Sittes Welt. Группа авторов
spendende Sonne geschoben. Bedrohungen durch den Menschen, die Atombombe, den Krieg, den Kapitalismus und Imperialismus sind es, welche die lebensfrohe Idylle überschatten und in apokalyptischen Altären, wie Höllensturz in Vietnam (1966/67, S. 366 f), Son-My (1970)83, Jeder Mensch hat ein Recht auf Leben und Freiheit (1973)84 beschworen werden.
Parallel zu Sittes ab 1965 an Fahrt aufnehmender Karriere85 schwand jedoch sein Vertrauen auf den Erfolg des Staatsunternehmens DDR. Die Gründe waren politischer und ökonomischer Art: Der Widerstand der konservativen Parteifunktionäre in Politbüro und ZK gegen das von Ulbricht mit Hilfe pragmatischer Technokraten konzipierte Neue ökonomische System bekam Aufwind durch Chruschtschows Sturz Ende 1963 und die darauffolgende Ausrichtung der sowjetischen Politik auf den militärisch-industriellen Komplex im Donezbecken. Am 14. Oktober 1964 beschloss sein Nachfolger Leonid Breschnew (1906–1982) überraschend einen Politikwechsel, der statt Reformen einer militärischen Aufrüstung den Vorzug gab als Reaktion auf die expandierende militärische Intervention der USA in Vietnam. Damit veränderten sich schlagartig die bisherigen terms of trade für die DDR: Die Sowjetunion als Rohstofflieferantin verteuerte schrittweise bis in die 1980er Jahre die Erdölpreise, während die DDR ihre hochwertigen Fertigprodukte in Zukunft zu Dumpingpreisen zu liefern hatte. Für Sitte war das eine riesengroße Enttäuschung, wie er im Rückblick seiner Autobiografie erklärt: „Ein Großforschungszentrum war geplant, aus dem allerdings nie etwas geworden ist. Die Planungen gingen davon aus, die ganze Produktion von Braunkohle auf Öl umzustellen. Erdölleitungen wurden gelegt und entsprechende Umrüstungen vorgenommen. Mit modernsten Methoden und Mitteln sollte auf der Basis von Erdöl eine neue Produktionsphase eingeläutet werden. […] Die Einrichtungen wurden mit großem Kostenaufwand geschaffen, doch nie in Betrieb genommen, da die Sowjetunion ihre Zusagen zurücknahm und das Erdöl gegen Valuta in den Westen verkaufte. […] Für die DDR bedeutete das, mit hohen Kosten alle Anlagen wieder umzurüsten und mit der klassischen Braunkohle und der veralteten Technik weiterzumachen, von der enormen Belastung der Umwelt ganz zu schweigen. Meine Konzeption für ‚Leuna 1969‘ war von den Hoffnungen, die an die Umstellung auf Erdöl geknüpft waren, und der Vorstellung, daß wir die Zukunft voll im Griff hätten, beflügelt.“86
Sittes mit barockem Pathos gemaltes Triumphbild des endgültigen Sieges der in der DDR entfesselten sozialistischen Produktivkräfte über den Kapitalismus musste Utopie bleiben. Die Widersprüche der Wirtschaftsreformen blieben ihm nicht verborgen, der „oft in Leuna“ war, wo man ihm „die Pläne für das Großforschungszentrum gezeigt“ hat.87 In dieser Situation versuchte die SED von dem ökonomischen Rückschlag und dem Ende der Wirtschaftsreformen abzulenken durch eine Umfunktionierung des Wirtschaftsplenums im Dezember 1965 zu dem berüchtigten Kahlschlag-Plenum (15.–18. Dezember 1965), auf dem die Aufmerksamkeit der Bevölkerung auf die angebliche Verrohung der Jugend, auf unsozialistische Dichter, wie Wolf Biermann (* 1936), und angeblich gesellschaftlich negative Filme gelenkt wurde.88
Christa Wolf (1929–2011) erinnert sich an diese Versammlung: „Wir hatten ganz deutlich das Gefühl, daß die Kunst ‚diskussion‘ als Ersatz für die Auseinandersetzung mit den Problemen, die sich in der ökonomischen und gesellschaftlich-politischen Realität der DDR angehäuft hatten, dienen mußte, daß wir als Sündenböcke herhalten sollten.“89 Für sie markierte dieses Dezember-Plenum 1965 die entscheidende Zäsur in ihrem Verhältnis zur DDR. „Danach war nichts mehr zu beschönigen und keine Illusion mehr möglich.“90
