plus tard obligeant à un langage nouveau.“23 Hier zeigt sich, dass Genet 1971 von einer Situation des Übergangs in eine Revolution und somit des akuten Kampfes ausgeht, die sich in einer spezifischen Ausdrucksform äußert, welche er als poetisch klassifiziert.
2.2.2.3 Jean Genet und die poetische Strategie der ‚corruption du langage‘
In seinem Interview mit Michèle Manceaux am 10. Mai 1970, das der Popularisierung der Black Panthers und des kurz zuvor in Paris für sie gegründeten Aktionskomitees dienen sollte, synthetisiert Genet die Hauptaspekte seines politischen Engagements. Auf die Frage, was ihn mit der Bewegung der Black Panthers verbindet, antwortet Genet:
Si je suis sincère, je dois dire que ce qui m’a touché d’abord, ce n’est pas leur souci de recréer le monde. Bien sûr, ça viendra et je n’y suis pas insensible, mais ce qui m’a fait me sentir proche d’eux immédiatement, c’est la haine qu’ils portent au monde blanc, c’est leur souci de détruire une société, de la casser. Souci qui était le mien très jeune mais je ne pouvais pas changer le monde tout seul. Je ne pouvais que le pervertir, le corrompre un peu. Ce que j’ai tenté de faire par une corruption du langage, c’est-à-dire à l’intérieur de cette langue française qui a l’air d’être si noble, qui l’est peut-être d’ailleurs, on ne sait jamais.1
Er unterscheidet hier zwischen jener pessimistischen und negativen Phase des Hasses und des Wunsches nach der Zerstörung der Gesellschaft und jener konsekutiven, positiven und zukunftsorientierten Phase der Schaffung einer neuen Welt, welche im Zusammenspiel implizit das Konzept der Revolution wiedergeben. Das bindende Element zwischen ihm und den Black Panthers wird dabei durch erstere Phase der Negativität repräsentiert, die Genet mit seinem eigenen frühen literarischen Werk in Verbindung setzt. Das negative Ziel der Zerstörung der Gesellschaft tritt in seinem poetischen Projekt der Perversion und Korruption von Sprache zutage.
Diesen Mechanismus der Perversion und Korruption von Sprache kommentiert Foucault in einem Gespräch mit japanischen Moderatoren über die vermeintlich subversive Kraft von Literatur im Dezember 1970. Einer seiner Gesprächspartner zitiert aus dem Gedächtnis eine öffentliche Stellungnahme Jean Genets, die sinngemäß Ähnlichkeiten mit der gegenüber Michèle Manceaux geäußerten Vision einer Korruption der Sprache aufweist. Statt der Perversion und Korruption der Sprache ist hier die Rede von einer Fäulnis und Zersetzung der Sprache, „pourrir le français“2. Foucault bietet zwei Interpretationsmöglichkeiten für diese Formulierung an. Im ersten Fall bezieht er den Mechanismus auf den literarischen Einsatz eines sozial bedingten Idiolektes, des Argots: „S’il s’agit d’introduire dans la langue française, dans le langage littéraire des tournures qui n’ont pas encore acquis droit de cité, alors il [Genet, S.I.] ne fait que poursuivre le même travail que Céline, pour prendre un exemple du passé.“3 Wie auch Eribon betont, distanziert sich Foucault von einer solchen literarischen Vision und spricht ihr jegliches revolutionäres Ausmaß ab,4 bietet jedoch eine zweite Deutung an:
Mais si la formule ‚pourrir le français‘ signifie que le système de notre langage – à savoir comment les mots fonctionnent dans la société, comment les textes sont évalués et accueillis et comment ils sont dotés d’une efficacité politique – doit être repensé et réformé alors, bien sûr, le ‚pourrissement du langage‘ peut avoir une valeur révolutionnaire.5
Genets politische Strategie der inneren Zersetzung von Sprache hat für Foucault insofern eine revolutionäre Wertigkeit, als ein systemisches Umdenken der gesellschaftlichen und politischen Funktion von Sprache und Texten angestrebt wird, wie er selbst es in anderer Form im Gegen-Diskurs experimentiert. Wie Genet bewertet auch Foucault tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen als Prämisse für einen grundlegenden sprachlichen Wandel, der sich letztlich als Wirkung und Konsequenz eines zunächst auf politischer Ebene besiegelten Umbruchs manifestiert:
Mais […] la situation globale du langage et des différentes modalités que je viens d’évoquer ne peut être réformée que par une révolution sociale. En d’autres termes, ce n’est pas par un pourrissement interne du langage que la réorganisation globale, la redistribution globale des modalités et des valeurs du langage peuvent être opérées. Mais c’est par une reforme en dehors du langage.6
Foucault und Genet sind sich somit beide der dezidierten Wirkungschancen einer rein auf sprachlicher Ebene realisierten Umwertung des Systems bewusst und betonen die Notwendigkeit außersprachlicher Umbrüche. Dabei unterscheidet jedoch Genet stärker zwischen poetischer Negation7 und politischer Affirmation. Auch wenn erst eine gesellschaftliche Revolution einen umfassenden sprachlichen Wandel bewirken kann, spiegelt sich doch für Genet das revolutionäre Potential einzelner Bewegungen in deren poetischer Vision wider, die als gesellschaftliche Kommunikationsform zum Ausdruck kommt. So bezeichnet er die Black Panthers als poetische Bevölkerungsgruppe mit einem natürlichen Sinn für Poesie:
They [the Black Panthers, S.I.] are a poetic people. Black people in America seem to have a natural poetic sense, and the discoveries they’ve made about how to struggle politically lean curiously on a poetic sentiment about the world. Maybe I’m wrong, but I think those things are linked, politics and poetry. I think political reflection is integral to poetic comprehension and vice versa. It’s something about the world black people live in; their political perspicacity comes out of looking at their world poetically.8
Einen Schlüsseltext in diesem Zusammenhang konstituiert sein Vorwort zu den Gefängnisbriefen George Jacksons, welches Genet wenige Monate nach seinem Interview mit Michèle Manceaux im Juli 1970 redigierte und das bereits unter dem Aspekt seiner Rolle als préfacier beleuchtet wurde. Als literaturkritischer Kommentar konzipiert, legt es einen Schwerpunkt auf die sprachlich-stilistische Gestaltung der Briefsammlung, welche Genet gattungsspezifisch als „sorte d’essai et de poème confondus“9 einordnet und damit auf sein eigenes Ideal einer Mischung der traditionellen stilistischen und poetologischen Differenzierung von politischer Rhetorik und Poesie rekurriert. Genet präzisiert hier in Bezug auf Jacksons Briefe den Mechanismus einer Korrumpierung jener Sprache, die er als Sprache des Feindes bezeichnet: „Ici encore, le prisonnier doit se servir du langage même, des mots, de la syntaxe de son ennemi alors qu’il sent le besoin d’une langue séparée qui n’appartiendrait qu’à sa nation.“10 In Ermangelung einer eigenen Sprache, die nicht von der „juridiction de grammairien“11 reguliert wird, sind Akzeptanz und Korrumpierung der normativen Sprache für Genet die einzige Lösung: „Il [le Noir, S.I.] n’a donc qu’une ressource: accepter cette langue mais la corrompre si habilement que les Blancs s’y laisseront prendre.“12 Genet konstatiert selbst, dass die Lösung in dieser Form des inneren Widerstandes dem revolutionären Projekt entgegenzulaufen scheint: „Et c’est un travail qui semble être contredit par celui du révolutionnaire.“13 Das revolutionäre Ziel hat jedoch für Genet einen poetischen Ursprung, der