Stil und Text. Michael Hoffmann

Stil und Text - Michael Hoffmann


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von Terminalmobiliar‘ formuliert und begründet der Textproduzent zwei Thesen; er entfaltet das Thema also argumentativ. Schauen wir uns die beiden Thesen und ihre Begründung näher an.

      These 1: Das Motiv der Aktion, den Wartebereich im Bearbeitungszentrum wohnlicher zu gestalten, ist zumindest gut gedacht.

      Wir registrieren zwar zunächst eine positive Haltung (gegenüber der Aktion) als thematische EinstellungEinstellungthematische, die von ErnstErnst als stilistischer Einstellung geprägt zu sein scheint, doch die mit der Konjunktion denn angeschlossene Begründung (denn die Möbel verkörpern perfekt die Kombination von Anziehung und Abschreckung) offenbart das ganze Gegenteil. Was als Lob formuliert ist, stellt sich als Tadel heraus. Der Wechsel von Lob zu Tadel ist aprosdoketisch gestaltet: Während die Wörter perfekt und Anziehung noch Wörter mit positiver Wertung sind, folgt mit dem unvermittelt angeschlossenen Wort Abschreckung ein negativ wertendes Wort. Auch zwischen These 1 und ihrer Begründung konstituiert sich somit ein textlicher WiderspruchWiderspruchtextlicher.

      These 2: In der Bundesallee können sie zweifellos noch mehr von diesen Sachen gebrauchen.

      Wir registrieren die thematische EinstellungEinstellungthematische ‚Gewissheit‘ (Indikator: das Modalwort zweifellos), die ebenfalls stilistisch ernst formuliert ist. Der textliche Widerspruch zwischen These 2 und ihrer Begründung gibt sich aber hier auf eine andere Weise zu erkennen. Es wird der Vorschlag unterbreitet, pensioniertes Flughafenpersonal zu rekrutieren, weitere Ausstattungsgegenstände des Terminals (Empfangs-Counter; Anzeigensystem mit großen Bildschirmen) für die Bearbeitung von Flüchtlingsanliegen einzusetzen und dabei die Flughafensprache zu adaptieren (vgl. Wohnheim in Hellersdorf gecancelt u.a.). Das aber widerspricht dem gesunden Menschenverstand und kann deshalb nur unernst gemeint sein.

      Stilistischer UnernstUnernst erfasst in diesem Text die gesamte argumentative ThemenentfaltungThemenentfaltung. Das Muster der journalistischen TextsorteTextsorte Glosse sieht ‚spöttische IronieIronie/Ironisieren‘ als stilistische EinstellungEinstellungstilistische vor, eine „distanziert-spöttische Modalität“ (Lüger 1995: 137). Glossen werden auch als eine Textsorte beschrieben, in deren Muster ParadoxieParadoxie/Paradox-Machen und Nonsens angelegt sind (vgl. Schalkowski 1998: 314). Auch das sind zweifellos Erscheinungsformen von stilistischem Unernst; sie sind aber im Textsortenrahmen Glosse dem GestaltungsprinzipGestaltungsprinzip Ironie untergeordnet.

      Doch woran ist ‚SpottSpott‘ erkennbar, und wogegen richtet er sich eigentlich? Glossisten stehen vor einer ziemlich komplizierten Aufgabe. Sie müssen erstens in menschlichem Handeln und Verhalten einen „komischen WiderspruchWiderspruchkomischer“ (Pötschke 2010: 268f.) entdecken und zum Thema machen: eine Diskrepanz etwa zwischen postulierter Stärke und tatsächlicher Schwäche, zwischen erhobenem Anspruch und der Aussichtslosigkeit seiner Verwirklichung, zwischen erklärter Absicht und erzieltem Ergebnis oder – wie im Beispieltext – zwischen Handlungsziel und Handlungsmitteln. Glossisten müssen zweitens den thematisierten komischen WiderspruchWiderspruchkomischer zum Spottobjekt, zur Zielscheibe von Spott als stilistischer Einstellung machen. Dabei bewährt sich der GestaltungsaktGestaltungsakt des IronisierensIronie/Ironisieren und diesem Zusammenhang ein spezielles Ironiesignal: das Konstruieren textlicher Widersprüche (im Beispieltext zwischen Schlagzeile und Haupttext sowie zwischen den Thesen und ihrer Begründung). Durch den Gestaltungsakt des Ironisierens wird das Thema verdeckt und der Widerspruch der Lächerlichkeit preisgegeben. Glossen sind satirische Texte. Weiteres zu Ironie und SatireSatire in 3.1.2.

