Leben mit "kaputtem Akku". Johanna Krapf

Leben mit


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Gar keine gute Idee, denn von da an fühlte ich mich ständig müde, und auch der Schlaf brachte mir nicht die gewünschte Erholung. Doch vorläufig machte ich mir deswegen noch keine Sorgen: Das sei die Frühlingsmüdigkeit, trösteten mich meine Bekannten, und außerdem standen die Sommerferien vor der Tür, danach würde bestimmt alles wieder beim Alten sein. Voller Elan und sogar mit einem größeren Pensum als vorher startete ich ins neue Schuljahr. Die Müdigkeit ließ jedoch nicht mehr von mir ab, ich litt ständig unter Kopfschmerzen, und eine eigenartige, sehr schmerzhafte Verhärtung der ganzen Nacken- und Rückenmuskulatur, die von einer Sekunde auf die andere meinen Rücken in eine Schiefhaltung brachte, überfiel mich nun immer öfter. Schließlich, nach einem besonders schweren Anfall, suchte ich die Notfallstation auf, wo ich aber nur mit ein paar Tipps – ich solle mich in der Badewanne entspannen und Salbe einreiben – abgespeist wurde. Danach ging ich zum Hausarzt, der ebenfalls sehr bald mit seinem Latein am Ende war und mich weiterverwies ans Spital Olten. Der dortige Neurologe machte diverse Tests, doch herauskam – nichts! Es sei alles in Ordnung mit mir.

      Symptome: starke Müdigkeit, täglich heftige Kopfschmerzen, hin und wieder für kurze Zeit Muskelschmerzen in unterschiedlichen Körperteilen.

      Immer häufiger hatte ich nun Probleme mit der Konzentration. Da stand ich dann mit vernebeltem Kopf vor den Kindern, konnte meine Stundenpräparation nicht abrufen, und ihre Fragen drangen nicht zu mir durch – und trotzdem sollte mit mir alles in Ordnung sein? Verzweifelt suchte ich wieder den Hausarzt auf. Dieser schrieb mich für zwei Wochen krank. Aber als es mir nachher immer noch nicht besser ging, war ich bei ihm nicht mehr willkommen. Also wandte ich mich, weil ich unbedingt ein Arztzeugnis brauchte, wieder an den Neurologen im Spital Olten, doch da war ich an der falschen Adresse. Er könne mich nicht krankschreiben, ich sei ja gesund, ich solle zum Hausarzt gehen: Hausarzt – Neurologe – Hausarzt, eine Endlosschleife, die damals ihren Anfang nahm und mich bis heute von Abklärung zu Abklärung, von Arzt zu Ärztin führt. Ich wusste nicht mehr weiter. Keiner wollte mir helfen, obwohl ich zwingend darauf angewiesen war, mal für einen Tag, mal für eine Woche, mal für drei Tage bei der Arbeit aussetzen zu können, denn ich war der beruflichen Herausforderung je länger je weniger gewachsen. Schlussendlich raffte ich mich auf und suchte mir eine neue Hausärztin. Und siehe da, ich hatte Glück und fand eine Frau, bei der ich mich sehr gut aufgehoben fühlte, die mich ernst nahm und mir ein Arztzeugnis ausstellte, wenn es nicht anders ging. Doch das schlechte Gewissen wegen meiner häufigen Ausfälle quälte mich, sodass ich zuerst diejenigen Stunden, die ich nach den Sommerferien neu übernommen hatte, kündigte, und dann, ein halbes Jahr später, auch eines der beiden anderen Pensen. Versicherungstechnisch war das natürlich alles andere als weise, aber ich sah keinen anderen Ausweg, und der Case Manager, der es eigentlich hätte besser wissen müssen, versagte völlig. Unterdessen erklärte mich meine neue Hausärztin zu 100 Prozent arbeitsunfähig. Dennoch knickte ich schließlich unter dem Druck der Schulleitung ein und kündigte auch noch das letzte Pensum. Über eineinhalb Jahre konnte ich nun überhaupt nicht mehr arbeiten.

      In diese Zeit fiel meine erste Anmeldung bei der Invalidenversicherung (IV), und, nach der üblichen Wartefrist von weit mehr als einem Jahr, folgte mein Termin bei einem IV-Gutachter. Oje, war das ein Reinfall! Er hatte keine Ahnung von meiner Thematik, ging in keiner Weise auf mich ein, quetschte mich drei Stunden lang aus wie eine Zitrone und drehte mir zu guter Letzt in seinem Bericht, den ich später zur Einsicht erhielt, alles im Mund um, was ich gesagt hatte. Na ja, wenn mir diese Tortur wenigstens eine Rente verschafft hätte, dann hätte sie sich immerhin gelohnt. Aber ich war – so der Gutachter, ein Psychiater übrigens – gesund, munter und fit und hatte folglich keinen Anspruch darauf. Kein Wunder, dass mir das Vertrauen in solche „Fachpersonen“, ja, in die Schulmedizin überhaupt, damit endgültig abhandengekommen war.

