Sittes Welt. Группа авторов
“Talstrasse“ in Halle (Saale). Sittes von Paul Klee (1879–1940) und Yves Tanguy (1900–1955) beeinflusste Strandspielerei und Formen auf fünf Ebenen (beide 1949, S. 228, 227) finden ein Echo in Ulrich Knispels Strand (1950,
Übereinstimmend sind in den Gemälden der locker verbundenen Künstlergruppierung die stark reduzierte Farbigkeit und die düstere, aggressive Stimmung. Mit dem Bild Mörder von Koje S. 269 reagierte Sitte auf die Erschießung nordkoreanischer Gefangener durch die amerikanische Armee.40 Sittes an Seilen hängende Marionetten Die Fremden (1951, S. 245) und Herbert Kitzels Marionette (1954) geben die bedrückende Stimmung der 1950er Jahre wieder. Die Harpyien, die Sittes Werk um 1955/56 bevölkern, können „als Reflex auf Anfeindungen und Formalismus-Schnüffelei“ gelesen werden, „[d]enn dieser mythische Sturmdämon aus weiblichem Oberteil und dem Unterteil eines Vogels samt Krallen ist ein Wesen aus der Unterwelt, das die Seelen der Menschen im Fluge rafft oder Speisen besudelt, ein Symbol der Peinigung und des Bösen. Harpyien als abscheuliche, von Zeus ausgeschickte strafende ‚Jagdhunde‘, maßen sich an, gottgleich zu richten, so in Sittes Bildern Das jüngste Gericht der Harpyien und Besuch der Harpyien, 1955.“41
Zwischen Parteistrafen und politischen Demonstrationsbildern
In seiner Autobiografie klagt Sitte, er sei damals ständigen Kontroversen ausgesetzt gewesen, „die meine Freunde nicht erleben mußten. Sie durften sich als Bürgerliche einiges leisten, ihnen konnte man das nicht verdenken. Wenn ich aber gedanklich und geistig mit ihnen mitzog, wurde mir das verübelt. Ich wurde bestraft, während man die anderen eher streichelte.“42
Es waren aber diese Maler und Freunde, die den Ruf der Saalestadt als vitalen Zentrums moderner Kunst in der DDR Anfang der 1950er Jahre begründet hatten, die zwischen 1948 und 1959 keinen anderen Ausweg für sich sahen, als die Stadt in Richtung Westen zu verlassen, die meisten von ihnen im Jahr 1953, während Sitte auf dem Höhepunkt der Anti-Formalismus-Kampagne 1951 bereits als Parteisekretär und 1952 als angestellte Lehrkraft fest an der heutigen Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle installiert war.43 Davor hatte Sitte 1950 einen Lehrauftrag an der Burg bekommen und war Ulrich Knispel als Leiter der Grundlehre unterstellt worden. „Die Ausbildung an dieser Schule ging auf das Bauhaus zurück, und es gab noch gewisse Kontinuitäten, die gepflegt wurden […]. Für mich wurde die Bibliothek mit den Beständen aus der Bauhauszeit sehr wichtig. Ich habe alle Bauhausbücher gelesen und sie wie ein Schwamm in mich aufgesogen und immer versucht, das Gelesene sofort in meiner eigenen künstlerischen Arbeit umzusetzen.“44
Nach dem Eklat um ein paar Skizzen von Strandgut in Ahrenshoop während einer Studienfahrt der Klasse Ulrich Knispels im Mai 195145 übernahm Sitte die Grundlehre von Knispel, der entlassen wurde und nach West-Berlin ging. „Das ging jedoch nur kurze Zeit gut, denn ich führte das, was Knispel gemacht hat, fort.“46 Eine Abordnung der Staatlichen Kunstkommission kam aus Berlin und überprüfte den Unterricht. „Wir probierten gerade verschiedene Methoden und Materialien aus, die geeignet sind, um Oberflächenstrukturen wiederzugeben und beschäftigten uns mit Dingen wie einer abgenutzten Bürste, einem Fußabtreter, einer toten Ratte oder Haaren. […] Wie Knispel wurde auch mir Formalismus vorgeworfen, und ich wurde vom Unterricht suspendiert“, allerdings nicht entlassen. Sitte blieb „ein Angestellter ohne Portefeuille.“47
Als Autodidakt ohne abgeschlossenes Studium in der auf förmliche akademische Abschlüsse und Studiengänge fixierten DDR hatte sich Sitte in eine zusätzliche Abhängigkeit von den Hochschul- und Parteigremien begeben. „Ich wurde Professor, aber es geriet in Vergessenheit, dass ich eigentlich keine Unterlagen beibringen konnte, etwa ein Studium absolviert zu haben, das hatte ich ja nicht.“48 Auch wenn er wegen seiner antifaschistischen Verdienste als Partisan möglicherweise fehlende Diplome kompensieren konnte, gab sein Status als Autodidakt unter Funktionären und Kollegen Anlass, ihm bei jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit vorzuwerfen, er habe gar keine abgeschlossene akademische Ausbildung und könne nicht einmal richtig zeichnen.49 Ständig musste er sich von Verbandsdelegationen aus der Hauptstadt sagen lassen, dass er „erst mal richtig zeichnen lernen sollte, eh ich diesen Quatsch nach Picasso und den sogenannten Modernismen mache.“50
Sitte berichtet von vier oder fünf Parteistrafen, „meistens erhielt ich die strenge Rüge“51, aber keinen Parteiausschluss. Trotz seiner formalistischen Bilder, die er oft nicht signierte und vor den 1960er Jahren nicht in der Öffentlichkeit zeigte, blieb er in Amt und Würden. Als Schutzbehauptung sprach er immer von seinen künstlerischen Experimenten, die er ja nur betreibe, um endlich zu seinem eigenen Stil zu finden, der ihm dann ermöglichen solle, das würdige Bild der Arbeiterklasse zu schaffen. „Ich signierte meine Arbeiten damals nicht, da sie dem, was mir vorschwebte, noch nicht entsprachen. Es sollte alles viel dramatischer und expressiver sein.“52
Auf den Bezirkskunstausstellungen zeigte er ausschließlich und demonstrativ seine politischen Bekenntnisbilder im Stil der Genremalerei des 19. Jahrhunderts, wie z. B. das später übermalte Genrebild Marx liest vor (1953/54, S. 266), für das er im Marx-Jahr 1953 den Kunstpreis der Stadt Halle (Saale) bekam.53 Es zeigt Marx frontal im Zentrum mit aufgeschlagenem Buch, während sich um ihn herum Friedrich Engels und dessen Frau sowie Jenny Marx zum bürgerlichen Familienbild gruppieren. Von seinem Gemälde Karl Liebknecht kommt aus dem Gefängnis 1918 (1952, S. 257), das den Arbeiterführer umringt von seinen Anhängern zeigt, behauptete er später, er habe es vernichtet.54 Es ist jedoch seit 1953 Teil der Sammlungen des Kunstmuseums Moritzburg Halle (Saale).
Auch mit dem Auftrag, den Kalender 1951. Fortschrittliche Kräfte