PLATON - Gesammelte Werke. Platon
und so auch jetzt.
Theaitetos: Das sagtest du.
Fremder: Dies macht mir nun eben bange, was ich gesagt, daß ich dir nicht etwa ganz wild vorkomme, wenn ich auf der Stelle umwende von unten nach oben. Denn deinetwegen wollen wir noch einmal dran gehn den Satz zu widerlegen, wenn es uns anders gelingt.
Theaitetos: Mir wirst du nicht scheinen irgend Unrecht zu begehen, wenn du noch einmal zu diesem Beweise und dieser Widerlegung schreitest, deshalb also gehe nur dreist zu.
Fremder: Wohlan, womit soll man nun diese gewagte Rede beginnen? Mich dünkt, Kind, diesen Weg müssen wir ganz notwendig einschlagen.
Theaitetos: Welchen doch?
Fremder: Was wir jetzt glauben ganz sicher zu haben, das laß uns zuerst nachsehn, ob wir nicht daran irre sind, und es uns nur leichtsinniger Weise zugestehen wir hätten es aufs genaueste überlegt.
Theaitetos: Sage nur deutlicher was du meinst.
Fremder: Etwas obenhin scheint Parmenides mit uns umgegangen zu sein, und wohl Alle die jemals an eine Sonderung der Dinge sich gewagt haben, um zu bestimmen, welcherlei und wievielerlei sie sind.
Theaitetos: Weshalb?
Fremder: Jeder scheint es hat uns sein Geschichtchen erzählt wie Kindern. Der Eine, dreierlei wäre das Seiende, bisweilen einiges davon mit einander im Streit, dann wieder alles Freund, da es dann Hochzeiten gibt und Zeugungen und Auferziehungen des Erzeugten. Ein Anderer beschreibt es zwiefach, feucht und trocken oder warm und kalt, und bringt beides zusammen und stattet es aus. Unser Eleatisches Volk aber vom Xenophanes und noch früher her trägt seine Geschichte so vor, als ob das was wir Alles nennen nur Eins wäre. Gewisse Ionische und Sikelische Musen aber haben späterhin gemerkt, es wäre sicherer beides zusammenflechtend zu sagen, das Seiende sei Vieles und auch Eines, und werde durch Feindschaft und Freundschaft zusammengehalten. Denn sondernd mische es sich immer, sagen die strengeren Musen, die weicheren aber lassen nach, daß sich dies immer so verhalten solle, und sagen, abwechselnd sei das Ganze bisweilen Eins, durch Aphrodite befreundet, dann wieder (243) Vieles und sich selbst feindselig erregt durch den Streit. Ob nun an dem allen einer von ihnen etwas wahres gesagt hat oder nicht, das ist schwierig, und es ist wohl auch frevelhaft so hoch berühmten Männern des Altertums Vorwürfe zu machen; soviel aber kann man doch ohne sich irgend zu vergehen behaupten.
Theaitetos: Was doch?
Fremder: Daß sie uns Andere allzusehr übersehen und geringschätzig behandelt haben. Denn ohne danach zu fragen, ob wir ihnen folgen in ihren Reden oder zurückbleiben, bringen sie jeder das seinige zu Ende.
Theaitetos: Wie meinst du das?
Fremder: Wenn einer von ihnen spricht und behauptet es sei oder sei geworden oder werde Vieles oder Zwei oder Eines, und warmes mit kaltem vermischt, oder anderwärts her Trennungen und Verbindungen annimmt, verstehst denn du Theaitetos, bei den Göttern, jemals etwas hievon was sie meinen? Ich wenigstens als ich jünger war, glaubte auch das was uns jetzt so schwierig ist, das Nichtseiende wenn jemand davon sprach genau zu verstehen, jetzt aber siehst du in welcher Not wir damit sind.
Theaitetos: Ich sehe es.
Fremder: Vielleicht aber begegnet uns in unserer Seele dasselbe nicht weniger auch mit dem Seienden, daß wir von diesem glauben es hätte damit keine Not und wir verständen was jemand davon sagt, von jenem aber nicht, da wir uns doch gegen beides ganz gleich verhalten.
