Schneesturm im Hochsommer. Meinrad Inglin

Schneesturm im Hochsommer - Meinrad Inglin


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eigenen Nacktheit nicht vor ihr schämen zu müssen.

      «Essen Sie gern Fische?», fragte er.

      «Ja, wenn sie nicht zu viel Gräten haben. Bei uns zu Hause gibt’s fast jeden Freitag Fische, aber Meerfische, glaub’ ich …»

      «Süßwasserfische sind auch nicht zu verachten, Hechte oder Barsche zum Beispiel. Am besten sind ja allerdings Forellen …»

      «Uh ja, die hab’ ich gern.»

      «Aber Sie sollten auch einmal einen Hecht probieren …»

      «Das möchte ich schon, ja …»

      Sie plauderten so und blickten einander lächelnd an. Anselm errötete manchmal, wenn er ihren Augen begegnete, und verstummte auch wieder. Er spürte das Bedürfnis, die Unterhaltung auf einer etwas höheren Stufe fortzuführen, die seiner glücklichen Gehobenheit und diesem seltenen Augenblick angemessener wäre, doch zugleich fand er es schön, schweigend neben ihr zu stehen und zu fühlen, dass auch sie nicht ungern hier so still neben ihm stand.

      Aber während eines solchen doch immerhin bedrängten Schweigens fuhr Ilse plötzlich mit der Hand an den Nacken, wandte sich um und drang erheitert auf Robert ein, der sie mit einem Schilfrohr gekitzelt hatte. Sie riss ihm das Rohr aus der Hand, schlug ihn damit und verfolgte ihn lachend ins Gehölz hinein.

      Anselm fand das unverschämt von Robert und wartete mit gerunzelter Stirn, dass sie an seine Seite zurückkehre. Er wartete fünf Minuten lang bangen Herzens umsonst, dann bemerkte er zu seiner Entrüstung, dass Ilse und Robert dem Inselufer entlang schwammen und sich gegenseitig bespritzten. Das konnte nur Robert angestiftet haben, Ilse allein hätte es nie getan. Es war unkameradschaftlich und gegen die Regel, die bisher hier gegolten hatte, es machte jede weitere Fischerei unmöglich und verpfuschte diesen ganzen verheißungsvollen Spätnachmittag. Anselm blickte wütend auf seinen Freund hinaus und zog die Angelrute ein.

      Karl ging auf der Insel herum, empört, mit einem verbissenen Gesicht, und streute giftige Bemerkungen aus. «Ist hier vielleicht ein Strandbad eröffnet worden?», rief er Anselm zu. «Das hat man davon! Ich meinerseits bin fertig mit ihr, sie braucht nicht mehr hierherzukommen, ich danke für diesen Besuch.»

      Anselm blickte ihn befremdet an und schwieg.

      Indessen hatte der Himmel sich da und dort verfinstert, und über den östlichen Bergen donnerte es ein wenig. Das war ungefährlich; solang es nicht schwarz und blitzend von Westen heraufquoll, durfte man ruhig auf der Insel bleiben. Ilse aber floh ans Ufer, sie erklärte, vor Gewittern Angst zu haben, und überredete ihren Vetter, mit ihr abzufahren. Niemand hielt sie zurück. Die Fischer setzten noch einmal ihre Hechtruten, aber das Glück war für heute verscherzt, und da hier sonst nichts mehr zum Bleiben lockte wie früher, fuhren sie, noch eh der Abend dämmerte, verstimmt und wortkarg heimwärts.

      Die Hochsommerschwüle hielt an, die Mücken tanzten, die Fische sprangen, und abends pflügte schon manchmal ein Gewitterwind schäumende Furchen auf. Kurz nach Mittag aber lag der See noch glatt und friedlich da, die Jünglinge standen zerstreut auf der Insel und blickten schweigend der blau leuchtenden, bräunlich schimmernden schmalen Mädchengestalt entgegen, die im Ruderboot dahergefahren kam. Am Hechtekap stand Anselm, und als Ilse nahe genug war, gab er sich so dem Fischen hin, als ob er sie nicht gewahrte. Er sah aber, dass Robert weglief, um sie an der Schifflände zu empfangen, ein wehes, bitteres Gefühl stieg in ihm auf, dergleichen er noch nie erlebt, und sein Herz bebte vor Spannung, was nun geschehen werde. Es geschah, was er inbrünstig gehofft, aber kaum zu erwarten gewagt hatte, Ilse kam von der Schifflände zu ihm, ohne sich viel um die andern zu kümmern, und trat mit einem freundlichen Gruß an seine Seite. Er blickte sie begeistert an, obwohl er sich beherrschen und die Entscheidung von ihrem weiteren Benehmen abhängig machen wollte; denn es ging ihm wirklich um eine Entscheidung, er glaubte, keine süße Halbheit und bloße Spielerei anzetteln zu dürfen, seine Neigung hatte heimlicher­weise zugenommen und ihn so um alle Ruhe gebracht, dass er in seiner herben und ehrlichen Art sie nur noch ernst nehmen konnte.

