Sittes Welt. Группа авторов
Raum zuzuweisen.
Der Bilderstreit beschränkte sich aber keinesfalls nur auf eine konfliktsteigernde Moderne-Evaluierung der aus der DDR stammenden Kunstwerke. Noch stärker wirkten in ihm Urteilsbildungen, welche die politische Dimension der „künstlerischen Hinterlassenschaften“ als Zielpunkt nahmen. Die enorme Bedeutung der Parteien und politischen Massenorganisationen als Auftraggeber von Kunst – die in einem Land ohne tragfähigen Kunstmarkt ein notwendiges Äquivalent darstellten20 – trat dabei in den Vordergrund, etwa in der Ausstellung Auftrag: Kunst 1995 im Deutschen Historischen Museum in Berlin. Und in zahlreichen Studien kam es zur Kristallisierung eines oftmals von den Zwischenständen der Zeit- und Politikgeschichte inspirierten Kanons der offiziellen „DDR-Kunst“. Diese wurde von einer kulturliberaleren „Kunst in der DDR“ unterschieden. Sie fand ihre Hauptvertreter bei Walter Womacka (1925–2010), Gerhard Bondzin (1930–2014) oder Willi Sitte (vorrangig mit seinem Werk ab Mitte der 1970er Jahre). Wegen der generell oder auch nur phasenweise nachweisbaren Integration einer propagandistischen Emblematik in den Werken dieser Maler, wurde diese kurzschlüssig zum Markenzeichen der „DDR-Kunst“ erklärt – das führte zur Verdammung dieser Kunst in die Depots
Willi Sitte und das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg
Es blieb aber nicht beim sezierenden Blick auf Werke und Personalstile. Der Bilderstreit beleuchtete ebenso die persönlichen Haltungsmodelle und Lebensformen der Künstler – Umstände, die anderswo kaum an die Öffentlichkeit gelangen. Hier waren es vor allem die Haltung zur SED und die Frage nach einer möglichen Kollaboration mit dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS), die im Fokus des Interesses standen. In vielen DDR-Städten kursierten in den Kunstszenen privat erstellte Listen Inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit. Das dadurch nun sichtbare Maß von Denunziation führte anfangs zu eruptiven Täter-Opfer-Konstellationen, auch zu Fehlverdächtigungen, bis in den 2000er Jahren eine Vielzahl wissenschaftlicher Arbeiten entstand, die sich in abschließender Gründlichkeit, leider aber oft monokausal diesem Thema zuwandten.21 Einen angemessenen Weg beschritt dabei der hallesche Kunsthistoriker und Wegbegleiter Willi Sittes, Wolfgang Hütt (1925–2019), der in jahrelanger Hinwendung zum überlieferten Aktenmaterial des MfS die Verstrickungen von Kunst und Macht im Bezirk Halle (Saale) akribisch untersuchte.22 Die erhobenen Tatbestände wurden einerseits als Belege für eine erwiesene „Staatsnähe“ oder „Staatsferne“ der Künstler genommen, andererseits beeinflussten diese Diskussionen die künstlerische Wertschätzung und veränderte das Wissen um privates Geschehen den Blick auf die Bildwelten. Insofern verwundert es nicht, dass gerade Willi Sitte, dessen „konstitutive Widersprüchlichkeit“ als Maler und Funktionär auch zum Thema dieser Retrospektive beigetragen hat, zu einem exemplarischen Fall des Bilderstreites werden konnte.
