PLATON - Gesammelte Werke. Platon
Freilich.
Sokrates: Auch dieses also verhält sich so wie das bisherige; nicht weil es ein Geliebtes ist, wird es geliebt von denen die es lieben, sondern weil es geliebt wird ist es ein Geliebtes.
Euthyphron: Notwendig.
Sokrates: Was sagen wir also von dem frommen, Euthyphron? Nicht daß es von allen Göttern geliebt wird, wie die Erklärung lautet?
Euthyphron: Ja.
Sokrates: Ob wohl deshalb, weil es fromm ist, oder anders weshalb?
Euthyphron: Nein, sondern deshalb.
Sokrates: Also weil es fromm ist, deshalb wird es geliebt, und nicht weil es geliebt wird, deshalb ist es fromm.
Euthyphron: So scheint es.
Sokrates: Das Gottgefällige hingegen ist doch deswegen weil es von den Göttern geliebt wird das Geliebte und Gottgefällige.
Euthyphron: Wie anders?
Sokrates: Also ist das Gottgefällige nicht das fromme, o Euthyphron, noch auch das fromme das Gottgefällige, wie du sagst, sondern verschieden ist dieses von jenem.
Euthyphron: Wie doch das, Sokrates?
Sokrates: Weil wir doch zugeben, das fromme werde deshalb geliebt, weil es fromm ist, nicht aber, weil es geliebt wird, sei es fromm. Nicht wahr?
Euthyphron: Ja.
Sokrates: Das Gottgefällige aber sei, weil es von den Göttern geliebt wird, eben dieses Geliebtwerdens wegen gottgefällig, nicht aber weil es gottgefällig ist, werde es geliebt.
Euthyphron: Das ist richtig.
Sokrates: Wenn also nun, lieber Euthyphron, das Gottgefällige und das fromme dasselbe wäre: so müßte ja, wenn das fromme um des Frommseins willen geliebt wird, auch das Gottgefällige wegen des Gottgefälligseins geliebt werden; wenn aber das (11) Gottgefällige wegen des von den Göttern Geliebtwerdens gottgefällig ist, alsdann auch das fromme wegen des Geliebtwerdens fromm sein. Nun aber siehst du, daß beides sich entgegengesetzt verhält, und also auch gänzlich von einander verschieden sein muß. Denn das eine ist, weil es geliebt wird ein solches zum geliebt werden, das andere aber weil es etwas ist zum geliebt werden, wird eben deshalb geliebt. Und es scheint beinahe, o Euthyphron, als wolltest du, gefragt was das fromme ist, das Wesen desselben nicht aufzeigen, sondern nur eine Eigenschaft angeben, die ihm zukommt, daß nämlich dem frommen das eignet, von allen Göttern geliebt zu werden, als was aber ihm dies eignet, das hast du noch nicht gesagt. Ist es dir also genehm, so verbirg es mir nicht, sondern erkläre noch einmal von vorn, was denn an sich seiend das fromme hernach von allen Göttern geliebt wird, oder was ihm sonst zukommt; denn hierüber wollen wir uns nicht streiten. Aber sage nur offen heraus, was denn das fromme ist und das ruchlose.
Euthyphron: Aber ich weiß nicht, wie ich dir sagen soll, was ich denke. Denn wovon wir auch ausgehn, das geht uns ja immer herum, und will nicht bleiben, wohin wir es gestellt haben.
Sokrates: Das wäre ja meines Ahnherrn des Daidalos Kunst, o Euthyphron, was du da beschreibst. Wenn also ich dies gesagt und gesetzt hätte: so würdest du mich wohl verspotten, daß auch mir wegen der Verwandtschaft mit ihm meine Wortgebilde davon gingen, und nicht stehen bleiben wollten, wohin sie einer auch stellt. Nun aber, denn die Grundlagen sind ja dein, brauchen wir einen andern Scherz. Denn dir wollen sie nicht bleiben, wie es dich ja selbst dünkt.
Euthyphron: Mir aber, o Sokrates, scheinen unsere Reden gerade dieses Scherzes zu bedürfen. Denn dies Herumgehen und nicht an Ort und Stelle bleiben habe ich nicht in sie hineingelegt, sondern du, denke ich, der Daidalos. Denn meinetwegen wären sie immer so geblieben.