      Wer sich im Beispieltext auf die Suche nach Indikatoren von stilistischem UnernstUnernst begibt, die nicht als Ironiesignale fungieren, findet u.a. auch noch dies:

       ein texteröffnendes ZeugmaZeugma: Berlin hat zwei Baustellen: den Flughafen und die Probleme mit der Unterbringung von Flüchtlingen;

       drastische Vergleiche und MetaphernMetapher/Metaphorisieren: wehtun wie Sau; den Flughafen ausschlachten wie ein rostiges Auto; ein lendenlahmer Flughafen;

       eine scherzhafte Wortschöpfung: die WortkreuzungKontamination (Kontamination) drölfzig (vgl. drölfzig Millionen), gebildet offenbar aus den ZahlwörternZahlwort drei, zwölf und zwanzig o.Ä., mit der BedeutungSemantik/semantisch ‚unbestimmter, größerer Zahlbegriff‘.

      DISKUSSION

       Um stilistische EinstellungEinstellungstilistische en terminologisch zu fixieren, werden in der Literatur auch die Begriffe InteraktionsmodalitätInteraktionsmodalität und KommunikationsmodalitätKommunikationsmodalität verwendet. Sind das alles SynonymeSynonym/synonymisch ?

      Unter ‚InteraktionsmodalitätInteraktionsmodalität‘ wird „die Geltungsweise von Redeteilen“ verstanden, „mit der der Sprecher eine bestimmte Einstellung zum Gesagten ausdrückt, aber auch die Art der Interaktion definiert“ (Schwitalla 1997: 185). Während ‚Interaktionsmodalität‘ vor allem eine gesprächsstilistische Kategorie ist, erfasst der Begriff KommunikationsmodalitätKommunikationsmodalität Einstellungen, die textstilistisch relevant sind, die einen Text insgesamt prägen (vgl. Lüger 1995: 105). Bei beiden Bestimmungen bleibt offen, ob nicht auch thematische EinstellungEinstellungthematischeen unter die Begriffe subsumierbar sind. Beide Bestimmungen lassen dies aber zu. Insofern können die beiden TerminiTerminus als Oberbegriffe für thematische wie stilistische EinstellungEinstellungstilistischeen verwendet werden.

      2.4.2.3 TextarchitekturTextarchitektur: Stil als das Wie textarchitektonischer Gestaltung

      Mit der Vertextungsebene TextarchitekturTextarchitektur kommt der äußere Aufbau eines Textes als Gestaltungsobjekt in das Blickfeld, d.h. die Gliederung eines Textes in visuell voneinander absetzbare Teiltexte (Textbausteine). Der Begriff TextarchitektonikTextarchitektonik erfasst im Unterschied dazu eine ganzheitliche Gestaltungsweise, nämlich die Art und Weise, wie sich die Fläche eines Textes in einzelne Bausteine aufgeteilt präsentiert, wie sich die Bausteine zu einem Ganzen zusammenfügen. Aus der Ganzes-Teil-Relation geht zugleich hervor, welcher Art die Textbausteine sind. Textarchitektonische Gestaltungsweisen sind StilgestaltenStilgestalt (vgl. zu diesem Begriff 2.3.1). Das allgemeine Gliederungsprinzip der visuellen Gliederung konstituiert eine formale GestaltqualitätGestaltqualität; die Textbausteine bilden die GestalteinheitenGestalteinheit. Zahlreiche Textarten (TextsortenTextsorte, Textgattungen) weisen textarchitektonische Charakteristika auf, sodass die Textarchitektonik zum Indikator der Textart wird. Wir stellen einiges in einer Übersicht zusammen.

Textart (TextsorteTextsorte / Textgattung)Textarchitektonik:Textarchitektonik Gefüge aus textarttypischen Textbausteinen
ComicsMosaik aus Bildkästchen (Panels) – Sprech- und Denkblasen
DramentexteProlog – Akt (Aufzug) – Szene (Auftritt/Bild) – Epilog
Fahrpläne, Kalender, Programmübersichten u.a.Tabelle mit Spalten (vertikal) und Zeilen (horizontal)
Fragebögen, FormulareErfragte Angaben – vorgezeichnete leere Antwortfelder
GesetzestextePräambel (Initialteil) – Paragraphensequenz (Textkern) – Datierung (Terminalteil)
HypertexteStartseite – Navigationsleiste – Hyperlinks – verlinkte Module
Journalistische Texte (Medienberichte, Porträts, Reportagen u.a.)Schlagzeile – Lead (Vorspanntext) – Haupttext
Lyrische TexteStrophe – Verszeile(bei Liedern Strophen auch als Refrain)
Offizielle Sachbriefe(vgl. Heinemann/Viehweger 1991: 162ff.)Briefkopf (Initialteil) – Briefkern (Textkern) – Briefschluss (Terminalteil)
Veranstaltungsflyer(vgl. Androutsopoulos 2000)TEAM (Veranstalter) – MOTTO (Veranstaltungstitel) – AKTEURE (Mitwirkende) – DATEN (Ort, Zeit, Eintrittspreis u.a.) – SPONSOREN (Geldgeber) – VISUAL (Bildelement)
Werbeanzeigen(vgl. Janich 2010: 53ff.)Schlagzeile –
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