PLATON - Gesammelte Werke. Platon
Wie ginge das wohl!
Fremder: Wenn also nicht dem Seienden, würde es auch wer es dem Etwas beilegte nicht richtig beilegen.
Theaitetos: Wie das?
Fremder: Das ist uns doch auch deutlich, daß wir dieses Wort Etwas jedesmal von einem seienden sagen. Denn allein es zu sagen gleichsam nackt und von allem seienden entblößt ist unmöglich. Nicht wahr?
Theaitetos: Unmöglich.
Fremder: Und gibst du wohl mit Hinsicht hierauf zu, daß wer etwas sagt wenigstens Ein etwas sagt?
Theaitetos: Gewiß.
Fremder: Denn das Etwas, wirst du sagen, ist das Zeichen für eines, das etwelche oder Einige dagegen für viele.
Theaitetos: So ist es.
Fremder: Wer daher nicht einmal etwas sagt muß ganz notwendig, wie es scheint, ganz und gar nichts sagen.
Theaitetos: Ganz notwendig freilich.
Fremder: Dürfen wir nun etwa auch das nicht einmal zugeben, daß ein solcher zwar rede, er sage aber eben nichts, sondern müßten sogar läugnen der rede, der sich unterfängt das nichtseiende auszusprechen?
Theaitetos: Dann hätte doch alle Not mit dieser Sache ein Ende.
(238) Fremder: Noch tue nicht groß. Denn es ist noch eine Not hierin zurück, und zwar leicht die erste und größte, denn sie betrifft den ersten Anfang der Sache selbst.
Theaitetos: Wie meinst du? sprich, und halte nichts zurück.
Fremder: Einem seienden könnte wohl ein anderes seiendes zukommen.
Theaitetos: Unbedenklich.
Fremder: Wollen wir aber auch zugeben es sei möglich daß dem nichtseienden irgend seiendes zukäme?
Theaitetos: Wie sollten wir!
Fremder: Alle Zahl insgesamt setzen wir doch als seiend?
Theaitetos: Wenn anders irgend etwas als seiend zu setzen ist.
Fremder: So dürfen wir denn nicht wagen weder eine Mehrheit von Zahl noch auch die Einheit dem nichtseienden beizulegen.
Theaitetos: Freilich täten wir nicht recht daran, wie es scheint, dies zu wagen nach dem was unsere Rede aussagt.
Fremder: Wie könnte nun wohl jemand ohne Zahl das nichtseiende nur mit dem Munde aussprechen, oder auch nur in seinen Gedanken auffassen?
Theaitetos: Woher das?
Fremder: Wenn wir nichtseiende sagen, legen wir da nicht eine Mehrheit der Zahl hinein?
Theaitetos: Allerdings.
Fremder: Und wenn nichtseiendes, dann wiederum die Einheit?
Theaitetos: Ganz gewiß.
Fremder: Und wir sagen doch, es sei weder recht noch billig, daß man suche seiendes mit dem nichtseienden zusammenzufügen.
Theaitetos: Du sprichst vollkommen wahr.
Fremder: Siehst du also, wie ganz unmöglich es ist, richtig das nichtseiende auszusprechen, oder etwas davon zu sagen, oder es auch nur an und für sich zu denken; sondern wie es etwas ungedenkliches ist und unbeschreibliches und unaussprechliches und unerklärliches?
Theaitetos: Auf alle Weise freilich.
Fremder: Habe ich mich aber etwan eben geirrt, als ich sagte, ich wolle nun die größte Schwierigkeit in dieser Sache vortragen?
Theaitetos: Wie so? ist noch eine andere größere anzuführen?
Fremder: Wie doch, du Wunderbarer, merkst du denn nicht eben an dem Gesagten, daß auch den Gegner das Nichtseiende in Not bringt, so daß, wie auch jemand versuche es zu widerlegen, er gezwungen wird ihm selbst widersprechendes davon zu sagen?
Theaitetos: Wie meinst du das? sage es mir noch deutlicher.
Fremder: Es braucht gar nicht, daß man es noch deutlicher an mir sehe! Denn ich, der ich festsetzte, das nichtseiende dürfe weder an der Einheit noch Vielheit Teil haben, habe es doch vorher und jetzt geradezu eins genannt. Denn ich sage, das nichtseiende. Merkst du was?
Theaitetos: Ja.
Fremder: Ja noch ganz vor kurzem wiederum sagte ich, es sei ein unaussprechliches und unbeschreibliches und unerklärliches. Folgst du?
Theaitetos: Ich folge. Wie sollte ich nicht?
Fremder: Indem ich ihm also das Sein zu verknüpfen suchte, sagte ich dem vorigen widersprechendes.
Theaitetos: Offenbar.
(239) Fremder: Und zugleich, indem ich ihm dieses zuschrieb, sprach ich davon als von einem?
Theaitetos: Ja.
Fremder: Und auch indem ich es ein unerklärliches nannte und unbeschreibliches und unaussprechliches, richtete ich doch meine Rede so ein als ob es Eins wäre?
Theaitetos: Offenbar.
Fremder: Und wir behaupteten doch, wer richtig reden solle müsse es weder als eins noch als vieles bestimmen, noch es überall auch nur nennen; denn schon durch die bloße Angabe würde er es als Eins angeben.
Theaitetos: Allerdings.
Fremder: Was soll man also nun schon von mir sagen? Denn schon von lange her und auch jetzt fände man mich überwunden in der Widerlegung des Nichtseienden. Daher laß uns an meiner Rede, wie ich auch schon sagte, nicht länger den richtigen Ausdruck suchen über das nichtseiende; sondern komm, an dir wollen wir ihn nun betrachten.
Theaitetos: Wie meinst du?
Fremder: Komm her und wacker wie Jünglinge sind strenge dich an was du kannst, und versuche ohne weder Sein noch Einheit noch Mehrheit der Zahl dem Nichtseienden beizulegen, nach der richtigen Regel etwas davon auszusagen.
Theaitetos: Gar große und ungereimte Dreistigkeit müßte mich führen zu dieser Unternehmung, wenn ich, wissend wie es dir damit ergangen ist, sie selbst unternähme.
Fremder: Willst du also, so wollen wir dich und mich gehn lassen; aber bis wir auf einen treffen der dieses leisten kann, bis dahin wollen wir gestehen, daß höchst listiger Weise der Sophist in einen höchst schwierigen Ort entschlüpft ist.
Theaitetos: Das zeigt sich gar sehr.
Fremder: Also wenn wir behaupten, er besitze eine trugbildnerische Kunst: so wird er uns gar leicht bei diesem Gebrauch der Worte fassen und die Rede zum Gegenteil herumdrehen, indem er uns fragt, wenn wir ihn einen Bildmacher nennen, was wir denn überall unter einem Bilde meinen. Wir müssen also zusehn, o Theaitetos, was man wohl dem jungen Manne auf die Frage antworten soll.
Theaitetos: Offenbar werden wir ihm anführen die Bilder im Wasser und in den Spiegeln, und dann die gemalten und die geformten und was für andere es noch gibt.
Fremder: Nun sieht man recht, Theaitetos, daß du noch keinen Sophisten gesehen hast.
Theaitetos: Wie so?
Fremder: