Übersetzungstheorien. Radegundis Stolze
ist die Beziehung z.B. zwischen Gott und Wille in der Wendung der Wille Gottes? Offensichtlich ist es „Gott“, der zweite Bestandteil, der den ersten Bestandteil „will“. Wir können auch sagen: „B tut A“, d.h. „Gott will“. (…) In der Wendung der Gott des Friedens reden wir nicht von einem friedlichen Gott, sondern von Gott, der Frieden schafft oder verursacht. Die Beziehung zwischen A und B in diesem Beispiel ist fast genau das Gegenteil der Beziehung in der Wille Gottes; denn in der Gott des Friedens müssen wir sagen A verursacht B (NIDANida/TABER 1969:34).
Eine der wichtigsten Erkenntnisse der Transformationsgrammatik ist die Tatsache, dass es in allen Sprachen weniger als ein Dutzend syntaktischer Grundstrukturen gibt, aus denen mit Hilfe der Transformationen alle die vielfältigen Konstruktionen gebildet werden.
Im Deutschen z.B. kommen folgende Elementarsatzformen vor:
1. Hans läuft schnell. (HandlungHandlung einer Person)
2. Hans schlägt Willi. (Handlung mit zwei Personen)
3. Hans gibt Willi einen Ball. (Person und Sache)
4. Hans hat einen Hund. (Besitz)
5. Hans ist im Haus. (Ort)
6. Hans ist krank. (Eigenschaft)
7. Hans ist ein Junge. (Klassifizierung)
8. Hans ist mein Vater. (Relation)
Vergleichbare Sätze gibt es in vielen Sprachen. Auf der Ebene der Elementarsätze findet sich mehr Übereinstimmung zwischen den Einzelsprachen als auf der Ebene der Oberflächenstrukturen. „Wenn wir die oben genannten Wendungen im Hinblick auf ihre einfachsten und eindeutigsten Beziehungen gliedern, erhalten wir folgende Reihe“ (NIDANida/TABER 1969:36):
Biblische Wendung | eindeutig gekennzeichnete Beziehung |
der Wille Gottes | Gott will |
der Bau des Hauses | (jemand) baut das Haus |
der Gott des Friedens | Gott schafft/verursacht Frieden |
der Heilige Geist der Verheißung | (Gott) verhieß den Heiligen Geist |
das Wort der WahrheitWahrheit | das Wort ist wahr; das wahre Wort |
der Reichtum seiner Gnade | Er erweist Gnade in reichem Maße |
die Männer der Stadt | die Männer wohnen in/ stammen aus der Stadt |
der Berg des Tempels | der Tempel steht auf dem Berg |
der Herr des Sabbats, [etc.] | einer, der den Sabbat anordnet, [etc.]“ |
NIDANida geht es also um die Suche nach der inhärenten BedeutungBedeutung syntaktischer Fügungen, ganz anders als etwa beim Vergleich der SyntaxSyntax in der Stylistique comparéeStylistique comparée (s. Kap. 5.1). Bei der Frage nach der Wortbedeutung1 verweisen NIDA/TABER auf die Kennzeichnung durch Syntax und Sinnbeziehungen in Begriffsklassen:
Wie ein Wort zu verstehen ist, d.h. welcher Kategorie es zugeordnet wird, hängt völlig vom jeweiligen KontextKontext ab. Z.B. in dem Satz ich sehe die Sonne bezeichnet die Lautung sonne einen Gegenstand; in ich sonne mich gerne steht sie für ein Ereignis; und in das ist doch sonnenklar dient sie als Teil eines Abstraktums (NIDANida/TABER 1969:35).
2.) In der TransferphaseTransferphase sind dann die gewonnenen Elementarsätze in der ZielspracheZielspraches. ZS stilistisch so zu bearbeiten, dass die Formulierungen für die anvisierten EmpfängerEmpfänger verständlich sind. Dabei werden viele Anpassungen nötig, idiomatische Redewendungen gehen verloren, Bedeutungskomponenten von Wörtern werden verschoben, oft müssen Erläuterungen in den Text eingebaut oder dieser mit Fußnoten ergänzt werden. Durch die Analyse werden komprimierte Wendungen notwendig vereinfacht, aber auch klarer verständlich. Natürlich entgehen solche Vereinfachungen oft nicht dem Vorwurf der Banalisierung, weil einem Text durch die interpretierende Festlegung auf eine BedeutungBedeutung seine Tiefe genommen wird. Andererseits verliert eine dunkle Formulierung auch ihre Wirkung auf den Leser und die Leserin.
