PLATON - Gesammelte Werke. Platon
wie das von den Längen und Kräften, obwohl du, wie es mir wenigstens scheint, etwas Ähnliches suchst, so daß Theodoros doch wieder Unrecht zu haben scheint.
Sokrates: Wie so? wenn er dich nun deines Laufens wegen gelobt und gesagt hätte, er habe noch nie unter den jungen Leuten einen so schnellfüßigen angetroffen, und du hernach beim Wettlauf von einem völlig ausgebildeten und sehr schnellen überwunden würdest, würdest du deshalb glauben, daß er dich minder mit Recht gelobt habe?
Theaitetos: Nein, das nicht.
Sokrates: Und glaubst du, daß die Erkenntnis, so wie ich es jetzt meinte, zu finden eine Kleinigkeit ist, und nicht vielmehr unter die gar schwierigen Aufgaben gehört?
Theaitetos: Beim Zeus, unter die allerschwierigsten, glaube ich.
Sokrates: So sei nur guten Mutes deinetwegen, und glaube, daß Theodoros wohl Recht gehabt hat. Bestrebe dich aber, wie von andern Dingen, so besonders von der Erkenntnis die Erklärung zu finden, was sie eigentlich ist.
Theaitetos: Sofern es nur am Bestreben liegt, soll sie wohl ans Licht kommen.
Sokrates: So komm, denn du hast schon sehr gut vorgezeichnet, und versuche nur deine Antwort wegen jener Seiten der Vierecke nachahmend, so wie du diese, so viele es auch sind, unter einen Begriff zusammengefaßt hast, so auch die vielerlei Erkenntnisse durch eine Erklärung zu bezeichnen.
Theaitetos: Wisse nur, Sokrates, ich habe oft versucht, dieses heraus zu finden, da ich die von dir herumgehenden Fragen hörte: aber ich kann weder mich selbst überreden, daß ich etwas genügendes ausgedacht hätte, noch höre ich irgend einen andern die Sache so, wie du es forderst, erklären. Eben so wenig aber kann ich jemals ablassen darauf zu sinnen.
Sokrates: Du hast eben Geburtsschmerzen, lieber Theaitetos, weil du nicht leer bist, sondern schwanger gehst.
Theaitetos: Das weiß ich weiter nicht; wie es mir aber ergeht, das habe ich dir gesagt.
Sokrates: Also du lächerlicher hast wohl niemals gehört, daß (149) ich der Sohn einer Hebamme bin, einer sehr berühmten und verwogenen, der Phainarete?
Theaitetos: Das habe ich wohl schon gehört.
Sokrates: Etwa auch, daß ich dieselbe Kunst ausübe, hast du gehört?
Theaitetos: Das keinesweges.
Sokrates: Wisse dann, dem ist also. Verrate mich aber nicht damit gegen die Andern, denn es weiß niemand von mir, Freund, daß ich diese Kunst besitze. Da es nun die Leute nicht wissen: so sagen sie mir auch dieses zwar nicht nach, wohl aber, daß ich der wunderlichste aller Menschen wäre, und Alle zum Zweifeln brächte. Gewiß hast du das auch gehört?
Theaitetos: Vielfältig.
Sokrates: Soll ich dir davon die Ursach sagen?
Theaitetos: Allerdings.
Sokrates: Überlege dir nur recht alles von den Hebammen, wie es um sie steht, so wirst du leichter merken was ich will. Denn du weißt doch wohl, daß keine, so lange sie noch selbst empfängt und gebärt, andere entbindet, sondern nur welche selbst nicht mehr fähig sind zu gebären tun es.
Theaitetos: So ist es allerdings.
Sokrates: Das soll, wie sie sagen, von der Artemis herrühren, weil dieser, einer Nichtgebärenden, dennoch die Geburtshülfe zu Teil geworden. Nun hat sie zwar den ganz Unfruchtbaren nicht verleihen können, Geburtshelferinnen zu sein, weil die menschliche Natur zu schwach ist, um eine Kunst zu erlangen in Dingen, deren sie ganz unerfahren ist; wohl aber hat sie diese Gabe denen, die des Alters wegen nicht mehr gebären, beigelegt, um doch der Ähnlichkeit mit ihr selbst einen Vorzug einzuräumen.
Theaitetos: Das scheint annehmlich.
Sokrates: Ist also wohl auch das annehmlich und notwendig, daß, ob eine schwanger ist oder nicht, besser von den Geburtshelferinnen erkannt wird als von andern?
