Leben mit "kaputtem Akku". Johanna Krapf

Leben mit


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abfinden. Auch der Case Manager, der mich zu der Zeit meiner Anstellung in Burgdorf begleitete, fand, es müsse sich etwas ändern, und schickte mich wegen der wiederholten Arbeitsausfälle in eine Klinik zur psychosomatischen Rehabilitation. Doch leider stellte sich dieser Weg als völlig falsch heraus. Nicht die Psyche war der Grund meiner gesundheitlichen Probleme, sondern es war genau umgekehrt: Meine Krankheit führte zu den psychischen Problemen. Das alte Lied einmal mehr …

      Vielleicht hätte mir dieser Aufenthalt in der Rehaklinik Hasliberg im Frühling 2018 ja trotzdem gutgetan, wenn man meinen gesundheitlichen Einschränkungen Rechnung getragen hätte, indem zum Beispiel der haushälterische Umgang mit meinen verbleibenden Energieressourcen thematisiert worden wäre. Dem war aber nicht so, und als ich dem strikten Programm nicht folgen konnte, da sich meine Symptome nach jeder Anstrengung verschlimmern (das nennt sich PEM, Post-Exertional Malaise – siehe Seite 190), wurde ich ganz einfach mir selbst überlassen, wurde im wörtlichen Sinn vergessen. Nach sechs Wochen, in denen es mir immer schlechter ging, hatte ich genug und erzwang eine Entlassung. Doch leider erhielt ich einen wunderbar geschönten Abschlussbericht, in dem zu lesen ist, wie gut ich auf die Therapie reagiert habe. Und genau dieser Bericht, welcher der Invalidenversicherung heute vorliegt, macht mir nun einen Strich durch die Rechnung, wenn ich auf die Anerkennung meiner organischen Krankheit poche. Doch davon später mehr. Da diese Reha nichts gebracht hatte, ich aber meiner beruflichen Belastung kaum mehr gewachsen war, beantragte ich schweren Herzens eine Umschulung. Dann wartete ich. Und ich wartete. Denn die IV benötigte eineinhalb Jahre, um zum Schluss zu kommen, ich sei zu krank für eine Umschulung! Für eine Erhöhung meiner Rente war ich aber offenbar noch immer nicht krank genug …

      Im Frühling 2019, also noch vor der Antwort der IV, wurde ich zuerst 100 Prozent krankgeschrieben und erhielt ein halbes Jahr später die Kündigung (immerhin hatte ich aus meinem früheren Fehler gelernt und reichte sie nicht selbst ein). Seither arbeite ich nicht mehr. Das macht mich traurig, aber es ist auch eine Erleichterung.

      Finanziell hat sich erst einmal nicht viel geändert, da ich bis zum Sommer 2020 Krankentaggeld bekam. Zwar beantragte ich, noch bevor dieses auslief, Ergänzungsleistungen, doch erneut muss ich mich seither in Geduld üben, denn eine Antwort habe ich vorläufig keine erhalten. Das heißt, im Moment lebe ich von den 450 Franken der IV und von meinem Ersparten, bis es praktisch aufgebraucht ist. Dann werde ich wohl zum Sozialamt gehen müssen.

      Das Eingeständnis mir selbst gegenüber, dass ich nicht mehr arbeiten konnte, dass ich damit die Schwelle von einer leicht bis moderat zu einer moderat betroffenen ME/CFS-Patientin überschritten hatte, machte mir zu schaffen. Zudem fühlte ich mich einsam in meiner Wohnung im stillen Linden und igelte mich immer mehr ein. Natürlich hätte mich meine Mutter noch so gern unterstützt, im Haushalt etwa, aber dafür wohnte sie nun mal viel zu weit weg.

      Mein Vater allerdings hatte der ganzen Entwicklung nicht untätig zugesehen, sondern war im Hintergrund unablässig auf der Suche nach den Auslösern meiner Symptome und nach möglichen Heilungschancen, und so stieß er beim Durchkämmen der Literatur auf die Lyme-Borreliose. Sie gehört ja zu den Infekten, die als Trigger von ME/CFS fungieren können. Also unterzog ich mich, vor und nach dem Reha-Aufenthalt, verschiedenen Untersuchungen, um einen eindeutigen Befund zu erhalten, ob ich an Borreliose leide oder nicht, denn ein Nachweis sowohl der Antikörper als auch des Erregers selbst ist nicht ganz einfach. Schließlich gelang es einem Spezialisten im Kanton Baselland, die Borrelien nachzuweisen. Da es sich jedoch bei mir um eine chronische Form der Krankheit handelte, war es zu spät für eine Antibiotikakur, weshalb der Arzt eine IHHT-Sauerstofftherapie vorschlug, die sich auf der Ebene des Zellstoffwechsels abspielt, indem mithilfe von Sauerstoff die in Gelenken, Nerven oder Gehirn verborgenen Borrelien „herausgelockt“ und angreifbar gemacht werden. Für die Beendigung der Therapie konnte ich zum Glück von Liestal in eine Praxis in Thun wechseln. Und ich sprach gut darauf an, sodass die Borrelien im Blut nicht mehr nachgewiesen werden konnten – was leider nicht hieß, dass es mir nun sehr viel besser gegangen wäre. Also folgten eine Überweisung zum Physiotherapeuten – der mich immer noch einmal wöchentlich massiert – und weitere Therapieversuche in derselben Praxis in Thun, die allerdings alle erfolglos blieben, sodass man mich dort nicht mehr länger behandeln wollte.

