Stil und Text. Michael Hoffmann
in großer Zahl. Dabei werden originelleOriginalität GestaltungsideenGestaltungsidee realisiert – wie in einer Werbeanzeige für den Peugeot 806, in der das ThemawortThemawort, d.h. der Produktname, in einen kindlichen, krakelig handgeschriebenen, orthographisch fehlerhaften „Erpresserbrief“ integriert worden ist – ein weiterer Fall von MustermischungMustermischung (siehe Text 13):
Beispieltext 13 : Werbeanzeige (als „Erpresserbrief“)
Die „Erpressung“ ist bemerkenswerterweise großformatig zum Blickfang gemacht worden; ein kleinformatiges Foto zeigt eine zum Briefinhalt passende Straßenszene mit Kino und davor parkendem Auto, trägt also auch zum VerdeckenVerdecken des Themas bei. Häufiger sind indes Fälle, wo BlickfangbilderBlickfangbild (Catch-Visuals) instrumentalisiert werden, um den Rezeptionsvorgang zunächst in eine andere Richtung zu lenken, etwa wenn in der Automobil-Werbung großformatig ein Goldfisch abgebildet ist, der aus einem kleinen Wasserglas in ein größeres springt. Barbara Sandig (2006: 354) sieht in solchen Gestaltungsweisen eine „thematische Irreführung“. Auf den KommunikationsbereichKommunikationsbereich bezogen, kann man auch von werbekommunikativen TravestieTravestie, werbekommunikativen sprechen (vgl. Hoffmann 2012b: 188). Das Thema wird zwar verdeckt, soll aber dennoch entdeckt werden.
VerschweigenVerschweigen des Themas: Immer dann, wenn der Titel eines Textes keinerlei Hinweis auf das Thema gibt, liegt ein Verschweigen vor. So trägt eine Reisereportage über den Iran (Text 5) den Titel Niemand trägt ein Pokerface, dem man nicht den geringsten thematischen Fingerzeig entnehmen kann. Der Titel stellt sich als ein Zitat aus dem Haupttext heraus, als Wiedergabe einer Impression von den Menschen, die der Reporterin bei ihrer Reise durch den Iran begegnet sind.
Alle diese Gestaltungsweisen haben letztlich zum Ziel, das Thema (vorerst) nicht offenzulegen, sondern zu verrätseln, RätselhaftigkeitRätselhaftigkeit zu erzeugen. Das Gegenstück dazu ist die KlarheitKlarheit der Themenformulierung. Doch wodurch erscheint uns ein Thema als klar formuliert? Klarheit hat sicher nicht unbedingt etwas mit Ausführlichkeit zu tun. Dem Titel des Romans „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969“ von Frank Witzel mangelt es gewiss nicht an Ausführlichkeit, doch klar ist er nicht. Klarheit hat mit Eindeutigkeit zu tun. Eine klare, d.h. eindeutige FormulierungFormulierung des Themas kristallisiert sich z.B. in den Titeln wissenschaftlicher Texte (wie „Propaganda und Film im ‚Dritten Reich‘“ von Wolf Donner), in den Bezeichnungen von Speisen, die zu ThemawörternThemawort in den Überschriften von Kochrezepten geworden sind (Text 10: Pasta in der Parmesankruste), in den Betreffzeilen privater E-Mails (Unser Treffen am Wochenende) oder amtlicher Schreiben (Mieterhöhung zum 1. Februar).
c) Arten hervorhebender Positionierung des Themas
Klar oder rätselhaft formulierte Themen können hervorgehoben werden. Beim GestaltungsaktGestaltungsakt des HervorhebensFokussieren können diverse Verfahren der Positionierung zum Einsatz kommen. Hervorgehoben werden kann ein Thema bspw., indem man es zum Titel auf den Einbänden von Büchern macht, indem man es in die Überschrift von Texten setzt (wie in Kochrezepten), indem man es in die Betreffzeilen privater E-Mails oder amtlicher Schreiben aufnimmt.
Die hervorhebenHervorhebenFokussierende Positionierung des Themas zeigt sich auch in folgenden Verfahren:
Lemmatisieren des Themas: Das Thema wird zu einem Stichwort (Lemma) in Nachschlagewerken gemacht (siehe Text 12: Brandstiftung).
Einbinden des Themas in eine Schlagzeile: Als Beispiel die Schlagzeile Brandstiftung in Berlin-Wilmersdorf (Text 11). Das Thema wird in Schlagzeilen häufig zusätzlich typographischTypographie/typographisch hervorgehoben (Fettdruck, größere Schrift).
