Das Sprachverständnis des Paulus im Rahmen des antiken Sprachdiskurses. Nadine Treu

Das Sprachverständnis des Paulus im Rahmen des antiken Sprachdiskurses - Nadine Treu


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Annahme folgen will, dass dies barbarische oder besonders alte Wörter sind: Stumme können sich durch Gestik und Mimik mitteilen, indem sie Dinge nachahmen; dementsprechend muss auch eine Nachahmung von Dingen durch die Stimme und den Mund möglich sein. Entscheidend für diese Nachahmungsprozesse ist, das echte Sein/Wesen der Dinge abzubilden und nicht nur Äußerlichkeiten nachzuahmen.24 Der Bezug zwischen Sein und Sprache wird deutlich herausgestellt. Gegen Ende des Dialogs, wenn Kratylos im Gespräch mit Sokrates zugeben muss, dass eine vollkommene Nachahmung eines Gegenstandes unmöglich ist, da der Gegenstand sonst doppelt vorhanden sein müsste und keine Nachahmung mehr darstellt, wird deutlich, dass eine Verbindung der Theorien von Kratylos und Hermogenes notwendig ist.25 Kratylos muss eingestehen, dass es bessere und schlechtere Namen geben muss, weil Nachahmung selbst besser oder schlechter sein kann. Von dieser Einsicht ausgehend, wird die Notwendigkeit der Verbindung beider Modelle sichtbar, da Kommunikation durch Sprache, wenn es unterschiedlich ‚gut’ gebildete Namen gibt, nicht vollkommen ohne Vereinbarung möglich ist.26 Beide Theorien bieten für Platon eine unzureichende Erklärung, da sie allein jeweils nur eine der beiden Funktionen von Sprache konkret in den Blick nehmen und die andere vernachlässigen: Die These des Hermogenes eignet sich, um den kommunikativen Aspekt der Sprache zu erklären, ermöglicht aber keinen Bezug zwischen Name und Sache; die These des Kratylos rückt diesen Zusammenhang in den Mittelpunkt, vernachlässigt dabei aber die kommunikative Funktion.27 Eine Möglichkeit der Vermittlung zwischen beiden Theorien entsteht durch die Ideenlehre Platons.28 Wörter sind demnach Abbilder der Ideen, nicht die Dinge selbst. Das Wort hat einen Bezug zum echten Sein und zur Wahrheit, weil Ideen nach Platon das eigentlich Seiende sind. Der Namensgeber hat bei der Bildung der Namen also zunächst die Idee vor Augen. 29 Mit der Lehre von den Ideen entsteht ein dreiteiliges Modell von Wort, Sache und Idee. Platon hat stets das Verhältnis von ὄνομα als Lautgestalt und dem Gegenstand (πρᾶγμα) im Blick.30 Der Bildner der Namen gibt die Idee in der konkreten Lautgestalt wieder. Eine Unterscheidung zwischen Lautgestalt und Zeicheninhalt, wie sie bei Aristoteles deutlich hervortreten wird, ist für Platon nicht anzunehmen. Auch wenn er gelegentlich den Inhalt des sprachlichen Zeichens mitbedenkt, zeigt sich kein Bewusstsein für diese Unterscheidung.31

      Platon greift in seinen sprachphilosophischen Überlegungen das Modell auf, das bei Heraklit im Mittelpunkt steht, indem er sich der Sprache im Allgemeinen zuwendet. Im Kratylos wird bezüglich der Sprache vorrangig auf der Ebene der einzelnen Wörter argumentiert, auf welcher das Verhältnis von Wort und Gegenstand reflektiert wird. Platon lässt Sokrates neben der Wortebene auch immer wieder auf der Satzebene diskutieren. Es kann letztlich nicht geklärt werden, ob Platon den Satz im Kratylos noch als bloße Aneinanderreihung von Wörtern versteht (akkumulatives Satzmodell) versteht oder ob er, wie es sich anschließend für Tht. und Soph. zeigen wird, bereits von einem weiter entwickelten Modell ausgeht, das dem Satz einen Wahr- oder Falschheitsgehalt zurechnet.32

      Auch die Frage nach der Entstehung und Legitimation der Sprache wird im Krat. aufgeworfen:

      Σωκράτης: Τίνα οὖν τρόπον φῶμεν αὐτοὺς εἰδότας θέσθαι ἢ νομοθέτας εἶναι, πρὶν καὶ ὁτιοῦν ὄνομα κεῖσθαί τε καὶ ἐκείνους εἰδέναι, εἴπερ μὴ ἔστι τὰ πράγματα μαθεῖν ἀλλ᾽ ἢ ἐκ τῶν ὀνομάτων;

      Κρατύλος: Οἶμαι μὲν ἐγὼ τὸν ἀληθέστατον λόγον περὶ τούτων εἶναι, ὦ Σώκρατες, μείζω τινὰ δύναμιν εἶναι ἢ ἀνθρωπείαν τὴν θεμένην τὰ πρῶτα ὀνόματα τοῖς πράγμασιν, ὥστε ἀναγκαῖον εἶναι αὐτὰ ὀρθῶς ἔχειν. (Krat. 438b-c)

      Sokrates: Auf welche Weise also konnten wohl jene nach Erkenntnis Wörter festsetzen oder wortbildende Gesetzgeber sein, ehe überhaupt noch irgendeine Benennung vorhanden und ihnen bekannt war, wenn es nicht möglich ist, zur Erkenntnis der Dinge anders zu gelangen als durch die Wörter?