Theaitetos: Gar sehr.
Sokrates: Ja es können auch die Hebammen durch Arzneimittel und Zaubersprüche die Wehen erregen, und wenn sie wollen, sie auch wieder lindern, und den Schwergebärenden zur Geburt helfen, oder auch das Kind, wenn diese beschlossen haben sich dessen zu entledigen, so lange es noch ganz klein ist, können sie abtreiben.
Theaitetos: So ist es.
Sokrates: Hast du auch das schon von ihnen vernommen, daß sie ebenfalls die geschicktesten Freiwerberinnen sind, indem sie gründlich zu unterscheiden verstehen, was für eine Frau sich mit was für einem Manne verbinden muß, um die vollkommensten Kinder zu erzielen?
Theaitetos: Das habe ich noch nicht so gewußt.
Sokrates: So wisse denn, daß sie sich hiemit noch mehr wissen, als mit dem Nabelschnitt. Überlege auch nur. Glaubst du, daß die Pflege nebst Einsammlung der Früchte des Erdbodens, und dann wiederum die Einsicht, welchem Boden man jegliches Gesäme und Gewächs anvertrauen muß, zu einer und derselben Kunst gehören oder zu verschiedenen?
Theaitetos: Nein, sondern zu derselben.
Sokrates: Bei den Frauen aber glaubst du, daß dieses eine andere, und das Einsammeln wieder eine andere Kunst ist?
Theaitetos: Das ist wenigstens nicht wahrscheinlich.
(150) Sokrates: Wohl nicht, sondern nur wegen des unrechtlichen und unkünstlerischen Zusammenführens der Männer und Frauen, welches man das Kuppeln nennt, enthalten sich die Hebammen als ehrbare Frauen auch des Freiwerbens, aus Furcht, sie möchten um dieser Kunst willen in jenen Verdacht geraten. Denn eigentlich steht es den wahren Geburtshelferinnen auch allein zu, auf die rechte Art Ehen zu stiften.
Theaitetos: Offenbar.
Sokrates: Soviel also hat es mit den Hebammen auf sich; weniger aber doch als mit meinem Spiel. Denn bei den Frauen kommt es nicht vor, daß sie größtenteils zwar ächte Kinder gebären, bisweilen aber auch Mondskälber, und daß beides schwierig wäre zu unterscheiden. Denn wäre dies der Fall: so würde es gewiß die schönste und größte Kunst der Hebammen sein, zu unterscheiden was etwas rechtes ist, und was nicht. Oder glaubst du nicht?
Theaitetos: Das glaube ich wohl.
Sokrates: Von meiner Hebammenkunst nun gilt übrigens alles, was von der ihrigen; sie unterscheidet sich aber dadurch, daß sie Männern die Geburtshülfe leistet und nicht Frauen, und daß sie für ihre gebärenden Seelen Sorge trägt, und nicht für Leiber. Das größte aber an unserer Kunst ist dieses, daß sie im Stande ist zu prüfen, ob die Seele des Jünglings Mißgestaltetes und Falsches zu gebären im Begriff ist; oder Gebildetes und Ächtes. Ja auch hierin geht es mir eben wie den Hebammen, ich gebäre nichts von Weisheit, und was mir bereits Viele vorgeworfen, daß ich Andere zwar fragte, selbst aber nichts über irgend etwas antwortete, weil ich nämlich nichts kluges wüßte zu antworten, darin haben sie Recht. Die Ursach davon aber ist diese, Geburtshülfe leisten nötiget mich der Gott, erzeugen aber hat er mir gewehrt. Daher bin ich selbst keinesweges etwa weise, habe auch nichts dergleichen aufzuzeigen als Ausgeburt meiner eigenen Seele. Die aber mit mir umgehn, zeigen sich zuerst zwar zum Teil gar sehr ungelehrig; hernach aber bei fortgesetztem Umgange alle denen es der Gott vergönnt wunderbar schnell fortschreitend, wie es ihnen selbst und Andern scheint; und dieses offenbar ohne jemals irgend etwas etwa von mir gelernt zu haben, sondern nur selbst aus sich selbst entdecken sie viel Schönes, und halten es fest; die Geburtshülfe indes leisten dabei der Gott und ich. Dies erhellet hieraus. Viele schon haben dies verkennend und sich selbst alles zuschreibend, mich aber verachtend, oder auch selbst von Andern überredet, sich früher als