Flächendeckendes WiederholenWiederholen des Themas: Als Beispiel ein politischer Werbebrief (Text 14), der eine fortlaufende Wiederholung des Themas ‚Fusion von Berlin und Brandenburg‘ über die gesamte Textfläche hinweg aufweist. Man beachte die relevanten Wortgruppen, von denen die meisten die Toponyme Brandenburg und Berlin enthalten:
Brandenburg und Berlin – das stärkere Land Berlin-Brandenburg – ein Land Berlin-Brandenburg – dieses größere, stärkere Land – für die ganze Region Berlin-Brandenburg – in einem gemeinsamen Land Berlin-Brandenburg – ein stärkeres Land Berlin-Brandenburg – mit der Bildung eines gemeinsamen Landes – für Berlin-Brandenburg – gemeinsam mit Berlin.
Beispieltext 14 : Politischer Werbebrief
Mit diesem Werbebrief waren die Abstimmungsberechtigten des Bundeslandes Brandenburg angesprochen, beim Volksentscheid über die Fusion von Berlin und Brandenburg im Jahre 1996 mit Ja zu stimmen. Das flächendeckende WiederholenWiederholen des Themas folgt dem GestaltungsprinzipGestaltungsprinzip EinprägsamkeitEinprägsamkeit, steht aber noch in einem anderen Gestaltungszusammenhang, auf den unter d) eingegangen wird. Anders liegen die Dinge im Gedicht „markierung einer wende“ von Ernst Jandl (Text 8). Hier kann man zwar auch von einer flächendeckenden Wiederholung (hier des Substantivs krieg) sprechen, doch damit ist das Thema des Gedichts keinesfalls erfasst; es wird lediglich augenfällig angedeutetAndeuten.
d) Arten der Modalisierung von Thema, thematischen Einstellungen und ThemenentfaltungThemenentfaltung
Im Folgenden geht es um stilistische EinstellungEinstellungstilistischeen und ihr Verhältnis zu den thematischen Einstellungen. Man kann gegenüber thematischen Textinhalten eine positive oder negative Einstellung zum Ausdruck bringen, behauptete Textinhalte für ‚unbestreitbar‘, ‚wahrscheinlich‘ oder ‚falsch‘ halten, in die Zukunft weisende Textinhalte für ‚überflüssig‘, ‚wünschenswert‘ oder ‚notwendig‘ erklären usw. Es handelt sich um verschiedene Arten der Modalisierung thematischer Textinhalte, die Klaus Brinker (2010: 92) als „thematische EinstellungEinstellungthematischeen“ bezeichnet (in Analogie zu den propositionalen Einstellungen in der Sprechakttheorie). Sie verdienen auch in stilistischer Hinsicht Aufmerksamkeit, da ihr Vorkommen auf das GestaltungsprinzipGestaltungsprinzip SubjektivitätSubjektivität verweist, ihr Fehlen demzufolge auf das Gestaltungsprinzip ObjektivitätObjektivität. Subjektivität und Objektivität repräsentieren einen anderen Einstellungstyp. Sie gelten als stilistische Einstellungen, als einstellungsbekundende Gestaltungsprinzipien. Um den Unterschied, aber auch den Zusammenhang zwischen thematischen und stilistischen Einstellungen deutlicher zu erkennen, werfen wir nochmals einen Blick auf den politischen Werbebrief von Manfred Stolpe (Text 14). In diesem Text nimmt der Textproduzent mit dem Hauptsatz Ich bin für ein Land Berlin-Brandenburg prononciert Stellung zur geplanten ‚Länderfusion von Berlin und Brandenburg‘ (als TextthemaTextthema). Er modalisiert das Thema mit dem Ausdrücken einer positiven Einstellung, indem er seine Zustimmung artikuliert. Zugleich fällt auf, dass dieser Satz dreimal hintereinander wiederholtWiederholen wird, insgesamt also viermal vorkommt, wobei jedes Mal ein weil-Satz folgt, mit dem die TexthandlungTexthandlung ARGUMENTIERENARGUMENTIEREN ausgeführt wird. Mit dieser auffälligen Wiederholung von Ich bin für ein Land Berlin-Brandenburg, die sich als Kombination der StilfigurenStilfigur AnapherAnapher und ParallelismusParallelismus beschreiben lässt, wird nicht das Thema, sondern die thematische Einstellung ‚Zustimmung‘ modalisiert. Der Textproduzent gestaltet seine Zustimmung eindringlich. Zustimmung ist eine thematische, EindringlichkeitEindringlichkeit eine stilistische Einstellung. Ähnliches kommt in der zweiten Texthälfte vor. Mit dem Hauptsatz Es ist einfach wahr modalisiert der Textproduzent den Inhalt des Nebensatzes daß ein stärkeres Land Berlin-Brandenburg sich […] besser behaupten kann dergestalt, dass er ihn für ‚unbestreitbar‘ hält. Der Textproduzent artikuliert Gewissheit. Und auch bei dieser Textpassage wird die thematische Einstellung mehrfach hintereinander ausgedrückt