Internationales Strafrecht. Robert Esser
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VII. Antrag auf Auslegung des Urteils
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Jede Partei kann innerhalb eines Jahres nach der Verkündung eines Urteils dessen Auslegung beantragen (Rule 79 Abs. 1). Der Antrag ist bei der Kanzlei einzureichen. Der Teil des Urteils, dessen Auslegung begehrt wird, ist im Antrag genau zu bezeichnen (Rule 79 Abs. 2). Über den Antrag (Request for interpretation of a judgment) entscheidet die ursprüngliche Kammer. Sie kann den Antrag zurückweisen, wenn er aus ihrer Sicht unbegründet erscheint (Rule 77 Abs. 3 Satz 1).[86] Andernfalls ist er den anderen betroffenen Parteien zuzuleiten, die – innerhalb einer zu bestimmenden Frist – Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme erhalten. Über den Antrag entscheidet die Kammer entweder im schriftlichen Verfahren oder – falls notwendig – nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung durch Urteil (Rule 79 Abs. 4).
Teil 1 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte › D. Urteil des EGMR › VIII. Überwachung des Urteils
VIII. Überwachung des Urteils
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Die EMRK sieht derzeit kein Verfahren zur Vollstreckung der Urteile des EGMR vor. Das endgültige Urteil des Gerichtshofs (Art. 44 EMRK) ist vielmehr dem Ministerkomitee des Europarates[87] zuzuleiten, das die dem jeweiligen Vertragsstaat obliegende Durchführung des Urteils überwacht (Art. 46 Abs. 2; 54 EMRK)[88]. Das Ministerkomitee ist aber – wie auch der Gerichtshof selbst – nicht weisungsberechtigt gegenüber den Vertragsstaaten, sondern kann nur einen Bericht darüber anfordern, wie die verurteilten Vertragsstaaten ihrer Verpflichtung aus Art. 46 Abs. 1 EMRK (siehe Rn. 465) zur Befolgung des Urteils nachkommen.
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Solange das Ministerkomitee nicht davon überzeugt ist, dass der jeweilige Vertragsstaat der EMRK seinen Verpflichtungen aus dem Urteil nachgekommen ist, kann es die Sache immer wieder auf die Tagesordnung setzen und den Staat zur Einhaltung seiner Pflichten ermahnen. Bis zum Inkrafttreten des 14. P-EMRK standen dem Ministerkomitee nur politische Druckmittel zu Verfügung, um den Vertragsstaat zur Einhaltung der Urteilsverpflichtungen anzuhalten.
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Auch der Bf. kann das Ministerkomitee darüber in Kenntnis setzen, dass die vom Vertragsstaat ergriffenen Maßnahmen unzureichend sind. Die unzureichende Umsetzung eines Urteils durch den verurteilten Vertragsstaat an sich begründet aber hinsichtlich der ursprünglichen Konventionsverletzung keinen zweiten Verstoß gegen die EMRK.[89] Eine erneute Beschwerde ist deswegen nicht zulässig.
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Davon zu unterscheiden ist die Konstellation, dass es im Zuge der Umsetzung des Urteils – z.B. während einer Neuverhandlung vor den innerstaatlichen Gerichten – zu einer neuerlichen, mit der ursprünglichen Verletzung nicht übereinstimmenden, Verletzung der Konvention kommt. Dann kann der Bf. den EGMR (erneut) anrufen.[90]
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Nach Auskunft des Europarates werden ca. 97% der vom EGMR ausgesprochenen Urteile von den Staaten befolgt, wobei kritisch zu hinterfragen ist, welche staatliche Reaktion noch als „Befolgung“ i.S.v. Art. 46 Abs. 1 EMRK eingestuft werden kann.[91]
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Bis 2009 konnte das Ministerkomitee bei einer hartnäckigen Verweigerung der Urteilsumsetzung lediglich politischen Druck auf den säumigen Vertragsstaat ausüben, etwa indem vorläufig die Vertretung im Europarat entzogen oder der Staat zum Austritt aus demselben aufgefordert wurde.
