Das Sprachverständnis des Paulus im Rahmen des antiken Sprachdiskurses. Nadine Treu

Das Sprachverständnis des Paulus im Rahmen des antiken Sprachdiskurses - Nadine Treu


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Erst Ferdinand de Saussure schafft mit der Arbitrarität des sprachlichen Zeichens ein neues Paradigma.72 Das Interesse an den Etymologien des Krat. blieb kontinuierlich erhalten. Die Etymologien werden von der Stoa an bis ins 19. Jh. hinein thematisiert und bearbeitet.73 Für die weitere sprachphilosophische/sprachwissenschaftliche Arbeit ist auch das von Platon angelegte Semiotikmodell bedeutend. Die Unterscheidung zwischen Referenz und Bedeutung eines Wortes greift beispielsweise Gottlob Frege auf, die Differenzierung zwischen äußerer Lautgestalt und innerer Wortform spiegelt sich in den Theorien von Ferdinand de Saussure und Noam Chomsky wieder, die Vorstellung von der Sprache als Werkzeug findet sich im Organonmodell Karl Bühlers. Das im Soph. entwickelte Satzmodell Platons wird die Grundlage der entstehenden Grammatiken. Es wird erstmals von Augustin aufgegriffen und weiterentwickelt.74

      Zusammenfassung:

      Platon überwindet das Denken, dass zwischen Wort und Sache eine Einheit besteht, wie Heraklit dies annahm. Für Platon bildet das Wort nicht mehr direkt den Gegenstand ab. Der Bezug zwischen Wort und Sache wird durch die neu eingeführte Komponente der Idee hergestellt. Die Namen sind demnach keine Abbilder der realen Dinge, sondern der Ideen. Dadurch entsteht das dreiteilige Modell von Wort, Sache und Idee. Die Ideenlehre wird in Krat. angedeutet, ist dort aber noch nicht vollständig entfaltet. Im Krat. setzt sich Platon intensiv mit der Verhältnisbestimmung von Wort und Sache und der Frage auseinander, ob die Sprache ihre Legitimation von Natur aus (φύσει) oder durch Konvention/Übereinkunft (ὁμολογία/συνθήκῃ) erhalten hat. Dabei ist in vorplatonischer Zeit und bei Platon selbst noch nicht von dem Gegensatz φύσει-θέσει die Rede, der φύσει-These werden die eben genannten Termini gegenüber gestellt.75 Eine eindeutige Position kann für Platon nicht ausgemacht werden.76 Dies spielt insofern keine Rolle, als der Dialog – auch ohne zu einer Entscheidung für oder gegen eine Theorie zu kommen – wichtige Einblicke in das sprachphilosophische Denken und die zentrale Fragestellungen gibt.

      Sprache erfährt aber eine Abwertung, weil die Erkenntnis dem Bereich der Logik zugeordnet wird, und auch die Erkenntnisfunktion wird ihr abgesprochen.77 Die ἰδέα wird zum Gegenstand der Erkenntnis. Die Sprache selbst kann erst einen Bezug zur Erkenntnis gewinnen, wenn in ihr eine Idee zum Ausdruck gebracht wird. Als direktes Erkenntnismittel aber fungiert bei Platon der λόγος.78 Für den λόγος selbst wird ein enger Zusammenhang von Denken und Sprechen angenommen, der in einem Prozess zur Erkenntnis führen kann. Die These des Parmenides, dass es Nichtseiendes nicht geben kann, wird widerlegt, weil der λόγος Seiendes mit Nichtseiendem verbinden kann; auch ein falscher Aussagegehalt einer sprachlichen Äußerung wird nun als möglich angesehen.79 Die Ansicht Heraklits, dass eine Notwendigkeit besteht, nach der alles in Bewegung ist, wird entkräftet; wenn dem so wäre, könnte aufgrund von wechselnden Wortbedeutungen keine Kommunikation erfolgen. Weil dies aber der Fall ist, muss es „Fixpunkte“80 geben. Als einen solchen bestimmt Platon den λόγος.

      Während der Fokus im Krat. auf dem Verhältnis von Wort und Sache liegt, verändert Platon im Tht. und Soph. den Blickwinkel. Sprache wird nicht mehr nur als Wort wahrgenommen, sondern auch auf Satzebene thematisiert. Der λόγος wird im Soph. als Satz bestimmt, der durch die Verbindung einzelner Ideen Wahrheit hervorbringen kann. Es wird also nicht mehr einzelnen Wörtern ein Wahrheitsgehalt zugesprochen, sondern Sätzen. Als Neuerung Platons gegenüber Heraklit und Parmenides ist zu sehen, dass Wörter auch einen falschen Aussagegehalt haben können.