      Ilse stand nun wieder neben ihm, als ob das schon selbstverständlich wäre, aber sie hatte ein kleines Anliegen und brachte es alsbald vor. «Ich muss mich bei Ihnen noch entschuldigen», sagte sie und blickte ihm sanft in die fragenden Augen. «Ich habe mich ja letztes Mal leider zum Baden verleiten lassen … mir war so schwül … und vielleicht sind dann die Fische doch gestört worden. Es war mir nachher gar nicht recht … darum wollte ich mich bei Ihnen entschuldigen …»

      «O, also deshalb, Fräulein Ilse», entgegnete er, tief und ernst gerührt, «deshalb brauchen Sie sich nicht zu entschuldigen, nein …»

      «So haben Sie es mir also nicht übelgenommen?»

      «Nein, gar nicht … ich kann Ihnen nichts übelnehmen, gar nichts kann ich Ihnen übelnehmen, im Gegenteil … ich freue mich so, dass Sie wiedergekommen sind, Fräulein Ilse, und … und dass Sie da bei mir sind … und …» Er legte die Angelrute unbedacht hin, sodass sie mit der Spitze ins Wasser schlug, eine unverzeihliche Sünde für jeden ernsthaften ­Fischer, er wurde rot und stammelte, ihm war unsäglich zumut.

      Ilse senkte ein wenig den Kopf, dann sah sie ihm mit einem scheuen Kinderblick in die Augen und sagte: «Ich bin ja gern da.»

      «Ja, und ich möchte … man kann es nicht sagen …»

      «Nein … man kann nicht alles sagen … und es ist auch nicht notwendig … Aber vertreiben Sie jetzt nicht die Fische, wenn Sie die Rute so ins Wasser legen?»

      «Doch, selbstverständlich … aber das macht nichts … wenn ein Hecht da gewesen wäre, hätte er schon vorher gebissen …» Er nahm nun immerhin die Rute auf und schwang das Köderfischchen wieder hinaus, Ilse fragte, wie lange denn ein solches Fischchen an der Angel leben könne und ob man nicht auch künstliche Fische dafür brauche, er gab eine sachkundige Antwort, und der unsägliche Augenblick war überwunden.

      Sie stellte ein paar weitere Fragen, er antwortete und blickte, noch immer erregt, bald voll inniger Wärme auf sie, bald flüchtig auf den Schwimmer. Nachdem sie plaudernd oder schweigend eine Weile nebeneinandergestanden und ihre Fassung wiedergefunden hatten, sagte Ilse: «Ich gehe jetzt ein wenig auf der Insel herum, und nachher komme ich wieder hierher.» Sie entfernte sich zögernd, und er nickte ihr zu.

      Sie ging dem nördlichen Ufer entlang und kam auf ein schmales, kiesiges Strandstück, das fast flach ans Wasser grenzte und ihr als geeigneter Badeplatz erschien. Es war aber der Fangplatz Karls, und während sie noch mit dem Gedanken spielte, hier ganz in der Ufernähe heimlich zu baden, kam der stämmige kleine Fischer von der Schifflände her, wo er den Köder ausgewechselt hatte, durch das Gehölz zurück. Er entdeckte Ilse an seinem Platz und ließ sich keinen Augenblick aufhalten, er kam, die Angelrute wie einen langen Spieß vor sich hinstreckend, grimmig unter den Bäumen hervor, berührte das Mädchen mit einem Schlag der Rutenspitze und drängte es, vorrückend, mit der Rute heftig beiseite.

      Ilse wandte sich mit einem verblüfften Laut nach ihm um, noch ungewiss, ob es Scherz oder Ernst sei, dann wich sie aus und sah, wie er mit verbissener, ja böser Miene ans Wasser trat, ohne sie auch nur mit einem Blick zu beachten. Erschrocken über so viel Feindseligkeit, zog sie sich eilig zurück und erwog empört, ob sie nicht sogleich wegfahren sollte. Sie ging aber vorerst zu Anselm und erzählte es ihm.

      Anselm runzelte die Stirne und nannte Karls Betragen ­rüpelhaft anmaßend, aber er beruhigte Ilse und versprach ihr, dafür sorgen zu wollen, dass sich so etwas nicht wiederhole. «Ich werde das gleich in Ordnung bringen», erklärte er finster. «Bitte bleiben Sie nur ruhig hier!»

      Er ging zu Karl und stellte ihn zur Rede. Ein lauter Wortwechsel entstand zwischen ihnen, der rasch ihre Kameraden herbeilockte. Anselm war dicht am Wasser vor Karl hingetreten und verlangte, dass er sich bei Ilse entschuldige. Xaver suchte den Streit zu schlichten, Robert und Sebastian, die etwas höher oben im Buschrand stehen geblieben waren, mahnten auch zur Vernunft.

      Karl aber sprühte vor Entrüstung über das Mädchen, das hier Unfrieden stifte, und vor Hohn auf jene, die es nicht mer­ken wollten. «Ihr habt ja kein Urteil», rief er, «ihr seid alle auf diesen Stadtfratz hereingefallen


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