Internationales Strafrecht. Robert Esser
nationalen Behörden und Gerichten entfallen. Nicht erstattungsfähig sind daher Kosten, die unabhängig von dem vom EGMR festgestellten Konventionsverstoß angefallen wären. Das gilt insbesondere für die auf nationaler Ebene allgemein – d.h. unabhängig vom Konventionsverstoß und ohne Bezug zum späteren Verfahren vor dem EGMR – entstandenen Kosten der Verteidigung.[70]
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(b) Sonstige dem Bf. im Rahmen des nationalen Strafverfahrens entstandene Kosten (z.B. Gebühren, Auslagen, Kostenvorschüsse im Verfahren vor den Strafgerichten oder im Rahmen einer Haftprüfung) sind ebenfalls nur erstattungsfähig, soweit sie sich auf ein Rechtsbehelfsverfahren beziehen, mit dessen Hilfe der (eingetretene) Konventionsverstoß abgewendet werden sollte. Auch hier müssen sich die Kosten konkret auf die festgestellte Verletzung beziehen (in so far as they relate to the violation found).[71] Das Verfahren vor dem EGMR selbst ist kostenfrei (siehe noch Rn. 540).
513
(c) Die Gebühren und Auslagen für einen Rechtsbeistand im Verfahren vor dem EGMR sind ebenfalls erstattungsfähig, soweit sie im Zusammenhang mit einer vom Gerichtshof festgestellten Verletzung der EMRK entstanden sind.[72] Sie müssen vom Bf. detailliert dargelegt werden (set out in detail).[73] Andernfalls verweigert der Gerichtshof eine Erstattung oder entscheidet auch diese Frage nach billigem Ermessen, unter Anrechnung einer etwaigen vom Europarat gewährten Verfahrenshilfe (siehe auch gleich noch Rn. 515).[74] Ebenfalls erstattungsfähig sind – soweit notwendig, angemessen und hinreichend dokumentiert (Rule 60 Abs. 2) – Reise-, Aufenthalts-, Übersetzungs- und Dolmetscherkosten.[75]
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Hinweis
Die für Rechtsanwaltsgebühren für Verfahren vor dem EGMR bestehende Gesetzeslücke wurde zum 1.8.2013 durch den neuen § 38a RVG geschlossen. Darin wird auf die Gebühren im Revisionsverfahren im jeweiligen Rechtszug verwiesen. Der Gegenstandswert ist nach billigem Ermessen zu bestimmen, beträgt aber mindestens 5.000 €.[76]
515
(d) Eine auf nationaler Ebene oder vom Europarat gewährte Verfahrenshilfe (legal aid; Rules 100-105) wird stets in Abzug gebracht (§ 18 Satz 3 PD-JS). Zur Gewährung von Verfahrenshilfe vgl. Rn. 382.
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Der Bf. hat die geltend gemachten Kosten durch detaillierte Rechnungen und Quittungen zu belegen (§ 21 PD-JS). Eine detaillierte Anwaltsrechnung („itemised fee note“) wird normalerweise ausreichen, um die Anwaltskosten zu belegen, nicht jedoch eine (Selbst-)Berechnung unter Berufung auf das RVG.[77]
5. Verzinsung der Entschädigungssumme (default interest)
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Neben der Festsetzung der Entschädigungssumme kann die Kammer außerdem beschließen, dass dieser Betrag zu verzinsen ist, wenn die Zahlung nicht innerhalb einer bestimmten Frist – i.d.R. drei Monate nach Eintritt der Endgültigkeit der Entscheidung (vgl. Rn. 524) – erfolgt (Rule 75 Abs. 3, § 25 PD-JS). Hinsichtlich des Zinssatzes orientiert sich der Gerichtshof am Spitzenrefinanzierungszinssatz (marginal lending rate) der Europäischen Zentralbank (EZB), nimmt aber meist noch einen Aufschlag von drei Prozentpunkten vor (§ 25 Satz 2 PD-JS).[78]
6. Durchsetzung des Entschädigungsanspruchs; Abtretbarkeit und Pfändbarkeit
518
Das BVerfG leitet aus der Festsetzung einer Entschädigung durch den EGMR eine staatliche Leistungspflicht völkerrechtlicher Natur aus Art. 46 EMRK GG ab.[79] Dem EGMR selbst stehen aber keine Sanktionsmöglichkeiten zur Verfügung, falls die BR Deutschland diese völkerrechtliche Pflicht zur Zahlung nicht erfüllt (siehe aber Rn. 526).