      Mein Vater aber dachte nicht ans Aufgeben und fädelte schon bald die nächsten Abklärungen ein, von denen ich hier nur auf die wichtigsten zu sprechen kommen möchte: Im Herbst 2019 fuhr ich zum zweiten Mal zu Doktor Kersten nach Bamberg – an die strapaziöse Reise mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, von der ich mich nie vollständig erholte, will ich mich lieber nicht erinnern. Kersten machte alle möglichen Tests, unter anderem auch Hirnscans, und präsentierte mir nach deren Auswertung einmal mehr eine lange Liste von Störungen.

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      Ausblick aus Mélina Imdorfs Wohnküche in die Berge – ganz links Eiger, Mönch und Jungfrau

      Foto: © privat

      Genetischer Polymorphismus, Dehydrogenase, Autonome Neuropathie, Oxidativer Stress5, diverse Mangelzustände und Chronisches Stress- und Erschöpfungssyndrom.

      Mit diesem Untersuchungsergebnis voller unverständlicher Fremdwörter schickte mich meine Hausärztin zur Anlaufstelle für Patienten ohne Diagnose am Universitätsspital Zürich, wo – man glaubt es kaum – am 19. Dezember 2019, gut sieben Jahre nach Doktor Kerstens erstem Befund, ein Chronisches Fatigue Syndrom festgestellt wurde – allerdings mit dem Vermerk versehen, eine spezifische somatische Ursache sei nicht auszumachen. Die psychische Störung werde ich wohl mein Leben lang nicht mehr los!

      Da die Diagnose CFS jetzt am Universitätsspital Zürich bestätigt worden war (wie gesagt, noch lieber wäre mir ME/CFS gewesen, aber ich will den Bogen nicht überspannen), schien der richtige Zeitpunkt gekommen zu sein, die Viertelsrente der IV anzufechten. Also musste ich im Sommer 2020 vier weitere Gutachtertermine wahrnehmen. Man stelle sich das so vor: Mein Vater fuhr mich im Camper nach Basel, damit ich während der Fahrt liegen und mich nach den Gesprächen sofort wieder entspannen konnte. Am schlimmsten war der letzte Termin – bei einem total lustlosen Psychologen, dessen Aufgabe es war, meine kognitive Beeinträchtigung festzustellen. Ich musste stundenlange Tests, die meine volle Konzentration erfordert hätten, über mich ergehen lassen. Ich war trotz der kurzen Pausen, und obwohl wir den Termin von Anfang an auf zwei Tage verteilt hatten, völlig am Anschlag. Wenn sich diese Überforderung allerdings in einer vollen Rente niederschlägt, will ich mich nicht beklagen, wenn nicht, wäre der Preis, den ich dafür bezahlen musste, jedoch viel zu hoch, denn diese Überanstrengung macht mir bis heute zu schaffen. Das Verfahren läuft noch …

      Übrigens hatte ich im Februar 2020 meine Selbstständigkeit in Linden aufgegeben und war hierher nach Mühlethurnen gezogen, wo ich ganz in der Nähe meiner Eltern auf eine wunderschöne Wohnung gestoßen war – zur riesigen Erleichterung vor allem meiner Mutter. Sie hatte sich ständig Sorgen gemacht, wenn sie mich zum Beispiel nicht auf dem Mobiltelefon erreichen konnte. Jetzt entlastet sie mich im Haushalt, damit ich meine Energie, oder was mir davon noch geblieben ist, für schönere Dinge einsetzen kann. Dafür möchte ich ihr an dieser Stelle danken!

      Was ich mir für die Zukunft wünschen würde? Eine höhere IV-Rente würde mich von den finanziellen Ängsten erlösen und mir sogar von Zeit zu Zeit eine Verschnaufpause wie jene in der Herberge Häutligen6 ermöglichen, die ich im September genießen durfte. In Häutligen wurde ich angeleitet, meine Grenzen zu akzeptieren, und ich wurde liebevoll unterstützt auf dem Weg zu mir selbst, denn die Menschen dort sahen und nahmen mich so, wie ich bin. Und dort konnte ich bei der täglichen Meditation am Morgen und Abend zur Ruhe kommen.

      Ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der ME/CFS als neurologische Krankheit bekannt und anerkannt ist, sodass ich mich nicht dauernd erklären und rechtfertigen muss. Und natürlich wünsche ich mir auch mein Leben zurück, in dem ich meinen Beruf als Rhythmiklehrerin zumindest stundenweise ausüben und am sozialen Geschehen in meinem Umfeld teilhaben kann.

      Ja, ich wünsche mir, dass ich den Wartesaal verlassen kann, in dem ich seit Jahren lebe, durch dessen Fenster ich zuschaue, wie die Züge vorbeischnauben, in dem ich vergeblich darauf warte, dass einer anhält und


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