Das Sprachverständnis des Paulus im Rahmen des antiken Sprachdiskurses. Nadine Treu

Das Sprachverständnis des Paulus im Rahmen des antiken Sprachdiskurses - Nadine Treu


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von Arbeiten, die sich mit der antiken Sprachphilosophie beschäftigen,27 so dass für diese Thematik auf eine breite Grundlage zurückgegriffen werden kann. Auch für den Vergleich mit dem frühjüdischen Autor Philon von Alexandria liegen mit den Untersuchungen von Klaus Otte28 und Gertraut Kweta29 zwei Monographien zum Thema vor. Beide werden, ebenso wie weitere Aufsätze, zu Beginn des Philonkapitels vorgestellt.

      3. Von der antiken Sprachphilosophie über Philon zu Paulus: Begründung der Vorgehensweise

      Das erste Kapitel beschäftigt sich mit dem Beginn und der Entwicklung sprachphilosophischer Fragestellungen. Es ist erforderlich, weil „die Verflechtung des Christentums in die allgemeine Geschichte“ zu berücksichtigen ist und weil „die Aufgabe seiner Erforschung und Wertung nur von dem großen Zusammenhang der Gesamtgeschichte“1 her in Angriff genommen werden kann, wie Ernst Troeltsch in seinem epochalen Aufsatz über die Methoden der Theologie formuliert hat. Was für den gesamtgeschichtlichen Zusammenhang und das Christentum allgemein gilt, trifft auch für Paulus und für einzelne thematische Aspekte, wie den der Sprache, zu. Weil sich die Theologie und die Philosophie gegenseitig beeinflusst haben, stellt sich mit Schnelle die Frage, „ob einzelne ntl. Autoren wie Paulus und Johannes gezielt an philosophisch-religiösen Diskursen teilnahmen“ und ob „sie bewusst Schlüsselbegriffe der antiken Philosophie in ihre Argumentation [integrierten], um so gezielt Anschlussfähigkeit herzustellen“2. In diesen Fragen geht es nicht um

      passive Vorgänge wie traditions- bzw. religionsgeschichtliche Beeinflussungen, sondern [um] aktive Prozesse: die Übernahme philosophischer Begriffe und Ideen, die Integration philosophischer Themen in die eigene Argumentation, die Teilnahme an umfassenden philosophisch-theologischen Diskursen.3

      Die Auseinandersetzung mit den theoretischen Überlegungen zur Sprache, die sich in der antiken Umwelt entwickelt haben und im ersten nachchristlichen Jahrhundert vorhanden sind, liefert also die Voraussetzung dafür, das Spezifische des paulinischen Sprachverständnisses herausstellen zu können. Nur wenn man die antiken sprachphilosophischen Begriffe und Ideen berücksichtigt, kann aufgezeigt werden, wo Paulus an bereits erarbeitete Sprachvorstellungen anknüpft, welche Fragestellungen er nicht aufgreift oder wo er eigene, neue Positionen formuliert. Damit diese Einordnung erfolgen kann, ist es notwendig, die Entwicklung der antiken Sprachphilosophie mit ihren wichtigsten Frage- und Problemstellungen darzulegen. Ernst Troeltsch fasst dies unter dem Kriterium der Kritik zusammen: Die ntl. Texte unterliegen vorerst der „historischen Kritik“, weil „jede Einzeltatsache unsicher“4 ist.5 Damit Aussagen an Wahrscheinlichkeit gewinnen, muss „die Erklärung und Darstellung vom Gesamtzusammenhang ausgehen“, denn „nur vom Gesamtzusammenhang aus kann ein Urteil über das Christentum gewonnen werden“6. Dieser Gesamtzusammenhang, von dem aus sich das paulinische Sprachverständnis erhellen lässt, ist zum einen die antike Sprachphilosophie, zum anderen das frühjüdische Sprachverständnis Philons. Weil „[j]eder Moment und jedes Gebilde der Geschichte (…) nur im Zusammenhang mit anderen und schließlich mit dem Ganzen gedacht werden kann“7, ist es unerlässlich, zu versuchen, dieses Ganze auch für einen bestimmten Themenkomplex zu erfassen. Indem die zentralen Entwicklungen und Fragestellungen der antiken Sprachphilosophie aufgezeigt werden, wird versucht, den allgemeinen Rahmen für die Auseinandersetzung mit Sprache zu erschließen, obgleich dies nie vollständig geschehen kann. Das paulinische Sprachverständnis soll also nicht isoliert betrachtet werden, sondern im Kontext der wichtigsten sprachphilosophischen Fragestellungen der Antike. Zugleich ist es dabei notwendig, sich auf die zentralen Autoren und Entwicklungen zu beschränken.8 Neben der Kritik führt Troeltsch zwei weitere Kriterien an, die zum historischen Verstehen beitragen:9 Analogie und Korrelation. Durch Analogien können die Wahrscheinlichkeiten einzelner Aussagen erhöht werden; indem nach Analogien gesucht wird, wird die Kritik bzw. der Unsicherheitsfaktor historischen Verstehens ernst genommen und der Versuch unternommen, den Faktor der Unwahrscheinlichkeit zu verringern.10 Für die vorliegende Untersuchung ist nach Analogien in zwei Richtungen zu fragen: Zum einen nach Analogien in philosophischen, profangriechischen Texten, die sich theoretisch mit dem Thema Sprache auseinandersetzen, zum anderen in den Texten Philons, die Analogien für den jüdisch-hellenistischen Kontext ermöglichen; beide sind nach thematischen und begrifflichen Analogien zum paulinischen Sprachverständnis zu befragen, um dieses besser verstehen und einordnen zu können. Damit einher geht die dritte von Troeltsch geforderte Kategorie, die Korrelation: Es gibt keine „Erscheinungen des geistesgeschichtlichen Lebens, wo keine Veränderung an einem Punkte eintreten kann ohne vorausgegangene und folgende Aenderung an einem anderen, so daß alles Geschehen in einem beständigen korrelativen Zusammenhange steht“11. Das heißt nicht, dass nichts Neues entstehen kann, sondern allein, dass geschichtliche, philosophische, kulturelle und religiöse Ereignisse dort, wo neue Gedankengänge entwickelt werden, zum besseren Verständnis dieser beitragen können, weil sie der „Wechselwirkung aller Erscheinungen des geistesgeschichtlichen Lebens“12 unterliegen. Vor dem Hintergrund der profangriechischen sprachphilosophischen Entwicklungen und Fragestellungen kann eine Einordnung des paulinischen Sprachverständnisses in den antik-philosophischen Sprachdiskurs vorgenommen werden. Der Vergleich mit Philon präzisiert diese Einordnung, indem der kulturelle und religiöse Rahmen mit dem hellenistischen Judentum exakter abgegrenzt werden kann.