519
Das Urteil des EGMR ist nach deutschem Recht nicht vollstreckbar. Es kann auch nicht nach den Vorschriften über die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung nach §§ 722, 723 ZPO für vollstreckbar erklärt werden. Weigert sich die BR Deutschland im Falle einer Verurteilung durch den EGMR also die im Urteil festgesetzte Entschädigungssumme zu zahlen oder ist sie mit der Zahlung in Verzug, muss der Bf. Leistungsklage vor den nationalen ordentlichen Gerichten erheben (§ 40 Abs. 2 Satz 1 Var. 3 VwGO – Verletzung einer nichtvertraglichen öffentlich-rechtlichen Pflicht).[80]
520
Die Nichterfüllung der völkerrechtlichen Leistungspflicht stellt eine Amtspflichtverletzung i.S.v. § 839 BGB i.V.m. Art. 34 Satz 1 GG dar.[81] Die Bundesrepublik tritt dabei als abstrakter Beamter auf, dessen Pflicht die Erfüllung des Anspruchs gewesen wäre.[82]
521
Die vom EGMR zugesprochene Entschädigung wegen erlittener immaterieller Schäden ist nicht abtretbar und pfändbar; sie fällt bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Bf. auch nicht in die Insolvenzmasse. Sonst würde der Zweck einer Entschädigung für immaterielle Schäden verfehlt.[83]
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Gleiches gilt für die zuerkannte Erstattung der Kosten für das Verfahren vor dem EGMR. Dagegen ist der Anspruch auf Erstattung von (Mehr-)Kosten im vorausgegangenen innerstaatlichen Verfahren abtretbar, pfändbar und fällt in die Masse, wenn über das Vermögen des Bf. das Insolvenzverfahren eröffnet wird.[84]
Teil 1 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte › D. Urteil des EGMR › VI. Unterzeichnung, Verkündung und Zustellung des Urteils
VI. Unterzeichnung, Verkündung und Zustellung des Urteils
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Das Urteil wird vom Kammerpräsidenten bzw. dem Ausschussvorsitzenden und vom Kanzler unterzeichnet (Rule 77 Abs. 1). Wichtige Urteile der Kammer werden in öffentlicher Sitzung durch den Kammerpräsidenten oder einen von ihm beauftragten Richter verkündet (Rule 77 Abs. 2 Satz 1).[85] Das ordnungsgemäß unterzeichnete und gesiegelte Original des Urteils wird im Archiv des Gerichtshofs verwahrt (Rule 77 Abs. 3 Satz 3). Der Kanzler übermittelt den Parteien, dem Generalsekretär des Europarats, etwaigen Drittbeteiligten und allen anderen unmittelbar von der Rechtssache betroffenen Personen eine beglaubigte Kopie des Urteils (Rule 77 Abs. 3 Satz 2). Wird das Kammerurteil nicht in öffentlicher Sitzung verlesen, gilt diese Form der Übermittlung als Verkündung. Dasselbe gilt für Kammerurteile, die grundsätzlich nie öffentlich verlesen werden (Rule 77 Abs. 2 Satz 3).
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Endgültig ist das Urteil einer Kammer mit seiner Verkündung aber noch nicht, da Art. 43 EMRK die Möglichkeit der Verweisung der von der Kammer entschiedenen Rechtssache an die GK vorsieht (Art. 42, 44 Abs. 2 EMRK). Ein Ausschussurteil wird mit dem auf ihm vermerkten Datum wirksam und sofort rechtskräftig („endgültig“; Art. 28 Abs. 2 EMRK).