PLATON - Gesammelte Werke. Platon
jüngere Sokrates: Gewiß auf keine Weise.
Fremder: Also wenn dies so beschaffen ist: so würden wir wohl nichts verstehen ich und du, nachdem wir zuerst versucht haben die Natur des gesamten Beispiels an einem kleinen auf etwas besonderes sich beziehenden einzelnen Beispiel zu erkennen, wenn wir uns nun daran gäben, indem wir zu dem Könige als dem größten schon den selbigen Begriff aus kleineren Dingen irgendwoher hinzubrächten, vermittelst des Beispiels auch zu versuchen die Besorgung derer in der Stadt nach der Kunst zu erläutern, damit wir nun statt im Traume es auch wachend haben.
Der jüngere Sokrates: Vollkommen richtig.
Fremder: So laß uns denn unsere vorige Rede wieder aufnehmen, (279) daß nämlich, weil mit dem königlichen Geschlecht so viele andere um die Besorgung im Staate sich streiten, wir diese alle absondern müssen um jenen allein zu behalten, und eben hiezu, sagten wir, bedürften wir eines Beispiels.
Der jüngere Sokrates: Und das gar sehr.
Fremder: Was für ein recht kleines Beispiel, welches aber doch dieselbige bürgerliche Verrichtung in sich schläfre, könnte einer nun wohl beibringen um das Gesuchte danach genau genug zu finden? Oder beim Zeus, Sokrates, sollen wir wenn wir nichts anderes bei der Hand haben eben so gern die Weberei nehmen? und auch die, wenn du meinst, nicht ganz? Vielleicht nämlich wird uns schon die hinreichen welche in Wolle arbeitet. Denn wenn wir auch nur diesen Teil von ihr herausnehmen, wird er uns wohl schon nachweisen, was wir wollen.
Der jüngere Sokrates: Warum also nicht?
Fremder: Und warum wollten wir nicht, wie wir vorher alles von jedem Teil wieder Teile abschneidend zerlegt haben, auch jetzt bei der Weberei dasselbe tun, und wenn wir alles so kurz als möglich schnell durchgegangen sind, wieder zu dem was uns jetzt brauchbar ist zurückkehren?
Der jüngere Sokrates: Wie meinst du das?
Fremder: Ich will dir durch die Ausführung selbst antworten.
Der jüngere Sokrates: Sehr gut gesagt.
Fremder: Alle Dinge also welche wir verfertigen oder erwerben dienen uns teils um etwas zu tun, teils sind sie, um etwas nicht zu leiden, Schutzwehren. Und von diesen Schutzwehren sind einige Heilmittel, sowohl göttliche als menschliche, andere Abwehrungsmittel. Und von den Abwehrungsmitteln sind einige Rüstungen für den Krieg, andere sind Einhegungen. Von diesen Einhegungen sind einige Vorbauungen gegen den Anblick, andere sind Sicherungen gegen Hitze und Ungewitter. Von diesen Sicherungen sind einige was wir Obdach, andere was wir Hülle nennen. Die Hüllen sind wieder teils Unterdecken, teils Anzüge. Von den Anzügen sind einige aus einem Stück, andere zusammengesetzt; die zusammengesetzten teils durchlöchert, teils ohne Durchlöcherung verbunden; und von den undurchlöcherten einige aus dem Baste der Pflanzen, andere von Haaren, und die härenen teils mit Wasser und Erde geklebt, teils durch sie selbst verbunden. Eben diese nun aus durch sich selbst verbundenem gefertigten Abwehrungen und Hüllen nennen wir Kleider; und die diese Kleider vorzüglich besorgende Kunst wollen wir, wie wir dort die den Staat vorzüglich besorgende die Staatskunst nannten, so auch diese von der (280) Sache selbst die Kleidermacherkunst nennen. Und wollen auch sagen daß die Weberei wiefern sie bei Verfertigung der Kleider bei weitem das wichtigste Stück ist, gar nicht als nur dem Namen nach von dieser Kleidermacherkunst unterschieden ist, so wie dort die königliche von der Staatskunst.
Der jüngere Sokrates: Vollkommen richtig.
Fremder: Und nun laß uns das weitere bedenken, daß nämlich diese so beschriebene Weberei der Kleider einer wohl für hinlänglich erklärt hatten würde, der nämlich nicht bemerken könnte daß sie von ihren nächsten Gehülfinnen noch nicht ausgeschieden, wenn gleich von vielen verwandten abgeteilt ist.
