Das Sprachverständnis des Paulus im Rahmen des antiken Sprachdiskurses. Nadine Treu

Das Sprachverständnis des Paulus im Rahmen des antiken Sprachdiskurses - Nadine Treu


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des Universums, die dieselbe Struktur wie die übrigen Formen des Universums (…) aufweist (…) oder nicht aufweist“38. Ein Bewusstsein für diese unterschiedlichen Fragestellungen tritt erst in platonischer Zeit ein.39

      Zusammenfassung:

      Im Mittelpunkt der Sprachphilosophie von Heraklit und Parmenides steht der λόγος-Begriff. Der von Heraklit und Parmenides angenommene Zusammenhang von Wirklichkeit/Sein, Denken und Sprache bestimmt die weiteren sprachphilosophischen Überlegungen. Er durchbricht das magisch-mythische Einheitsdenken von Wort und Sache, indem durch die Einführung des λόγος-Begriffs Sprache mit Denken und Vernunft verbunden und in Bezug zueinander gesetzt wird. Zwischen Sprache und Wirklichkeit besteht für diese Philosophen ein unmittelbarer Zusammenhang. So ergibt sich für Heraklit und Parmenides zwar keine Einheit von Name und Sache, aber ein unmittelbarer Bezug beider Komponenten. Allerdings weist Heraklit bereits darauf hin, dass der Bezug von Name und Objekt auseinanderfallen kann; auch Parmenides weist auf trügerische Namen hin, die nicht die Einheit des Seins wiedergeben. Ob die Sprache ihre Begründung φύσει oder θέσει erhält, lässt sich bei Heraklit nicht abschließend klären, für Parmenides ist letzteres anzunehmen. Insgesamt werden bei Heraklit und Parmenides sprachphilosophische Überlegungen angestoßen, die im weiteren Verlauf der Philosophiegeschichte eine wichtige Rolle spielen und ausführlich diskutiert werden.

      4. Platon

      Es ist fraglich, ob bei Platon (428/427–348/347 v. Chr.) bereits von Sprachphilosophie als einer eigenen philosophischen Disziplin gesprochen werden kann. Sprache ist aber ein wichtiges Thema in den Dialogen Platons: Der platonische Sokrates und dessen Dialogpartner diskutieren über den Ursprung, die Funktion und die Legitimation von Sprache sowie über das Wesen des Zeichens und über das Verhältnis von Denken, Sprechen und Sein.1 Die Auseinandersetzung mit diesen sprachphilosophischen Aufgaben bringt das Hauptanliegen Platons mit sich, die Ermittlung und Vermittlung von Erkenntnis.2 Die Thematisierung von Sprache hat bei Platon eine grundlegende Bedeutung, die darüber stattfindenden Reflexionen können als „Leitfaden seines Philosophierens“3 angesehen werden,4 da Platon einen direkten Bezug zwischen einem Missverhältnis zur Sprache und einem Missverhalten zur Wahrheit und zu den Mitmenschen herstellt.5 Ohne Sprache ist Philosophie für Platon undenkbar.6

      Im Folgenden werden anhand ausgewählter Schriften die wichtigsten sprachphilosophischen Fragstellungen und Ansichten Platons dargestellt: (1) Im Kratylosdialog wird das Verhältnis von Name und Ding diskutiert. (2) Im Theaitetos und Sophistes wird der Zusammenhang von Sprache und Erkenntnis erörtert. Ebenso wird Sprache als Satz thematisiert. (3) Im Phaidros und dem Siebten Brief ist eine Sprachskepsis auszumachen, zugleich tritt das λόγος-Verständnis Platons hervor. (4) Abschließend wird ein kurzer Blick auf die Rezeption der platonischen Fragestellungen geworfen.

      (1) Die wichtigste Auseinandersetzung Platons mit sprachphilosophischen Fragen findet sich im Kratylos7, „dem ersten zusammenhängend überlieferten sprachphilosophischen Text der griechischen Literatur“8. Es handelt sich um ein Streitgespräch zwischen Kratylos und Hermogenes9 um die Richtigkeit von Namen, in das Sokrates verwickelt wird. Was das eigentliche Thema des Dialogs ist, ist in der Forschung umstritten. Es werden der Ursprung der Sprache, die kommunikative und wissensvermittelnde Funktion der Sprache oder die Etymologien als zentraler Inhalt herausgestellt.10 Um den Dialog richtig einordnen zu können, ist vorab in Erinnerung zu rufen, dass ὄνομα im Griechischen nicht nur Eigennamen bezeichnet, sondern allgemein ein Wort.11