Sokrates: So scheine ich ja beinahe jenen Mann um soviel zu übertreffen in der Kunst, als er nur sein eigenes konnte in Bewegung bringen, ich aber außer dem meinigen, wie es scheint, auch fremdes. Und das eben ist die rechte Feinheit in meiner Kunst, daß ich wider Willen kunstreich bin. Denn ich wollte ja weit lieber, daß die Reden mir blieben und unbeweglich ständen, als daß ich zu der Weisheit des Daidalos hernach auch den Reichtum des Tantalos bekäme. Doch dem sei genug. Weil du mir aber weichlich zu sein scheinst: so will ich mich mit dir bemühen zu zeigen, wie du mich belehren könnest über das fromme; und werde mir nur nicht vorher müde. Sieh also zu, ob du nicht für notwendig hältst, daß alles fromme auch gerecht sei?
Euthyphron: Allerdings.
Sokrates: Etwa auch alles gerechte fromm? oder alles fromme zwar gerecht, das gerechte aber nicht alles fromm, sondern einiges davon zwar fromm, anderes aber auch anders?
(12) Euthyphron: Ich folge nicht, Sokrates, dem was du sagst.
Sokrates: Du bist ja doch um nicht viel wenigeres jünger, als du auch weiser bist denn ich. Aber, wie ich sage, du bist weichlich aus Überfluß von Weisheit. Allein, du Glücklicher, nimm dich ein wenig zusammen: denn es ist ja gar nicht schwer zu verstehen, was ich meine. Ich meine nämlich das Gegenteil von dem, was jener Dichter gedichtet hat, welcher sagt: Aber den Zeus, ders wirkte, der dies alles geordnet weigerst zu nennen du dich, denn wo Furcht, da immer ist Scham auch. Ich nun weiche ab von diesem Dichter; soll ich dir sagen wie?
Euthyphron: Sage es freilich.
Sokrates: Mich dünkt nicht, wo Furcht ist immer die Scham auch. Denn Viele, denke ich, welche Krankheit, Armut und dergleichen vielerlei fürchten, fürchten dies zwar, aber schämen sich keinesweges dessen, was sie fürchten. Denkst du nicht auch?
Euthyphron: Allerdings.
Sokrates: Wohl aber dünkt mich wo Scham da immer auch Furcht zu sein. Oder gibt es wohl jemand der eine Sache scheuend und sich schämend nicht auch Furcht und Angst hätte vor dem Ruf der Schlechtigkeit?
Euthyphron: Gewiß fürchtet er ihn.
Sokrates: Also ist es nicht richtig zu sagen: Wo nur Furcht ist immer die Scham auch; wohl aber, wo Scham ist immer die Furcht auch. Nämlich größer ist, glaube ich, die Furcht als die Scham: denn die Scham ist ein Teil der Furcht, so wie das ungerade ein Teil der Zahl ist. Wie denn auch nicht überall, wo nur Zahl immer auch ungerades ist, wo aber ungerades ist, da ist immer auch Zahl. Nun folgst du mir doch wohl?
Euthyphron: Vollkommen.
Sokrates: In demselben Sinne nun fragte ich auch dort, ob etwa wo gerechtes immer auch frommes ist, oder zwar wo frommes immer auch gerechtes, wo aber gerechtes nicht überall frommes, weil nämlich das fromme ein Teil des gerechten ist. Wollen wir dies behaupten oder willst du anders?
Euthyphron: Nein, sondern so, denn es leuchtet mir ein, daß dies richtig ist.
Sokrates: Sieh also auch das folgende. Denn wenn das fromme ein Teil des gerechten ist, so liegt uns ob, wie es scheint, abzufinden, welcher Teil des gerechten das fromme denn ist. Wenn du mich nun über etwas von dem vorigen fragtest, wie was für ein Teil der Zahl wohl das gerade wäre, und welche Zahl dies eigentlich ist, so würde ich sagen es ist die, welche nicht schief ist, sondern gleichschenkelig. Oder meinst du nicht?
Euthyphron: Ich gewiß.
Sokrates: Versuche also auch du eben so mir zu zeigen, was für ein Teil des gerechten das fromme ist, damit ich doch dem Melitos sagen kann, er solle mir nicht länger Unrecht tun und mich der Gottlosigkeit verklagen, indem ich von dir schon vollkommen gelernt hätte, was gottesfürchtig und fromm ist, und was nicht.
Euthyphron: Mich dünkt also, o Sokrates, derjenige Teil des gerechten das gottesfürchtige und fromme zu sein, der sich auf die