Der jüngere Sokrates: Von was für verwandten, sage.
Fremder: Du bist dem Gesagten nicht gefolgt wie es scheint. Also müssen wir wohl noch einmal zurückgehn vom Ende anfangend, ob du etwa das verwandte gewahr wirst was wir jetzt eben von ihr abgeschnitten haben, nämlich die Verfertigung der Teppiche welche wir absonderten, wiefern sie untergelegt jene aber angelegt werden.
Der jüngere Sokrates: Ich verstehe.
Fremder: Auch jede Bereitung aus Lein und Hanf und allem was wir in der Erklärung Pflanzenbast nannten, haben wir weggenommen; auch alles Filzen haben wir ausgeschieden und was mittelst Durchbohrung und Naht die Teile verknüpft, wovon das meiste die Lederarbeit ist.
Der jüngere Sokrates: Allerdings,
Fremder: Eben so die Bearbeitung der Häute zu Bedeckungen aus einem Stück, und alle Arten von Obdach sowohl welche die Baukunst und die Tischerei errichten um Strömungen abzuhalten, als auch was andere einhegende Künste hervorbringen um gegen Diebereien und gewalttätige Handlungen zu schützen, und alle welche sich damit beschäftigen Kisten und Deckel zu verfertigen und die Befestigungen der Türen, und alle welche sich abteilen lassen als Teile der Kunst die sich der Nägel bedient. Ferner haben wir die Verfertigung der Waffen abgeschnitten als einen Ausschnitt der großen und mannigfaltigen Kunst der Abwehrungsmittel; ja auch jene Kocherei, welche es mit den Arzneimitteln zu tun hat, haben wir gleich Anfangs gänzlich abgeschieden, und haben wie wir denken sollten nur eben die gesuchte gegen die Witterung schützende und wollene Umwürfe verfertigende allein übrig gelassen, welche die Weberei genannt wird.
Der jüngere Sokrates: So scheint es allerdings.
Fremder: Aber vollständig ist dies noch gar nicht erklärt, Kind. Denn wer ganz zuerst an Verfertigung der Kleider Hand anlegt scheint doch ganz das Gegenteil des Webens zu verrichten.
Der jüngere Sokrates: Wie so?
(281) Fremder: Das Weben ist doch ein Zusammenflechten?
Der jüngere Sokrates: Ja.
Fremder: Jenes aber ist vielmehr eine Trennung des zusammenhängenden und zusammengefilzten.
Der jüngere Sokrates: Welches denn?
Fremder: Das Geschäft des Wollkämmers. Oder sollen wir wagen dies Weberei und den Wollkämmer wirklich Weber zu nennen?
Der jüngere Sokrates: Keinesweges.
Fremder: Und wenn jemand wiederum das Spinnen des Fadens zur Kette sowohl als zum Einschlag Weberei nennen wollte: so würde der sich auch eines ungewöhnlichen und falschen Namens bedienen.
Der jüngere Sokrates: Freilich wohl.
Fremder: Und wie alles Walken und Ausbessern sollen wir das gar nicht als eine Besorgung und Pflege der Kleider setzen? oder auch dies alles als Weberei aufstellen?
Der jüngere Sokrates: Keinesweges.
Fremder: Aber doch werden diese alle die Besorgung und Entstehung der Kleider wohl der Weberei streitig machen, den größten Teil freilich ihr überlassend, aber auch einen großen sich zuschreibend.
Der jüngere Sokrates: Freilich.
Fremder: Überdies ist noch zu glauben, daß dann auch die Künste welche die Werkzeuge verfertigen, mit denen die Geschäfte bei dem Gewebe verrichtet werden, auch werden Miturheberinnen sein wollen bei jedem Gewebe.
Der jüngere Sokrates: Ganz recht.
Fremder: Wird nun wohl die Erklärung der Weberei welche wir als den vorzüglichsten Teil gewählt, hinlänglich bestimmt sein, wenn wir sie unter allen Besorgungen für die wollenen Gewände nur als die schönste und größte angeben? Oder würden wir dann zwar wohl etwas richtiges sagen, bestimmtes und vollendetes aber nicht, ehe als wir auch diese alle abgesondert haben?