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Seit dem Inkrafttreten des 14. Protokolls zur EMRK kann das Ministerkomitee eine unzureichende Umsetzung des endgültigen Urteils durch den verurteilten Vertragsstaat vor dem EGMR rügen (Art. 46 Abs. 4, Abs. 5 EMRK n.F.).[92] Weigert sich eine Vertragspartei nach Auffassung des Ministerkomitees, ein gegen sie gerichtetes endgültiges Urteil des Gerichtshofs zu befolgen, so kann das Ministerkomitee, nachdem es die betreffende Vertragspartei gemahnt hat, durch einen mit Zweidrittelmehrheit der Stimmen seiner Mitglieder gefassten Beschluss die GK (Art. 32 Abs. 2 lit. b EMRK) mit der Frage befassen, ob diese Partei ihrer Verpflichtung nach Absatz 1 nachgekommen ist.
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Stellt der Gerichtshof eine Verletzung von Art. 46 Abs. 1 EMRK fest, so weist er die Rechtssache zur Prüfung der zu treffenden Maßnahmen an das Ministerkomitee zurück. Sieht der Gerichtshof eine solche Verletzung als gegeben an, stellt er dies in einem Urteil (Rule 99) fest und weist die Rechtssache zur Prüfung der zu treffenden Maßnahmen nach Art. 46 Abs. 2 EMRK an das Ministerkomitee zurück.
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Kommt die GK dagegen zu dem Schluss, dass Art. 46 Abs. 1 EMRK nicht verletzt ist, so weist der Gerichtshof die Rechtssache ebenfalls an das Ministerkomitee zurück; dieses beschließt die Einstellung seiner Prüfung.
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Gütliche Einigungen werden dem Ministerkomitee ebenfalls zugleitet (Art. 39 Abs. 4 EMRK). Dasselbe gilt für die Entscheidung, eine Beschwerde aus dem Register zu streichen, sofern sie in Urteilsform ergeht (vgl. Rule 43 Abs. 3). Nachdem das Urteil endgültig geworden ist, soll das Ministerkomitee auch die Einhaltung solcher Umstände, die dazu geführt haben, das seine Beschwerde nicht weiter geprüft wurde, überwachen können, was insbesondere im Falle der unilateral declarations zwingend erscheint (siehe auch Rn. 376).
Teil 1 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte › D. Urteil des EGMR › IX. Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens vor dem EGMR
IX. Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens vor dem EGMR
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Wird einer Partei eine Tatsache bekannt, die den Ausgang einer vom EGMR bereits entschiedenen Rechtssache möglicherweise maßgeblich beeinflusst hätte, wäre sie vor der Urteilsverkündung dem Gericht zur Kenntnis gelangt, so kann, sofern der Umstand dieser Partei nach menschlichem Ermessen nicht bekannt sein konnte, bei der Kanzlei die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt werden.[93] Einen entsprechenden Antrag (Request for revision of the judgment) muss die Partei innerhalb von sechs Monaten stellen, nachdem sie von der Tatsache Kenntnis erhalten hat (Rule 80 Abs. 1).
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Der Antrag auf Wiederaufnahme muss das Urteil bezeichnen, auf das er sich bezieht, und Angaben enthalten, aus denen sich die Voraussetzungen eines Wiederaufnahmegrundes ergeben. Dem Antrag sind Kopien aller zu seiner Begründung dienenden Unterlagen beizufügen (Rule 80 Abs. 2).
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Über den Antrag entscheidet (nach Möglichkeit) die ursprünglich mit der Rechtssache befasste Kammer[94] im schriftlichen Verfahren oder (falls nach Ansicht der Kammer erforderlich) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung durch Urteil (Rule 80 Abs. 4 Satz 2). Die Kammer kann den Antrag zurückweisen, wenn aus ihrer Sicht kein ausreichender Grund für eine Wiederaufnahme vorliegt (Rule 80