Übersetzungstheorien. Radegundis Stolze
1992:216).
Die beispielbezogene Darstellung der Problematik im Rahmen der normativen Äquivalenzforderungen orientiert sich zunächst im Bereich der „denotativen ÄquivalenzÄquivalenzs. Entsprechung“ an den linguistisch festgestellten potentiellen Äquivalenzbeziehungen von Wörtern (s. Kap. 4.3) zwischen den Sprachen (vgl. KOLLERKoller 1992:228–266).
1. Die Eins-zu-eins-EntsprechungEntsprechung (Äquivalent)
Übersetzungsschwierigkeiten treten nur auf, wenn in der ZS synonymische Varianten gegeben sind. Es gibt drei Fälle: a) aus dem Textzusammenhang oder aufgrund allgemeinen Wissens kann erschlossen werden, welche der potentiellen Entsprechungen zutrifft (e. car – dt. Auto, Wagen); b) es ist im betreffenden Fall irrelevant; c) es besteht zs eine grammatische Lücke. Als ÜbersetzungsverfahrenÜbersetzungsverfahren bietet sich hier die Wiedergabe in der ZS des Oberbegriffs als Summe der Unterbegriffe an (dt. Gezeiten – russ. otliv i riliv/Ebbe und Flut), oder es wird auf einen anderen Sammelbegriff ausgewichen (statt Geschwister wird Kinder verwendet).
2. Die Viele-zu-eins-EntsprechungEntsprechung (Neutralisation)
Bei der Übersetzung kann die in der ZS-EntsprechungEntsprechung neutralisierte DifferenzierungDifferenzierung durch adjektivische und Genitiv-Attribute, Zusammensetzungen, adverbiale Zusätze etc. ausgedrückt werden (z. B. sw. morfar – dt. Großvater mütterlicherseits).
3. Die Eins-zu-Null-EntsprechungEntsprechung (Lücke)
Solches sind echte Lücken im lexikalischen System der ZS, in Bezug auf den ÜbersetzungsauftragÜbersetzungsauftrag sind es nur vorläufige Lücken, die zu schließen sind. Es bieten sich fünf ÜbersetzungsverfahrenÜbersetzungsverfahren an:
a. Übernahme des AS-Ausdrucks; b. Lehnübersetzung; c. Verwendung eines in der ZS bereits in ähnlicher BedeutungBedeutung vorhandenen Ausdrucks; d. Der AS-AusdruckAusdruck wird in der ZS umschrieben, kommentiert oder definiert (Explikation oder definitorische Umschreibung); e. AdaptationAdaptation als Ersetzung des mit einem AS-Ausdruck erfassten Sachverhalts durch einen Sachverhalt, der im kommunikativen Zusammenhang der ZS eine vergleichbare Funktion hat.
4. Die Eins-zu-Teil-EntsprechungEntsprechung
Klassisches Beispiel sind die Farbbezeichnungen verschiedener Sprachen (s. Kap. 2.3), in denen das Farbenspektrum unterschiedlich segmentiert wird. Oft werden auch die sog. charakteristischen, unübersetzbaren Wörter angeführt (dt. Geist, frz. esprit, russ. toská; dt. SinnSinn, Geist, Verstand, Feinsinnigkeit sind Teil-Entsprechungen zu frz. esprit; dt. Sehnsucht, Sorge, Melancholie, Trauer, Niedergeschlagenheit, Langeweile zu russ. toská, und e. mind, intellect, intelligence, thinking faculty, spirit, human spirit zu dt. Geist). Wo die ÜbersetzbarkeitÜbersetzbarkeit an Grenzen stößt, kommen nur noch kommentierende ÜbersetzungsverfahrenÜbersetzungsverfahren in Frage, das sind Fußnoten, Anmerkungen oder Zusätze im Text (vgl. die Darstellung bei KOLLERKoller 1992:229ff).
Wenn aufgrund der Entsprechungstypen auf der languelangues. Sprachsystem-Ebene Übersetzungsschwierigkeiten auf der paroleparoles. Rede, Äußerung-Ebene auftreten, sind bestimmte ÜbersetzungsverfahrenÜbersetzungsverfahren anzuwenden. Sprachliche Ausdrücke haben jedoch nicht nur denotative BedeutungBedeutung, mit ihrem textspezifischen Gebrauch werden auch konnotative Werte vermittelt. Beachtet man den Bereich der „konnotativen ÄquivalenzÄquivalenzs. Entsprechung“, so werden die zuvor unter rein denotativem AspektAspekt besprochenen Typen von Eins-zu-eins-Entsprechungen zu Teil-Entsprechungen.
Die ÜbersetzungswissenschaftÜbersetzungswissenschaft hat die Aufgabe, die konnotativen Dimensionen und Werte in den Einzelsprachen zu charakterisieren, ihre Merkmale und Strukturelemente herauszuarbeiten und diese in Beziehung zu den Konnotationsdimensionen der jeweiligen Zielsprachen zu setzen. Die Herstellung konnotativer ÄquivalenzÄquivalenzs. Entsprechung gehört zu den meist nur annäherungsweise lösbaren Problemen des Übersetzens (KOLLERKoller 1992:241).