      Kratylos: Ich bin daher der Meinung, Sokrates, die wichtigste Erklärung hierüber werde sein, daß es eine größere als menschliche Kraft gewesen, welche den Dingen die ersten Namen beigelegt, und daß sie eben deshalb notwendig richtig sind. (Krat. 438b-c)

      Die größere Macht wird von Kratylos nicht weiter erläutert. Bei Philon und Paulus findet sich diese näher bestimmt.33

      (2) Theaitetos behandelt die Frage, was Wissen (ἐπιστήμη) ist.34 Gegen Ende des Dialogs wird die These aufgestellt, dass Wissen wahre Meinung sei, die mit einer Erklärung (λόγος) verbunden ist:

      ἔφη δὲ τὴν μὲν μετὰ λόγου ἀληθῆ δόξαν ἐπιστήμην εἶναι, τὴν δὲ ἄλογον ἐκτος ἐπιστήμης· καὶ ὧν μὲν μή ἐστι λόγος, οὐκ ἐπιστητὰ εἶναι, οὑτωσὶ καὶ ὀνομάζων, ἃ δ᾽ ἔχει, ἐπιστητά. (Tht. 201c-d)

      Er sagte nämlich, die mit ihrer Erklärung verbundene richtige Vorstellung wäre Erkenntnis, die unerklärbare dagegen läge außerhalb der Erkenntnis. Und wovon es keine Erklärung gebe, das sei auch nicht erkennbar, und so benannte er dies auch, wovon es aber eine gebe, das sei erkennbar. (Tht. 201c-d)

      Daran schließt sich eine Bestimmung des λόγος-Begriffs an. Erklärbar, und damit auch erkennbar, ist nur etwas Zusammengesetztes. So sind beispielsweise die ersten beiden Buchstaben des Namens ‚Sokrates’, also ‚s’ und ‚o’ nur nennbar, nicht erklärbar. Die erste Silbe ‚So’ hingegen ist erklärbar, nämlich als die beiden Einzelbuchstaben.35 In der Verknüpfung von Buchstaben als Namen und in der Verbindung von mehreren Namen liegt die Erklärbarkeit der Sprache. Platon ist damit bei der Auffassung von der Sprache als Satz angekommen.36 Von Sokrates schließlich wird die Ansicht, dass der Mensch ein Wissen von zusammengesetzten Dingen erwerben kann, als nicht haltbar ausgewiesen. Er selbst bietet drei Möglichkeiten für die Begriffsbestimmung von λόγος: Erstens ist der λόγος eine Äußerung von etwas Gedachtem. Diese Äußerung wird durch die Stimme und mit Hilfe der Wörter ermöglicht. In diesem Zusammenhang führt Platon erstmals die Unterscheidung von ὀνόματα (Substantiven) und ῥήματα (Verben) ein.37 Zweitens kann unter dem Lexem ein Ganzes verstanden werden, das aus einzelnen Teilen besteht, und drittens bestimmt Sokrates den λόγος als Angabe eines Merkmals, durch das sich das zu Erklärende von allen anderen unterscheiden lässt. Keine der Definitionen kann den λόγος zufriedenstellend erläutern, weshalb der Tht. noch keine Begriffsbestimmung zulässt.38 Dies ermöglicht Platon erst im Soph.,39 wonach eine sinnvolle Rede entsteht, indem Wörter miteinander verknüpft werden.40

      Der Verbindung einzelner Wörter geht eine Verbindung der Ideen voraus.41 Auch der Satz wird als eine solche Verknüpfung angesehen und zwar nicht allein als eine Verknüpfung von ὀνόματα, wie dies für den Tht. gilt, sondern von ὀνόματα und ῥήματα. Der Fokus liegt auf der Verbindung beider Wortklassen, da die Aneinanderfügung von Wörtern derselben Wortart keinen Sinn ergibt:

      Ξένος: Οὐκοῦν ἐξ ὀνομάτων μὲν μόνων συνεχῶς λεγομένων οὐκ ἔστι ποτὲ λόγος, οὐδ᾽ αὖ ῥημάτων χωρὶς ὀνομάτων λεχθέντων. (…)

      Θεαίτητος: Πῶς;

      Ξένος: Οἷον «βαδίζει» «τρέχει» «καθεύδει», καὶ τἆλλα ὅσα πράξεις σημαίνει ῥήματα, κἂν πάντα τις ἐφεξῆς αὔτ᾽ εἴπῃ, λόγον οὐδέν τι μᾶλλον ἀπεργάζεται.


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