      Die Einheit von Wort und Sache, die im mythisch-magischen Denken vorliegt, wird im Kratylos durch einen Bezug zwischen Wort und Sache ersetzt.12 Angestoßen durch die Annahme der Naturphilosophen und Atomisten, dass Sprache keinen „Bezug zur physikalischen Wirklichkeit“13 besitze, wurde die direkte Beziehung von Wort und Gegenstand in Frage gestellt. Das Problem diskutiert Platon im Krat. Verstärkt wurden die Zweifel an einer naturgegebenen Beziehung von Wort und Sache durch die Rhetorik der Sophisten, die versuchten, ihre Ziele durch die Uneindeutigkeit von sprachlichen Äußerungen voranzubringen. Dem strebt Platon entgegen, wobei sich bei dem Versuch seiner Problemlösung immer eine enge Verbindung zu seiner Gesamtphilosophie (Erkenntnistheorie, Ontologie,…) zeigt.14 Im Dialog selbst entfalten Kratylos und Hermogenes ihre Positionen bezüglich der Richtigkeit von Namen. Kratylos vertritt die These, dass es für alle Dinge von Natur aus richtige Namen gibt:15

      Κρατύλος φησὶν ὅδε, ὦ Σώκρατες, ὀνόματος ὀρθότητα εἶναι ἑκάστῳ τῶν ὄντων φύσει πεφυκυῖαν, καὶ οὐ τοῦτο εἶναι ὄνομα ὃ ἄν τινες συνθέμενοι καλεῖν καλῶσι, τῆς αὑτῶν φωνῆς μόριον ἐπιφθεγγόμενοι, ἀλλὰ ὀρθότητά τινα τῶν ὀνομάτων πεφυκέναι καὶ Ἕλλησι καὶ βαρβάροις τὴν αὐτὴν ἅπασιν. (Krat. 383a-b)

      Kratylos hier, o Sokrates, behauptet, jegliches Ding habe seine von Natur ihm zukommende richtige Benennung, und nicht das sei ein Name, wie einige unter sich ausgemacht haben etwas zu nennen, indem sie es mit einem Teil ihrer besonderen Sprache anrufen; sondern es gebe eine natürliche Richtigkeit der Wörter, für Hellenen und Barbaren insgesamt die nämliche. (Krat. 383a-b)

      Hermogenes stellt sich gegen diese Ansicht und spricht sich dafür aus, dass alle Namen in Übereinkunft getroffen werden und hierdurch ihre Richtigkeit erhalten:

      καὶ μὴν ἔγωγε, ὦ Σώκρατες, πολλάκις δὴ καὶ τούτῳ διαλεχθεὶς καὶ ἄλλοις πολλοῖς, οὐ δύναμαι πεισθῆναι ὡς ἄλλη τις ὀρθότης ὀνόματος ἢ συνθήκη καὶ ὁμολογία. (…) οὐ γὰρ φύσει ἑκάστῳ πεφυκέναι ὄνομα οὐδὲν οὐδενί, ἀλλὰ νόμῳ καὶ ἔθει τῶν ἐθισάντων τε καὶ καλούντων. (Krat. 384c-d)

      Ich meinesteils, Sokrates, habe schon oft mit diesem und vielen anderen darüber gesprochen und kann mich nicht überzeugen, daß es eine andere Richtigkeit der Worte gibt, als die sich auf Vertrag und Übereinkunft gründet. (…) Kein Name eines Dinges gehört ihm von Natur, sondern durch Anordnung und Gewohnheit derer, welche die Wörter zur Gewohnheit machen und gebrauchen. (Krat. 384c-d)

      Durch menschliche Vereinbarung (συνθήκῃ) werden also Namen gebildet. Wichtig ist in diesem Zusammenhang der Hinweis, dass das im Krat. diskutierte Problem nicht historisch, sondern systematisch zu verstehen ist: Es geht nicht darum, zu erörtern, ob Namen von Natur aus oder durch menschliche Übereinkunft entstanden sind, sondern darum, „ob der Namengeber bei seinem Geschäft völlig willkürlich verfahren konnte oder sich an einer naturgegebenen Richtigkeit zu orientieren hatte“16.

      Von Sokrates schließlich werden beide Thesen zugespitzt und kritisiert. Aus dieser verschärften Darstellung der Theorien ergibt sich, dass es ausschließlich richtige Namen geben kann. Die zugespitzte Position, die Sokrates Kratylos abringt, besteht darin, dass es für alle Dinge nur einen richtigen Namen geben kann, weil lediglich der Begriff, der einen Gegenstand bezeichnet, als Name gewertet werden kann. Alle anderen Lautgebilde sind nichtsaussagend.17 Die These des Hermogenes wird verschärft, indem dieser sich zur Äußerung verleiten lässt, dass jeder Mensch für sich selbst Namen festlegen kann, die dadurch ihre Richtigkeit erlangen.18

      Beide Thesen erweisen sich deshalb als unzureichend, weil eine Theorie gesucht wird, nach der es sowohl richtige als auch falsche Namen geben kann.19 Deshalb wohl lässt Platon Sokrates beide Theorien ad absurdum führen. Er vergleicht die radikalisierte Position des Hermogenes mit handwerklichem Tun wie Weben oder Bohren. Wenn von solchen Tätigkeiten ein ordentliches Ergebnis erwartet wird, können sie nicht willkürlich ausgeführt werden, sondern müssen ihrer Sache gemäß angegangen werden. Dies gilt analog für die ὀνόματα.


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