Das Sprachverständnis des Paulus im Rahmen des antiken Sprachdiskurses. Nadine Treu

Das Sprachverständnis des Paulus im Rahmen des antiken Sprachdiskurses - Nadine Treu


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zu dem auch Conf zu zählen ist, sind primär für ein ausgewähltes, gebildetes jüdisches Publikum verfasst,24 nicht als Briefe, sondern gezielt als literarische Texte. Paulus hingegen schreibt Briefe an die von ihm gegründeten christlichen Gemeinden. Er ist in erster Linie Missionar, in diesem Zusammenhang aber argumentiert er auch theologisch und begründet seine Argumentationen mit Rückgriff auf die atl. Schriften.25

      Im Bezug auf die Schrift liegt ihre zweite Gemeinsamkeit.26 Für Philon zeigt sich dies besonders in den allegorischen Schriften, aber auch darüber hinaus ist die Schrift für Philon Hauptbezugstext. Runia hat vermutlich nicht Unrecht, wenn er sagt, dass Philon sich selbst in erster Linie als Kommentator gesehen hat und sich durch diesen Blick ein wesentlicher Zugang zu den philonischen Texten eröffnet.27 Auch in der Untersuchung zum Sprachverständnis wird sich deutlich zeigen, dass Philon in der Tradition der Schrifterklärung steht; so stellt beispielsweise der Genesistext über den Turmbau zu Babel den Rahmen für den Traktat Conf. Das philosophische Interesse Philons ist damit nicht abzuwerten, aber es erlangt nicht dieselbe Autorität wie die Schrift; Philon benutzt die Philosophie dazu, die atl. Schriften zu erklären. Auch das frühe Christentum war „weder eine ‚schriftlose’ oder gar illiterate Gruppierung“, auch sie „hatten die Schrift, die sie reichlich benutzten und als interpretierende – und neu interpretierte – Grundlage ihrer eigenen Religion verwendeten“28. Dies gilt auch für Paulus: Er zitiert aus verschiedensten Teilen der Schrift,29 greift z.B. in 1 Kor 14,21 auf Jesaja zurück. In 1 Kor wird aber noch an weiteren Textstellen ersichtlich, dass Paulus davon ausgeht, dass die Gemeinde mit den Inhalten der Schrift vertraut ist. Er spielt in 1 Kor auf Aspekte der Schöpfungs- oder Exoduserzählung, auf Regeln und Verbote der Tora oder auf allgemeine jüdische Praktiken oder jüdisches Gedankengut an, ohne sie näher zu erklären.30 Für eine große Anzahl an direkten oder indirekten Zitaten gilt aber, dass sie, auch ohne dass die atl. Kontexte offengelegt werden, verständlich sind.31 Paulus untermauert seine eigene Argumentation durch Schriftzitate; dabei hat die Schrift nicht nur „als – hoch geschätztes – Gesetz des Mose“ Autorität, „sondern als Prophezeiung des Kommens Jesu“32. Paulus verleiht auch seinen eigenen Texten Autorität, indem er der Schrift eine solche zuspricht und sie in seinen Briefen zitiert.33 Paulus greift die Schrift auch auf, ohne sie als Zitat kenntlich zu machen, oder er modifiziert den Wortlaut;34 dann sind die Zitate als solche für die Korinther – sofern sie die Originalstellen nicht dezidiert kannten – nicht erkenntlich.35 Wie Paulus die Schrift interpretiert und einsetzt, gibt also nicht nur Auskunft über sein Schriftverständnis, sondern auch über sein eigenes Denken. 36 Indem Paulus lediglich aus jüdischen Schriften und nicht aus der Profangräzität zitiert, wird die Bedeutung ersterer für Paulus deutlich.37

      Mit dem jüdischen Hintergrund und dem Bezug auf die Schrift weisen Philon und Paulus zwei Gemeinsamkeiten auf, die die profangriechischen Autoren nicht bieten können. Es ergibt sich daraus nicht nur der Nutzen, dass die philonischen und paulinischen Texte in ihren Besonderheiten näher erklärt werden können, sondern sogar eine Notwendigkeit,

      [d]enn erst wenn auch das Neue Testament als eine in großen Teilen jüdische Schriftensammlung selbstverständlicher Teil der Beschäftigung mit dem Frühjudentum38 ist, kann von der Überwindung der alten, religiös bedingten Gegensätze in der Erforschung dieser sensiblen Zeitepoche um die Zeitenwende gesprochen werden.39

      Die Perspektive auf das Thema ‚Sprache’ ist also insgesamt eine historische. Die historisch-kritische Exegese stellt den methodischen Rahmen der Arbeit dar; sie wird v.a. durch die historische Linguistik in Form der linguistischen Semantik unterstützt. So liegt ein Schwerpunkt dieser Arbeit auf der semantischen Analyse verschiedener Lexeme, die in 1 Kor 14 vorkommen (u.a. χάρισμα, πνεῦμα, νοῦς, δύναμις, προφητεία, γλῶσσα, φωνή, σημεῖον, διδαχή oder οἰκοδομή). Diese Analyse kann dazu beitragen, das paulinische Sprachverständnis als eigenständigen Beitrag zu charakterisieren, ebenso aber mit den antiken Begriffen und Fragestellungen zu vergleichen. Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit liegt auf der Analyse der Struktur der Texte, um zu sehen, wie Paulus bei der argumentativen Entfaltung seines Sprachverständnisses vorgeht.