Theaitetos: Vielleicht.
Fremder: Und von dem übrigen vorher erwähnten soll uns dasselbe gelten.
Theaitetos: Allerdings.
Fremder: Das vielerlei andere nun wollen wir in der Folge erwägen wenn du meinst, wegen des größten aber und hauptsächlichsten müssen wir jetzt zusehn.
Theaitetos: Welches meinst du? oder willst du offenbar wir sollen zuerst das Seiende erforschen, wie es doch die welche davon reden eigentlich darzustellen meinen?
Fremder: Beim rechten Ort, o Theaitetos, hast du es ergriffen. Ich meine nämlich wir müssen dieses Verfahren anwenden, sie als ob sie selbst zugegen wären so auszufragen. Wohlan Alle die ihr sagt Alles sei warmes und kaltes oder zwei andere dergleichen, was sagt ihr doch nun eigentlich aus von diesen beiden, wenn ihr sagt daß sie beide und jedes von beiden sind? Was sollen wir uns unter diesem eurem Sein denken? Sollen wir es setzen als ein drittes außer jenen beiden, und also das Ganze als drei und nicht länger als zwei nach euch setzen? Denn nennt ihr eines von diesen beiden das Seiende, so sagt ihr nicht mehr daß beide auf gleiche Weise sind, und so wäre auf beiderlei Weise nur Eins und nicht Zwei.
Theaitetos: Ganz richtig.
Fremder: Ihr wollt aber doch beide das Seiende nennen.
Theaitetos: Vielleicht.
Fremder: Aber, ihr Lieben, wollen wir dann sagen, auch so würdet ihr ganz deutlich sagen daß die zweie eins sind.
(244) Theaitetos: Ganz richtig gesprochen.
Fremder: Da nun wir keinen Rat wissen, so macht doch ihr selbst uns recht anschaulich, was ihr doch andeuten wollt, wenn Ihr Seiendes sagt. Denn offenbar wißt ihr doch dies schon lange, wir aber glaubten es vorher zwar zu wissen, itzt aber stehen wir ratlos. Lehret uns also zuerst dieses, damit wir uns nicht einbilden zu verstehen was ihr saget, indes uns ganz das Gegenteil hievon widerfährt. Wenn wir so sprechen und das von diesen sowohl als allen andern fodern, welche sagen das All sei mehr als Eins, werden wir dann wohl großes Unrecht begehen, Kind?
Theaitetos: Gewiß gar nicht.
Fremder: Wie nun, sollen wir von denen welche das All als Eins angeben etwa nicht nach Vermögen erforschen was sie wohl sagen von dem Seienden?
Theaitetos: Unbedenklich.
Fremder: Dies also mögen sie uns beantworten. Ihr sagt es sei nur Eins? – Das sagen wir, werden sie sagen. – Nicht wahr?
Theaitetos: Ja.
Fremder: Und wie, Seiendes nennt ihr etwas?
Theaitetos: Ja.
Fremder: Dasselbe was Eins? und bedient euch für dasselbe zweier Benennungen? oder wie?
Theaitetos: Was sollen sie nun wohl hierauf, o Fremdling, antworten?
Fremder: Offenbar, o Theaitetos, ist es dem von dieser Voraussetzung ausgehenden gar nicht leicht auf das jetzt gefragte und auf jegliches andere irgend zu antworten.
Theaitetos: Wie so?
Fremder: Zu gestehen es gebe zwei Namen, wenn man nichts gesetzt hat als Eins, ist doch ganz lächerlich.
Theaitetos: Wie sollte es nicht?
Fremder: Ja überall es sich gefallen zu lassen wenn man sagt es gebe einen Namen, der ja doch keine Erklärung zuließe.
Theaitetos: Weshalb?
Fremder: Denn setzt er zuerst den Namen als ein von der Sache verschiedenes, so nennt er doch zwei.
Theaitetos: Ja.
Fremder: Setzt er aber den Namen als einerlei mit ihr: so wird er entweder genötiget sein zu sagen, er sei Name von nichts, oder wenn er sagen will von etwas, so wird herauskommen, der Name sei des Namens Namen und sonst keines andern.
Theaitetos: