Sittes Welt. Группа авторов
waren – fortan nur noch als kontaminierte Hinterlassenschaften eines untergegangenen Staates zu betrachten, von denen bestenfalls Einzelwerke in das Licht einer gesamtdeutschen Öffentlichkeit gehörten. „Der Arbeiterheld“, beschrieb der Feuilletonist der Tageszeitung Die Welt nach seinem Besuch der Ausstellung seinen Eindruck, „hängt am Maschendrahtzaun, die Brecht-Plastiken und andere Bronzefiguren stehen stramm Sockel an Sockel und platzsparend da. Rückt die sozialistische Garde enger zusammen, oder erahnt man, dass für die Kunst des so ganz anderen Deutschlands nicht viel Raum bleiben wird?“1
Die Ahnung des Beobachters trog nicht – die Werke wanderten nach der „Bestandsaufnahme“ wieder in die Depots. Einzelnen von ihnen begegnete man in den folgenden Jahren in der Moritzburg indes schon, etwa im Rahmen von Personalausstellungen zu Wolfgang Mattheuer (1927–2004), Albert Ebert (1906–1976) und Otto Möhwald (1933–2016), diese aber blieben Ausnahmen, welche den Regelfall nur bestätigten. Schließlich mussten 18 Jahre (!) vergehen, um in Halle (Saale) dieser ersten eine zweite Ausstellung folgen zu lassen, welche auf jene rigorose Infragestellung einer ganzen Kunstproduktion mit dem Ausrufezeichen eines fachlich fundierten Konzeptes antwortete. Als erstes Museum überhaupt brach das Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale) unter der Leitung Thomas Bauer-Friedrichs (* 1976), seit 2014 Direktor des Hauses, mit der herablassenden Umgangsweise gegenüber der „Ost-Kunst“, die in den 1990er und 2000er Jahren die dominante Haltung im Kunstbetrieb und in den westlich geprägten Instanzen der staatlichen Kunstförderung gewesen war. Statt auf temporäre Sonderschauen zu setzen, die inzwischen auch andere Häuser, vor allem im Zuge der Jahrestagsfeiern zur friedlichen Revolution und der deutschen Wiedervereinigung mit Hilfe von zu diesen Jubiläen extra aufgelegten Fördermittelprogrammen ausrichteten, besann sich das Haus unter seiner Ägide wieder konsequent und ganz selbstverständlich auf die Erforschung, Präsentation und gezielte Erweiterung der eigenen Sammlungsbestände aus der SBZ, der DDR und der Transformationszeit.
Gegen die Geste einer temporären Inaugenscheinnahme setzt man in Halle (Saale) seitdem auf Nachhaltigkeit und Kontinuität: Im Jahr 2018 eröffnete das Museum eine Dauerausstellung unter dem Titel Wege der Moderne. Kunst in der SBZ/DDR 1945–1990
Im Zuge der Auseinandersetzungen im deutsch-deutschen Bilderstreit blieb es bis heute ein ungeschriebenes Tabu, sich auf das Gesamtwerk und die Biografie Willi Sittes umfassend einzulassen. Zu problembeladen erschien vielen eine ernsthafte Auseinandersetzung, da unter „Sittes Welt“ zumeist eine unrettbar „gestrige Welt“ verstanden wurde. Aus dieser Perspektive hatte sie sich mit dem Untergang des „real existierenden Sozialismus“ ein für alle Mal diskreditiert. Die Abgrenzung gegenüber dem Künstler verstärkte sich noch dadurch, dass Willi Sitte an den utopischen Restenergien des „Projektes DDR“ festhielt und seine Haltung (mitunter auf eine stilisierte Weise) in zahlreichen Interviews verteidigte.4 Im Kontrast dazu entledigten sich seine Kollegen der „Viererbande“, Bernhard Heisig (1925–2011) und Werner Tübke (1929–2004), ihrer Nationalpreise und Parteibücher. Sie schickten diese an eine nun führerlose SED-Führung zurück – ganz so, als wäre mit dieser Anpassung ans Unvermeidliche der vermeintliche Makel einer systemaffirmativen Künstlerrolle ausgeräumt. In vielen Fällen wurde die rigorose Ausblendung oder stark vereinseitigende Darstellung des Werks von Willi Sitte nicht mit seiner Doppelrolle als Maler und Kulturfunktionär begründet. Vielmehr bezog man sich, etwa in der von der ostdeutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel (* 1954) im Jahre 2009 unterstützten Großausstellung 60 Jahre, 60 Werke. Kunst aus der Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis 2009 im Berliner Martin-Gropius-Bau, auf eine generelle „Nichtrelevanz“ der sogenannten „DDR-Kunst“5, und Willi Sitte wurde zur Symbolfigur dieser Etikettierung.
Der Bilderstreit – Stationen und Hintergründe
Es war der Verlauf des deutsch-deutschen Bilderstreites, der die Rahmenhandlung für diese weitgehende Deklassierung eines DDR-Künstlerlebens bestimmen sollte. Willi Sitte stand seit 1990 unweigerlich immer (mit) im Zentrum der Debatten – wenn nicht als Künstler, so als Referenzperson. Der Grund für diese zentrale Bedeutung war der Umstand, dass sich seine Verantwortlichkeit für die Zustände im DDR-Kunstsystem aus seiner Rolle als Präsident des Verbands Bildender Künstler (1974–1988) und als Mitglied des Zentralkomitees der SED (1986–1989) ableitete. Bereits in dem im Dezember 1990 veröffentlichten art-Interview von Georg Baselitz (* 1938), der „Geburtsstunde“ des Bilderstreits, klang dies an, als Baselitz den DDR-Großkünstlern vorwarf, sie hätten „die Phantasie, die Liebe, die Verrücktheit verraten“, indem sie als „Propagandisten der Ideologie“ gewirkt und sich in den „Dienst der ‚guten Sache‘“ gestellt hätten. Aus diesem Grund seien sie keine Kollegen, sondern schlicht „Arschlöcher“6. Dieses denkwürdige Interview markierte den Beginn (und bestimmte lange Zeit auch die äußerst deftige Tonlage) der mittlerweile über 30 Jahre dauernden Auseinandersetzung.
Ihre vorerst letzte Station ging 2017 als „Dresdner Bilderstreit“ in die Annalen ein