Kapitalmarkt Compliance. Karl Richter
Über die in § 290 HGB enthaltenen Definitionen hinaus bestimmt § 35 Abs. 1 WpHG als Tochterunternehmen solche Unternehmen, auf die der Meldepflichtige einen beherrschenden Einfluss ausüben kann. Wann ein beherrschender Einfluss ausgeübt werden kann, ist einheitlich mit der Definition in § 17 Abs. 1 AktG auszulegen.[52] Abstrakt gesprochen besteht die Möglichkeit einer beherrschenden Einflussnahme, wenn der Meldepflichtige aufgrund seiner Mitgliedschaft oder einer vergleichbaren Rechtsposition beständig und nicht nur punktuell in der Lage ist, auf die Geschäftsführung der Gesellschaft in der Weise Einfluss zu nehmen, dass diese zu einem bestimmten Handeln oder Unterlassen veranlasst wird.[53] Wie bei § 290 Abs. 3 HGB genügt eine mittelbare Ausübung des beherrschenden Einflusses.[54] Ein rein faktisches Abhängigkeitsverhältnis ohne mitgliedschaftliche Grundlage ist indes nicht erfasst.[55] Umgekehrt genügt die Möglichkeit der Einflussnahme, etwa aufgrund von Identität der Organmitglieder. Es ist hingegen nicht erforderlich, dass auch tatsächlich Einfluss genommen wird. Aus diesem Grunde lassen auch Entherrschungsverträge nach h.M. die Abhängigkeit nicht entfallen, da der Ausschluss der Stimmrechtsausübung durch Vertrag nicht die Ausübung des Stimmrechts hindert.[56]
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Bei Personenhandelsgesellschaften erfolgt u.U. eine Zurechnung von Stimmrechten über § 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 35 Abs. 1 WpHG auf Gesellschafterebene. Keine Zurechnung erfolgt bei der offenen Handelsgesellschaft, die nach dem gesetzlichen Normalstatut der §§ 105 ff. HGB organisiert ist. Im Einzelfall können jedoch besondere Gesellschaftsvertragsgestaltungen zu einer Zurechnung führen, etwa wenn sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergibt, dass nur einem einzelnen Gesellschafter die umfassende Geschäftsführungsbefugnis zusteht.[57] Bei der nach dem gesetzlichen Normalstatut der §§ 161 ff. HGB organisierten Kommanditgesellschaft ist der Komplementär umfassendes und ausschließliches Leitungsorgan. Daher werden ihm die Stimmen der Kommanditgesellschaft in entsprechender Anwendung von § 290 Abs. 2 Nr. 2 HGB gem. § 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 i.V.m. § 35 Abs. 1 WpHG zugerechnet.[58] In der nach dem gesetzlichen Normalstatut organisierten GmbH & Co. KG erfolgt gleichermaßen eine generelle Zurechnung der von der Kommanditgesellschaft gehaltenen Stimmrechte auf die Komplementär-GmbH.[59] Bei abweichenden Formen ist die Stellung der Komplementär-GmbH als Muttergesellschaft und damit auch die Frage der Stimmrechtszurechnung von den jeweiligen Regelungen des Gesellschaftsvertrages abhängig. Es empfiehlt sich hier eine Abstimmung mit der BaFin.[60]
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In der Praxis bereitet häufig die Behandlung mehrstufiger Konzerne Schwierigkeiten, insbesondere wenn die Beteiligungs- und Konzernstrukturen verschachtelt sind. § 34 Abs. 1 S. 3 WpHG rechnet Stimmrechte, die einem Tochterunternehmen gehören, dem Meldepflichtigen in voller Höhe zu. Hat der Meldepflichtige mehrere Tochterunternehmen, so werden ihm die Stimmrechte aller Tochterunternehmen zugerechnet. Gleiches gilt gem. § 34 Abs. 1 S. 2 WpHG für Stimmrechte, die den Tochterunternehmen nicht selbst gehören, sondern ihnen wiederum von Dritten nach § 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 2–8 WpHG zugerechnet werden. Die von Enkelunternehmen gehaltenen Stimmrechte werden dem Meldepflichtigen allerdings nicht im Wege der Kettenrechnung zugerechnet, sondern direkt über § 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 WpHG, da es sich bei Enkelgesellschaften um (mittelbare) Tochterunternehmen i.S.v. § 35 Abs. 1 WpHG handelt.[61] Die Stimmrechte, die einem Tochterunternehmen gehören oder ihm zuzurechnen sind, werden nicht quotal in Abhängigkeit von der Höhe der Beteiligungsquote des Meldepflichtigen berücksichtigt, sondern in voller Höhe zugerechnet, da der Einfluss des Meldepflichtigen sich nicht auf seine Beteiligungsquote beschränkt.[62] Im mehrstufigen Konzern ist immer darauf zu achten, dass auch ein nachgeordnetes Unternehmen seinerseits meldepflichtig sein kann, und zwar aufgrund der Aktien, die es selbst hält, sowie derjenigen, die ihm seinerseits nach § 34 Abs. 1 Nr. 1 WpHG von seinen Tochter- und Enkelgesellschaften zugerechnet werden. Hier hat auch für das betroffene Tochterunternehmen eine Stimmrechtsmitteilung zu erfolgen. Um die Meldungen für sämtliche Tochtergesellschaften zu erfassen, bietet es sich im Zusammenhang mit Mutter-Tochter-Verhältnissen i.S.v. § 35 Abs. 1 an, eine Konzernmeldung abzugeben.[63]