      Leitendes Ziel dieser Untersuchung ist es, das paulinische Verständnis von Sprache anhand von 1 Kor 14 herauszuarbeiten. Dieses entwickelt sich seinerseits im Rahmen des antiken Sprachdiskurses, der in besonderer Deutlichkeit von der griechischen Philosophie einerseits und frühjüdischen Positionen andererseits abgebildet wird. Ein zweites Ziel ist es daher, das paulinische Verständnis als qualifizierten Beitrag im frühkaiserzeitlichen Diskurs über Sprache zu werten und in diesem Diskurs als eigene Stimme zu positionieren.

      Die Bedeutung der Untersuchung für die neutestamentliche Wissenschaft liegt damit zu allererst im Bereich der Paulusforschung. Das christliche Verständnis von Sprache wird an seinem Beginn erfasst, indem das erste schriftliche Zeugnis, 1 Kor 14, thematisch untersucht wird. Das Sprachverständnis des Paulus wird sich als eine wichtige Komponente seiner Geisttheologie erweisen. Die Einbeziehung der antiken Sprachphilosophie schafft dabei einen ebenso weiten wie genauen Interpretationsrahmen, der die Herausarbeitung der Schwerpunkte und Eigenarten des paulinischen Umgangs mit dem Thema Sprache und seine historische und sachliche Kontextualisierung ermöglicht.

      Daraus ergibt sich die Gliederung der Arbeit: Sie führt zunächst in die wichtigen sprachphilosophischen Fragestellungen der Antike ein und untersucht nachfolgend das Sprachverständnis Philons. Im Anschluss daran wird das paulinische Sprachverständnis erarbeitet. In einem letzten Teil erfolgt der Vergleich zwischen Paulus und der antiken Sprachphilosophie bzw. Philon, der in das abschließende Resümee mündet. Dieses zeigt die positiven und negativen Analogien zwischen Paulus und den profangriechischen und den frühjüdischen Texten auf und positioniert das paulinische Sprachverständnis im antiken Sprachdiskurs. Abschließend wird thematisiert, inwiefern die Ergebnisse einen Beitrag zum intellektuellen Profil des Paulus liefern können.

      II. Die Entwicklung der Sprachphilosophie von ihren Anfängen bis zur Stoa: Eine Einführung in die zentralen Fragestellungen und Autoren der antiken Sprachphilosophie

      1. Vorbemerkungen

      Das folgende Kapitel gibt eine Einführung in die sprachphilosophische Entwicklung von ihren Anfängen bis zur Stoa und liefert damit einen Überblick über repräsentative Stationen der antiken Sprachphilosophie.1 Die Darstellung erfolgt in einem zeitgeschichtlichen Ablauf anhand der Autoren. Dabei werden die leitenden Fragestellungen der antiken Sprachphilosophie und ihre Vertreter benannt. Berücksichtigt werden Heraklit, Parmenides, Platon, Aristoteles und die Stoa. Erst vor diesem Hintergrund kann das philonische und paulinische Sprachverständnis untersucht und das jeweilige Spezifikum ausgemacht werden; ebenso ist es erst im Anschluss daran möglich, beide Autoren im Rahmen der antiken Sprachverständnisse zu verorten.

      Die Darstellung liefert themenzentrierte Einzelinterpretationen, d.h. die jeweiligen zentralen sprachphilosophischen Termini und die Hauptthematik zu Sprache werden vorgestellt und um das Verhältnis von ‚Name’ und ‚Sache’ zentriert, das einen Schlüssel zum Verständnis der griechischen Sprachphilosophie darstellt. Zudem werden hierdurch Grundlinien der Sprachauffassungen von Philon und Paulus erschlossen. Auf eine literarhistorische Einordnung, Nennung und Charakterisierung der literarischen Gattungen sowie eine zeitgeschichtliche Einordnung, Motiv- und Problemgeschichte der einzelnen Schriften der behandelten Autoren muss in diesem Zusammenhang verzichtet werden.

      2. Die magisch-mythische Sprachauffassung und die Anfänge sprachphilosophischen Denkens

      Eine Vorstufe der Sprachphilosophie stellt die mythisch-magische Sprachauffassung dar.1 Ihr Merkmal ist, dass das Wort/der Name und die Sache/Wirklichkeit als Einheit gedacht wird. Das ist v.a. im frühgriechischen Epos bei Homer und Hesiod zu finden.2 So zeigt Homer in der Odyssee, dass Sprache Wirklichkeit abbilden kann, wenn er einen guten Sänger dahingehend beschreibt, dass dieser so erzählen kann, als sei man selbst dabei gewesen.3 „Weil der Mythos durch Sprache Wirklichkeit setzt, kann diese Wirklichkeit mit der Sprache noch gar nicht in Konflikt geraten, kann der Name die Sache noch völlig beherrschen.“4 Es wird also noch nicht das Verhältnis von Name und Sache reflektiert, weil „der Name die Sache nicht bezeichnet, sondern ist“5. Nennen


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