Diese Konsequenz zog Willi Sitte, trotz seiner Enttäuschung über das Scheitern der Reformpolitik, gerade nicht. Er ließ sich auch nicht durch die auf das 11. Plenum folgenden Ereignisse, wie den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten 1968 in Prag und 1976 die Ausbürgerung Wolf Biermanns, mit dem Sitte bis 1965 befreundet war, in seiner Parteitreue beirren. In einem Artikel des Neuen Deutschland rechtfertigte er jetzt den Entzug von Biermanns Staatsbürgerschaft, wie ihn das NS-Regime gegen Künstler, Intellektuelle und Juden vollstreckt hatte.91 Sitte konnte oder wollte die Dimensionen einer „totalitären Diktatur“, welche die SED von der stalinistisch geprägten Sowjetunion übernommen hatte, nicht erkennen.92 Václav Havels (1936–2011) Analyse des totalitären Systems, Versuch, in der Wahrheit zu leben (1978), hatte, außer in Kreisen der politischen Dissidenz, in der DDR keine Breitenwirkung.93
Sittes wachsende Zweifel an der ökonomischen Überlegenheit der DDR lassen sich aber in seiner Kunst ablesen. Die Malerei kann den inneren Konflikt nicht verbergen, sie bekommt schon ab Mitte der 1960er Jahre erste Risse, franst und leiert aus, verliert ihre scharfen, prägnanten Konturen. Die Formate werden immer größer, weil sie den abnehmenden Glauben durch auftrumpfende Gestik, Pathos und strotzende Leiber im Stil von Rubens und dem späten Corinth kompensieren müssen. Auf die Renaissance schlanker Formen, eleganter Gesten und intimer Szenen des Alltags folgt der trotzige Gestus eines zwanghaften sozialistischen Barocks, eines Stils der Gegenreformation von Honeckers Gnaden zu Ulbrichts marktwirtschaftlichen und technokratischen Reformversuchen.
Sittes Hommage à Lenin (1969, S. 423)94 zeigt den Revolutionsführer als entrücktes Standbild, zu dem die Betrachtenden in extremer Untersicht aufschauen müssen. Er richtet seinen Blick in eine unbestimmte Ferne und rudert dabei heftig mit seinen Armen und Händen. Um seine Gestalt wabern diffuse Farbströme und Stofffetzen. Am rechten unteren Bildrand lassen sich ein Kreissegment mit einem bunten Fahnenwald und darüber emporgereckte Fäuste identifizieren. Die Andeutung einer Weltraumstation soll, so Sitte, darauf hinweisen, „daß Lenin mit seiner wissenschaftlich revolutionären Theorie eben nicht nur vom Nahziel wußte […]. Sein Blick – und darum ging es mir – reicht weit in das Morgen.“95
Im Gegensatz zu dieser sich in Auflösung befindlichen Leitfigur des Marxismus-Leninismus stellt Bernhard Heisig 1971 seinen Lenin
Sittes Malerei der 1970er und 1980er Jahre fehlt jede Spur von kritischer Hinterfragung und nachdenklicher Distanz zu den Ritualen und Dogmen eines erstarrten Gesellschaftssystems, wie sie die Malerei seiner Leipziger Kollegen zu dieser Zeit auszeichnet. Seine Bilder fragen nicht nach den unabgegoltenen Erwartungen jenseits der sozialistischen Fortschritts- und Wissenschaftsgläubigkeit im metaphysischen Raum, wie Volker Stelzmann (* 1940) mit seinem Gemälde Pietà96 von 1981. Der Leipziger Maler spricht mit dem Thema der christlichen Pietà tabuisierte Eigenschaften wie Erbarmen, Mitleid, Anteilnahme und Trauer an. Bernhard Heisig sieht zentrale Defizite des Sozialismus in der DDR, wenn er sagt, es „müssen die Denkkonventionen ergänzt werden, der ganze Bereich des Ethischen. Die Menschen können sich mit ihren Ängsten nirgendwohin wenden. Sie fallen ständig auf sich selbst zurück. […] Wir haben kein Fatum, uns fehlt der Schicksalsbegriff. Wir ersetzen den Begriff des Schicksals mit dem Zufall, das wird grausam. Ich bin kein Philosoph, ich weiß nur, daß uns da was fehlt und daß dort die Bilder herkommen, da fangen sie an. Malerei