      Gleichzeitig nahm der Untersuchungsmarathon, auf den ich mich vor allem wegen der Kopfschmerzen und der Müdigkeit eingelassen hatte, seinen Lauf. Er brachte mich allerdings keinen Schritt weiter. Immer wieder musste ich mir anhören, dass mit mir körperlich alles in Ordnung sei. Spannungskopfweh und Müdigkeit seien wohl auf eine psychische Störung zurückzuführen, ich solle es doch einmal mit einem Antidepressivum probieren. Und als ich mich weigerte, solche Medikamente zu schlucken, schickte man mich in ein Ambulatorium für psychische Probleme, wo mir eine Angststörung angedichtet wurde mit der Begründung, ich sei verzweifelt vor Angst, dass ich wegen der Biopsie nicht mehr schwanger werden könne. Ja, natürlich war ich verzweifelt, ja, logisch, dass es mir psychisch nicht gut ging, aber das war doch nicht anders zu erwarten bei all den körperlichen Symptomen. Mit einer psychischen Störung hatte meine Verzweiflung jedenfalls nichts zu tun.

      Neurologische Untersuchung in Olten (keine zielführende Diagnose), schlafmedizinische und Wachhaltetest-Untersuchung im Spital Solothurn (keine zielführende Diagnose), MRI in Olten (keine zielführende Diagnose), EEG in Olten (keine zielführende Diagnose), Besuch beim psychiatrischen Dienst in Solothurn, Ultraschall Milz.

      Auf der persönlichen Ebene war mein Leben trotzdem reich: Am Tanzen hatte ich vorerst beharrlich festgehalten, denn nach der verhängnisvollen Biopsie und der OP hatte ich im Ausgang beim Discofox-Tanzen meinen zukünftigen Mann kennengelernt. Wir harmonierten wunderbar zusammen, und so entschieden wir uns, uns auf die Teilnahme an Tanzturnieren vorzubereiten – trotz der Erschöpfung, die mich ja immer begleitete, und trotz der Kopfschmerzen. Schließlich zog ich sogar zu ihm in den Kanton Baselland, wo er mit seiner Familie eine Bäckerei betrieb. Wir malten uns unsere gemeinsame Zukunft und die vielen Erfolge an Tanzturnieren aus, wenn es mir wieder besser gehen würde. Doch davon war vorerst keine Rede. Unterdessen konnte ich kaum mehr aufstehen, geschweige denn tanzen. Monatelang war ich sogar ganz bettlägerig und musste all meine Energie bündeln, um die migräneartigen Kopfschmerzen zu ertragen und wenigstens noch in die Psychotherapie und zu meiner Hausärztin gehen zu können. So begann ich mich denn auch mit dem Thema des begleiteten Freitods zu befassen, da ich mir nicht vorstellen konnte, diese grauenhaften Schmerzen ein Leben lang auszuhalten. Zum Glück stand mein Partner in dieser schwierigen Zeit voll hinter mir und kümmerte sich rührend um mich und um den Haushalt. Viel mehr als mal ein T-Shirt zu bügeln war mir nämlich nicht möglich. Auch weitere Abklärungen, um die Ursache meiner rätselhaften Krankheit aufzuspüren, ließ ich fortan bleiben, weil ich schlicht zu müde und krank war. Diese akute Phase dauerte mindestens ein halbes Jahr, bevor sich nach und nach eine Besserung abzeichnete, warum auch immer. Ich habe bis heute keine Erklärung dafür. Jedenfalls musste ich das Bett nicht mehr rund um die Uhr hüten, und ich begann vorsichtig, dies und jenes im Haushalt zu erledigen.

      Mittlerweile war mein Vater, der nicht locker ließ bei seinen Recherchen nach der Ursache meiner Symptome, auf die Krankheit ME/CFS respektive CFS gestoßen, und er drängte darauf, diesem Verdacht nachzugehen. Nur wie und wo überhaupt? Der einzige „Spezialist“ in der Schweiz, den er auftreiben konnte und zu dem ich mich schließlich sogar schleppte, schaute mir tief in die Augen und sagte dann gewichtig: „Ja, genau, Sie leiden an CFS.“ Alles klar – nur, auf solch eine aus der Luft gegriffene (oder an den Augen abgelesene) Diagnose konnte ich gut verzichten! Weiter ging die hoffnungslose Suche nach CFS-Spezialist:innen, hoffnungslos darum, weil die Krankheit in der Schweiz offensichtlich noch völlig unbekannt war. Folglich weitete mein Vater die Recherche nach Deutschland aus, und, tatsächlich, in Bamberg stieß er auf einen Arzt, der ihm einen seriösen Eindruck machte. Doch ich war gar nicht erpicht auf eine solch beschwerliche Reise, und er brauchte wahrlich einen langen Atem, um mich von deren Sinn zu überzeugen. Nun, er sollte recht behalten, der Aufwand lohnte sich, denn Doktor Wolfram Kersten nahm sich meiner an, stellte mir sinnvolle Fragen und untersuchte mich gründlich. Anhand dieser Tests, die einerseits mögliche Krankheiten ausschlossen, andererseits vorliegende Störungen nachwiesen, stellte auch er die Diagnose Chronisches Erschöpfungssyndrom CFS in den Raum. Aber vor allem bestätigte er mir, dass meine Symptome einen organischen Ursprung hatten, dass also absolut nicht alles in Ordnung war, wie man mir bisher immer versichert hatte. Das war Mitte des Jahres 2012. Bis ich in der Schweiz eine Bestätigung der Diagnose CFS erhalten würde, sollte es noch über sieben Jahre dauern!

       Umfassende Blut-, Hormon-, Stuhl- und Schwermetalluntersuchungen; Ausschluss: instabile Halswirbelsäule und Hashimoto-Thyreoiditis (Schilddrüsenentzündung, eine Autoimmunerkrankung);

      Diagnose: CFS, Nebennierenunterfunktion,


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