Im Konflikt um eine seit Mitte der 1990er Jahre im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg vorbereitete, dann vom Museum verschobene und schließlich durch den Künstler abgesagte Ausstellung stand vor allem die Karriere des „Staatskünstlers“ Willi Sitte im Vordergrund. Wie bereits in der heftigen Debatte um die Einbeziehung von Bernhard Heisig in die künstlerische Gestaltung des Reichstagsgebäudes 1997/9823 ging es dabei um die Frage, wie das Agieren der Großkünstler in der DDR – insbesondere ihr enges Verhältnis zur SED sowie die aktive Übernahme politischer Ämter und Funktionen – hinsichtlich ihrer Akzeptanz im öffentlichen Kunstbetrieb des wiedervereinigten Deutschlands zu bewerten sei. In exemplarischer (und in einer für den gesamten deutsch-deutschen Bilderstreit wohl auch einzigartigen) Schärfe wurde dabei die Biografie Willi Sittes zum Gegenstand einer mitunter hitzig geführten Auseinandersetzung über die Verstrickung des Künstlers in die Machtstrukturen des untergegangenen Staats.24
Vordergründig ging es bei dem Streit um Willi Sitte um eine vom Oberkonservator Claus Pese (* 1947) im renommierten Deutschen Kunstarchiv des Germanischen Nationalmuseums vorbereitete Willi-Sitte-Ausstellung. Diese sollte in der Reihe „Werke und Dokumente“ gezeigt werden. Ihr Zustandekommen war Vertragsgegenstand bei der Überlassung des archivarischen Vorlasses des Künstlers, des Fonds Willi Sitte (der heute seinen schriftlichen Nachlass bildet), an das Archiv des Hauses gewesen und dem Künstler für das Jahr seines 80. Geburtstags, 2001, formlos zugesagt worden. Der Verwaltungsrat des Museums verschob jedoch das Projekt und mahnte zunächst eine Klärung der gegen Willi Sitte in verschiedenen Publikationen erhobenen Vorwürfe an. Angesichts dieser Entscheidung sagte der brüskierte Künstler eine Ausstellung mit seinen Werken endgültig ab. Im Juni 2001 fand schließlich die vom Verwaltungsrat angeregte Tagung zur Person des Künstlers und Funktionärs statt. Das Symposium selbst konnte in sachlicher Atmosphäre durch die Analyse des Einzelfalls sowie die Kontextualisierung der Handlungsspielräume des Künstlerfunktionärs zur Erhellung der Rolle von Willi Sitte beitragen.25 Im Anschluss sorgte 2003 die Tagung „Bilderstreit“ auf Schloss Neuhardenberg für eine erste Entschärfung des Konfliktes.26
Der eingangs erwähnte Dresdner Bilderstreit 2017/18 kann gewissermaßen als das Satyrspiel in der langlebigen Tragödie des Umgangs mit der ostdeutschen Kunst verstanden werden. Hier wurde verdeutlicht, dass der seit der Wiedervereinigung schwelende Bilderstreit um die Akzeptanz jener Kunst aus dem Osten im wiedervereinigten Deutschland eben nicht nur Schmähungen und bittere Kränkungen erzeugt hatte; in seinem Prozess war es ebenso zu einer unter Schmerzen erlangten Diagnose gekommen, nämlich der, dass jene beiden oft als verfeindet und unvereinbar dargestellten deutschen Kunstentwicklungen in Ost und West integrative Teile einer gemeinsamen, noch zu entwerfenden Kunstgeschichte sind. Es wird aber viel davon abhängen, ob die überfällige Neubewertung der ostdeutschen Kunst im Prozess eines notwendigen Dialogs auf Augenhöhe unter dem Label eines untergegangenen Staats oder aus der Perspektive auf eine produktive Kunstlandschaft erfolgt.27
1 — Gerhard Charles Rump: Arbeiterhelden am Maschendrahtzaun, in: Die Welt, 11.01.2000.
2 — Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale): Wege der Moderne. Kunst in der SBZ/DDR, Faltblatt zur Sammlungspräsentation, Halle (Saale) 2021.
3 — Zit. n. Dorit Litt: Im Sog der Moderne. Hallesche Malerei zwischen 1945 und 1949, in: Im Spannungsfeld der Moderne. Zehn Maler aus Halle, hrsg. v. Dorit Litt und Katja Schneider, Ausst.-Kat. Stiftung Moritzburg, Halle (Saale) 2004, S. 15–23, hier S. 15.
4 — Pointierte Beispiele dafür finden sich im Beitrag des Verfassers in dieser Publikation S. 129 sowie von Thomas Bauer-Friedrich S. 481.
5 — Vgl. Siegfried Gohr: Die DDR-Kunst war nur ein Nebenkriegsschauplatz. Gegenrede an die Kritiker der Berliner Ausstellung „60 Jahre, 60 Werke“, in: Die Welt, 02.06.2009.
6 — Werkstattgespräch mit Georg Baselitz, geführt von Axel Hecht und Alfred Welti, in: art. Das Kunstmagazin 12 (1990) H. 6, S. 54–72.
7 — Die Bestandspräsentation fand unter dem Titel Ostdeutsche Malerei und Skulptur vom 15.06.2018 bis 06.01.2019 im Dresdner Albertinum statt. Vgl. zur Einordnung Paul Kaiser: Tunnelblick aus der Sackgasse. Nach dem Dresdner Bilderstreit ändert das