      5. Aristoteles

      Auch Aristoteles (384–322 v. Chr.) hat kein dezidiert sprachphilosophisches Werk verfasst. Er beschäftigt sich dennoch v.a. in der Schrift Περὶ ἑρμηνείας/De interpretatione1 mit Sprache, so dass anhand dieses Traktats die sprachphilosophischen Gedankengänge von Aristoteles herausgearbeitet werden können. Verschiedene Aspekte sind in den Blick zu nehmen: (1) Aristoteles bestimmt das sprachliche Zeichen als σύμβολον. Es ist zu erläutern, wie dies zu verstehen ist und was der Ausdruck παθήματα τῆς ψυχῆς bedeutet. (2) Im Anschluss daran kann nach dem aristotelischen Verständnis von ὄνομα und nach der Wendung κατὰ συνθήκην gefragt werden. In beiden Themenkomplexen wird der Standpunkt des Aristoteles bezüglich der φύσει-θέσει-Theorie aufgegriffen. (3) Weiterhin wird das aristotelische λόγος-Verständnis dargestellt, von welchem ausgehend sich der Fokus auf den Wahrheits- und Falschheitsgehalt von Sätzen richtet. (4) Zuletzt rückt Aristoteles als Realist in den Blick.

      (1) Aristoteles interessiert sich für verschiedene sprachliche Relationen, die im Lauf der Untersuchung thematisiert werden. Mit einer Relation beschäftigt er sich allerdings nicht, und das ist diejenige, die die Sprachphilosophie bis dahin bestimmt hat, nämlich das Verhältnis von Laut und Gegenstand. Aristoteles stellt eine neue Frage: Er fragt nicht mehr, warum es Namen gibt und ob eine Entsprechung von Wort und Sache vorliegt, sondern wozu es Namen gibt und worin ihre Funktion für den Menschen besteht. Es reicht Aristoteles nicht aus, einen Namen als solchen zu bestimmen, indem man annimmt, dass Laute etwas ausdrücken, das von den Menschen interpretiert werden kann.2 Aristoteles schreibt dem Wort zu Beginn von Herm. daher eine Symbolfunktion zu:3

      Ἔςι μὲν οὖν τὰ ἐν τῇ φωνῇ τῶν ἐν τῇ ψυχῇ παθημάτων σύμβολα, καὶ τὰ γραφόμενα τῶν ἐν τῇ φωνῇ. καὶ ὥσπερ οὐδὲ γράμματα πᾶσι τὰ αὐτά, οὐδὲ φωναὶ αἱ αὐταί. ὧν μέντοι ταῦτα σημεῖα πρώτως, ταὐτὰ πᾶσι παθήματα τῆς ψυχῆς, καὶ ὧν ταῦτα ὁμοιώματα, πράγματα ἤδη ταὐτά. (Herm. 16a 3–8)

      Nun sind die (sprachlichen) Äußerungen unserer Stimme ein Symbol [σύμβολον] für das, was (beim Sprechen) unserer Seele widerfährt, und das, was wir schriftlich äußern, (ist wiederum ein Symbol) für die (sprachlichen) Äußerungen unserer Stimme. | Und wie die Buchstaben nicht bei allen (Menschen) dieselben sind, so sind auch die stimmlichen Laute nicht (bei allen) dieselben].4 Die seelischen Widerfahrnisse [παθήματα τῆς ψυχῆς] aber, für welche dieses (Gesprochene und Geschriebene) an erster Stelle ein Zeichen [σημεῖον] ist, sind bei allen (Menschen) dieselben; und überdies sind auch schon die Dinge, von denen diese (seelischen Widerfahrnisse) Abbildungen sind, (für alle) dieselben. (Herm. 16a 3–8)

      Stimmliche Äußerungen werden von Aristoteles als σύμβολον bezeichnet. Der Begriff muss dabei von der Semantik des Verbs her verstanden werden. Συμβάλλειν heißt zusammenwerfen; so werden in einem Symbol zwei Sachen zusammengeführt. Bezüglich der vorliegenden Thematik ist dies das gesprochene Wort, das mit den παθήματα τῆς ψυχῆς zusammengebracht wird. Das σύμβολον wird durch das σημεῖον näher erklärt. Das Zeichen macht auf eine zusätzliche Komponente aufmerksam, die nicht im Zeichen selbst enthalten ist. Von seiner Semantik her kann auch σύμβολον Zeichen bedeuten. Vor diesem Hintergrund kommt Hennigfeld zu der Feststellung: „Aristoteles faßt das Wort als ein Zeichen (sýmbolon), über das man sich so geeinigt hat, daß man dadurch jemandem etwas anzeigen, ihn auf etwas verweisen kann (semaínein)“5. Die Symbolfunktion der Sprache steht bei Aristoteles im Vordergrund, nicht etwa der Bezug der Sprache zum Denken. Es liegt im aristotelischen Fokus, sich der Wörter und ihrer Symbolfunktion zu bedienen, um Dinge zu verdeutlichen. Die menschliche Sprache als soziales Phänomen wird damit besonders betont und der Sprache als Kommunikationsfunktion wird Bedeutung verliehen.6

      Der angeführte Text aus Herm. wirft eine weitere Frage auf, die in das Zentrum des aristotelischen Sprachverständnisses führt: Wenn stimmliche Äußerungen ein Symbol für die παθήματα τῆς ψυχῆς sind, was ist dann unter diesen zu verstehen? Hennigfeld spricht sich dafür aus, παθήματα als Eindrücke anzunehmen,7 die die Seele von außen aufnimmt und anschließend in einer stimmlichen Äußerung zugänglich macht.8 Weidemann fügt dem hinzu, dass „unter den fraglichen Dingen nicht nur Dinge im engeren Sinne dieses Wortes zu verstehen sind (…),


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