b) Halten für Rechnung des Meldepflichtigen
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Zugerechnet werden einem Meldepflichtigen gem. § 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 WpHG auch Stimmrechte aus Aktien, die einem Dritten gehören und von ihm für Rechnung des Meldepflichtigen gehalten werden. Maßgeblich ist hier – abgesehen von den Fällen der Kettenzurechnung –, dass der Dritte Aktieninhaber ist.[64] Nach den Grundsätzen der doppelten Mitteilungspflicht unterliegt der Dritte daher in aller Regel gem. § 33 Abs. 1 WpHG einer eigenen Mitteilungspflicht.[65]
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Das Gesetz enthält keine Legaldefinition, was das Halten von Aktien „für Rechnung“ eines anderen bedeutet. Inhaltlich geht es um das Auseinanderfallen von rechtlicher und wirtschaftlicher Zuordnung. Die Aktien werden demnach für Rechnung des Meldepflichtigen gehalten, wenn der Meldepflichtige im (Innen-)Verhältnis zum Dritten die wirtschaftlichen Chancen und Risiken trägt.[66] Für entscheidend hält die BaFin die Risikotragung bezüglich der Veränderung des Börsenpreises und des Rechts auf die Dividende sowie Bezugsrechte und etwaige Ausgleichs- und Abfindungszahlungen.[67] Unerheblich ist, ob zwischen dem Meldepflichtigen und dem Dritten ein gesetzliches oder ein rechtsgeschäftliches Rechtsverhältnis besteht.[68]
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Wichtigster Anwendungsfall von § 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 WpHG ist die Treuhand.[69] Gemeint ist die typische Vollrechtstreuhand, bei der der Dritte als Treuhänder das Eigentum an den Aktien im Außenverhältnis hält und im Innenverhältnis verpflichtet ist, das Stimmrecht im Interesse des Treugebers auszuüben. Auch wenn der Treuhand regelmäßig ein Auftrag oder ein Geschäftsbesorgungsvertrag zugrunde liegt, ist dies keine zwingende Voraussetzung für die Zurechnung.[70] Nicht ausreichend ist allerdings der bloße tatsächliche Einfluss des Meldepflichtigen auf den Aktieninhaber, wenn er nicht darauf beruht, dass der Meldepflichtige das wirtschaftliche Risiko trägt.[71] Bei der Beendigung von Treuhandverhältnissen und dem damit verbundenen Wegfall der Stimmrechtszurechnung ist anhand der vertraglichen Vereinbarung zu prüfen, ob das Aktieneigentum automatisch an den Treugeber zurückfällt oder durch den Treuhänder gesondert an den Treugeber (zurück) zu übertragen ist. Im Fall der automatischen Rückübertragung entsteht eine Mitteilungspflicht im Falle relevanter Schwellenberührungen nur auf Seiten des Treuhänders, da er das Aktieneigentum verliert, während sich der Stimmrechtsanteil des Treugebers nicht verändert. Die Veränderung in der Zurechnung (Eigentum statt treugeberische Zurechnung) löst keine gesonderte Mitteilungspflicht aus. Im Falle der schuldrechtlichen Verpflichtung des Treuhänders zur dinglichen Übertragung der Aktien ergibt sich hingegen bei einer zeitlichen Verzögerung eine Mitteilungspflicht auch des Treugebers, da sich sein Stimmrechtsanteil durch die Aufhebung des Treuhandverhältnisses zunächst reduziert und erst mit der nachfolgenden Aktienübertragung wieder erhöht.[72]
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Ein weiterer wichtiger Anwendungsfall ist die Wertpapierleihe. Entgegen ihrer Bezeichnung ist sie rechtlich als Sachdarlehen i.S.v. § 607 BGB einzuordnen. Der Darlehensgeber verpflichtet sich, dem Darlehensnehmer Eigentum an den vertragsgegenständlichen Aktien zu verschaffen. Der Darlehensnehmer verpflichtet sich seinerseits, die Aktien abzunehmen, das vereinbarte Entgelt zu zahlen und zum Ende der Laufzeit des Darlehens nicht dieselben Aktien, sondern Aktien gleicher Art, Menge und Güte zurück zu liefern.[73]
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Hinsichtlich der Art der Wertpapierleihe, entgegen früherer Verwaltungspraxis aber nicht mehr hinsichtlich der Mitteilungspflichten, wird zwischen der einfachen Wertpapierleihe und der sog. Ketten-Wertpapierleihe unterschieden. Bei der einfachen Wertpapierleihe ist eine Weiterveräußerung der Aktien durch den Darlehensnehmer weder beabsichtigt noch erlaubt. Zivilrechtlich geht das Eigentum an den Aktien auf den Darlehensnehmer über. Wirtschaftlich ist das Eigentum weiterhin dem Darlehensgeber zuzuordnen, der i.d.R. die Chancen und Risiken trägt. Häufiger kommt in der Praxis die sog. Ketten-Wertpapierleihe vor, in deren Rahmen die verliehenen Aktien vom Darlehensnehmer weiterveräußert werden (dürfen). Diese Art der Leihe ist regelmäßig zur Erfüllung von Lieferverpflichtungen