Zu welchem Ergebnis solche analytischen Vereinfachungen im TransferTransfer führen, zeigt der Vergleich einer Bibelstelle aus dem Hebräerbrief, Kapitel 11, Verse 1–3 in der Übersetzung Martin Luthers und in anderen Übersetzungen.
Vor allem am Anfang der siebziger Jahre wurde mit neuen Bibelübersetzungen im Gefolge NIDAS versucht, die Botschaft verständlicher zu machen. (Die Übertragungen Luthers und die Einheitsübersetzung sind die gegenwärtig in deutschen Kirchen verwendeten Textfassungen):
LutherLuther , rev. Fassung 2017
Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht dessen, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht. 2In diesem Glauben haben die Alten Gottes Zeugnis empfangen. 3Durch den Glauben erkennen wir, daß die Welt durch Gottes Wort geschaffen ist, daß alles, was man sieht, aus nichts geworden ist.
Kath. Einheitsübersetzung, 1980
Glaube aber ist: Feststehen in dem, was man erhofft, Überzeugtsein von Dingen, die man nicht sieht. 2Aufgrund dieses Glaubens haben die Alten ein ruhmvolles Zeugnis erhalten.
3Aufgrund des Glaubens erkennen wir, daß die Welt durch Gottes Wort erschaffen worden und daß so aus Unsichtbarem das Sichtbare entstanden ist.
Zürcher Bibel, 1942
Es ist aber der Glaube eine Zuversicht auf das, was man hofft, eine Überzeugung von Dingen, die man nicht sieht. 2Denn auf Grund von diesem [Glauben] haben die Altvordern [ein gutes] Zeugnis empfangen. 3Durch Glauben erkennen wir, dass die Welten durch ein [Allmachts-]Wort Gottes bereitet worden sind, damit nicht [etwa] aus wahrnehmbaren Dingen das Sichtbare entstanden sei.
Ulrich Wilckens, 1970
Glaube aber, das ist die Wirklichkeitsgrundlage für das, worauf man hofft, der Nachweis von Dingen, die man nicht sehen kann. 2Seinetwegen ist unseren Vätern (in der Schrift) ein gutes Zeugnis ausgestellt worden. 3Im Glauben nehmen wir wahr, daß die Weltzeiten durch die Kraft des Wortes Gottes geschaffen sind, so daß das Sichtbare aus dem Unsichtbaren entstanden ist.
Jörg Zink, 1965
Glaube besteht darin, daß das gegenwärtige Leben durch die Hoffnung auf Künftiges bestimmt ist, daß es sich dem unsichtbaren Wirken Gottes aussetzt und sich von ihm prägen läßt. 2Weil sie so glaubten, werden die Alten in der heiligen Schrift erwähnt. 3Weil wir so glauben, haben wir die Fähigkeit, zu erkennen, daß die Welten durch Gottes Wort geschaffen wurden, daß das Sichtbare aus dem Unsichtbaren hervorging.
Die Gute Nachricht, 1967
Gott vertrauen heißt: sich verlassen auf das, was man hofft, und fest mit dem rechnen, was man nicht sehen kann. 2Durch solches Vertrauen haben vorbildliche Menschen früherer Zeiten bei Gott Anerkennung gefunden. 3Weil wir Gott vertrauen, wissen wir: Die Welt ist durch sein Wort geschaffen worden; das Sichtbare ist aus dem Unsichtbaren entstanden. [Übersetzung aus einer amerikanischen Version.]
Neue Genfer Übersetzung, 1995
Was ist denn der Glaube? Er ist ein Rechnen mit der Erfüllung dessena, worauf man hofft, ein Überzeugtsein von der Wirklichkeit unsichtbarer Dingeb. 2Weil unsere Vorfahren diesen Glauben hatten, stellt Gott ihnen in der Schriftc ein gutes Zeugnis aus. 3Wie können wir verstehen, daß die Welt durch Gottes Wort entstanden istd? Wir verstehen es durch den Glauben. Durch ihn erkennen wir, daß das Sichtbare seinen Ursprung in dem hat, was man nicht sieht.
a) Od Er ist die Garantie für die Erfüllung dessen.
b) Od ein Mittel, um die Wirklichkeit unsichtbarer Dinge kennenzulernen.