Der StilStil eines Textes ergibt sich aus dem spezifischen Vorkommen, der Frequenz, Distribution und Kombination von konnotativ wertigen sprachlichen Einheiten auf Wort-, Syntagma-, Satz- und Abschnittsebene. Die stilistische Übersetzbarkeitsproblematik resultiert daraus, dass sich die Systeme der stilprägenden konnotativen Werte in den verschiedenen Sprachen nicht eins-zu-eins decken. Der ÜbersetzerÜbersetzer soll optimale konnotative Entsprechungen suchen, er kann auch „konnotative Werte, die nicht erhalten werden können, durch kommentierende Verfahren (…) vermitteln“ (1992:242f).
KOLLERKoller charakterisiert übersetzungsrelevante konnotative Dimensionen. So zum Beispiel:
(a) Konnotationen der Sprachschicht (+gehoben, dichterisch, normalsprachlich, +umgangssprachlich, Slang, +vulgär), vgl. sterben ist normalsprachlich-unmarkiert, entschlafen und das Zeitliche segnen gehören der gehobenen Stilschicht an, abkratzen ist salopp-umgangssprachlich, krepieren und verrecken sind vulgär.
(b) Konnotationen sozial bedingten Sprachgebrauchs (+studentensprachlich, +soldatensprachlich, +SpracheSprache der Arbeiterschicht, Sprache des Bildungsbürgertums). KOLLERKoller erwähnt einen Brief Henrik lbsens an seinen ÜbersetzerÜbersetzer, in dem er auf Übersetzungsschwierigkeiten in „Vildanden“ („Die Wildente“) hinweist: „’Die Wildente’ enthält zudem ganz besondere Schwierigkeiten, indem man mit der norwegischen Sprache sehr vertraut sein muß, um verstehen zu können, wie konsequent jede einzelne Person im Stück ihre eigentümliche, individuelle Art hat, sich auszudrücken, wodurch gleichzeitig das Bildungsniveau der betreffenden Person markiert wird. Wenn zum Beispiel Gina spricht, muß man unmittelbar hören können, daß sie nie GrammatikGrammatik gelernt hat und daß sie den unteren Gesellschaftsschichten entstammt. Und so auf je verschiedene Weise für alle anderen Personen auch. Die Aufgabe des Übersetzers ist also keineswegs einfach zu lösen. (Übersetzung von mir, W.K.)“ (1992:243f).
Der Bereich der „textnormativen ÄquivalenzÄquivalenzs. Entsprechung“ bezieht sich dann auf das Feld der Gebrauchsnormen. „Vertragstexte, Gebrauchsanweisungen, Geschäftsbriefe, wissenschaftliche Texte usw. folgen hinsichtlich Auswahl und Verwendungsweise sprachlicher Mittel im syntaktischen und lexikalischen Bereich bestimmten sprachlichen Normen (Stilnormen), deren Einhaltung in der Übersetzung Herstellung textnormativer ÄquivalenzÄquivalenzs. Entsprechung bedeutet“ (1992:247). Die Bedingungen der TextsorteTextsorte steuern dabei die Selektion der sprachlichen Mittel und den TextaufbauTextaufbau. Sprachliche Veränderungen sind hier möglich aufgrund der in der ZS geltenden anderen Textnormen.
Schließlich muss die Übersetzung auf die LeserLesers. Empfänger in der ZS „eingestellt“ werden: dies heißt, „pragmatische ÄquivalenzÄquivalenzs. Entsprechung“ herzustellen. Dabei ist für den AS- und ZS-Text von unterschiedlichen Rezeptionsbedingungen auszugehen, und der ÜbersetzerÜbersetzer muss sich stets fragen, wie weit er in den Text bearbeitend eingreifen kann und soll. Im Hinblick auf die Wissensvoraussetzungen der ZS-LeserLesers. Empfänger besteht sowohl die Gefahr der Leserunterschätzung als auch der -überschätzung. In der Diskussion der Übersetzungsbeispiele wird eine „übersetzerische Tendenz zur Einebnung, zur Normalisierung“ festgestellt (1992:252), wobei kommentierende ÜbersetzungsverfahrenÜbersetzungsverfahren zu den „harmlosen Eingriffen“ gezählt werden.
Die Herstellung „formal-ästhetischer ÄquivalenzÄquivalenzs. Entsprechung“ im ZS-Text bedeutet schließlich „Analogie der Gestaltung“ unter Ausnutzung der in der ZS vorgegebenen Gestaltungsmöglichkeiten. KOLLERKoller definiert:
Aufgabe der ÜbersetzungswissenschaftÜbersetzungswissenschaft ist es, die Möglichkeiten formal-ästhetischer ÄquivalenzÄquivalenzs. Entsprechung im Blick auf Kategorien wie Reim, Versformen, Rhythmus, besondere stilistische (auch individualstilistische und werkspezifische) Ausdrucksformen in SyntaxSyntax und LexikLexik, Sprachspiel, Metaphorik etc. zu analysieren. (…) (Solche