      Dieser Rahmen stellt die erste von zwei wesentlichen Gemeinsamkeiten zwischen Philon und Paulus dar, die die Grundlage dafür bilden, weshalb gerade philonische Texte als zusätzlicher und vergleichender Bezugsrahmen gewählt wurden. Wenn also abschließend das paulinische Sprachverständnis mit dem philonischen verglichen werden soll, ist es unumgänglich, das Verhältnis der beiden Autoren und ihrer Texte zu reflektieren. Der Versuch einer solchen Standortbestimmung wurde 2003 auf dem I. Internationalen Symposium zum Corpus Judaeo-Hellenisticum in Eisenach und Jena unternommen.13

      Philon selbst kannte die Jesusbewegung mit großer Sicherheit nicht. Ob die ntl. Schriftsteller Philon bewusst wahrgenommen haben, kann nicht abschließend geklärt werden, bleibt aber unwahrscheinlich.14 Einzig die Möglichkeit, dass der Jude Apollos philonische Ideen und Konzepte in Korinth verbreitet hat, erscheint möglich.15 In der aktuellen Forschung wird Philon eigenständig und unabhängig von den ntl. Schriften behandelt. Das wirkt der Philoninterpretation der Alten Kirche entgegen, die die Schriften „als Kronzeugen für die eigene, christliche Theologie heranzog und (…) zur Erklärung des Alten und Neuen Testaments gebrauchte“16. Die Untersuchung zu Philon und Paulus soll nicht im Sinn eines Abhängigkeitsverhältnisses oder eines Ableitungsmodells vorgenommen werden – das gilt auch in Bezug auf die zeitgenössische Philosophie17 –, sondern von zwei Seiten Bedeutung erlangen und einer wechselseitigen Erhellung dienen: Die Ergebnisse der Philonuntersuchungen können dazu beitragen, die ntl. Texte besser zu verstehen und ihren kulturellen und religiösen Rahmen aufzuzeigen, gleichzeitig sollen von den ntl. Schriften Impulse für das Verständnis der Texte des Diaspora-Judentums ausgehen.18

      Philon und Paulus teilen zwei Gemeinsamkeiten: Die erste liegt, wie bereits angesprochen, im hellenistischen Judentum als kulturell-religiösem Kontext. Philon, eine knappe Generation vor Paulus geboren, lebte wie der Apostel selbst in der antiken Welt des ersten nachchristlichen Jahrhunderts; Philon ist ein Autor, „den wir als Persönlichkeit fassen können“, und deshalb schlussfolgert Pohlenz richtig, wenn er schreibt, dass darin „seine geistesgeschichtliche Bedeutung“19 liegt. Philon und Paulus stammen aus dem Diasporajudentum. Dies liefert ihre kleinste gemeinsame Schnittmenge. Zudem wird auch für Paulus vermutet, dass er von der hellenistischen Philosophie beeinflusst ist. Wie weit diese aufgegriffen, bearbeitet, neu gedacht oder gar nicht bedacht wird, kann der Vergleich zeigen. Dabei liegt in der Tatsache, dass uns eine Vielzahl der philonischen Schriften erhalten ist, ihre besondere Relevanz. Die philonische Argumentation umfasst in der Regel mehrere Bereiche und Ebenen;20 so wird in den Texten ein breites Spektrum von jüdisch-hellenistischem Gedankengut sichtbar, das auch als geistiger Horizont für die Texte des frühen Christentums gilt.21 Die größere Textbasis bei Philon erlaubt es, mehrere Faktoren zu berücksichtigen, als es für das Corpus Paulinum überhaupt möglich ist. Das wird sich auch bei der Erarbeitung der Sprachverständnisse zeigen. Die Verwendung gemeinsamen Gedankenguts ist auf eine indirekte Linie zurückzuführen, da beide im gleichen geistigen Milieu verortet werden können;22 dennoch ist keine direkte Linie zwischen paulinischen und philonischen Texten herzustellen, ebenso wie eine literarische Abhängigkeit abzulehnen ist.23 Auch


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