Kapitalmarkt Compliance. Karl Richter
Recht geschlossenen Vereinbarung zur von der Aktie losgelösten Stimmrechtsübertragung in Betracht, zum Beispiel bei einem Drittstaaten-Emittenten von Aktien, der die Bundesrepublik Deutschland als Herkunftsstaat gewählt hat.[121]
h) Sicherungsverwahrung
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Der neue Zurechnungstatbestand des § 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 8 WpHG gilt für den Fall der Sicherungsverwahrung von mit Stimmrechten verbundenen Aktien. Dem Sicherungsnehmer (Meldepflichtiger) wird der Stimmrechtsanteil aus den Aktien des Sicherungsgebers, die bei ihm zur Sicherheit verwahrt werden, zugerechnet, sofern er die Stimmrechte hält und die Absicht bekundet, dieses Stimmrecht auszuüben.[122] Bestehende Meldepflichten des Sicherungsnehmers aus § 33 WpHG bleiben durch die Zurechnung unberührt. Für den Fall der Sicherungsübereignung von Aktien gilt § 34 Abs. 1 Nr. 3 WpHG als spezielle Zurechnungsregelung gegenüber dem Sicherungsgeber. Im Einzelnen ist der konkrete Anwendungsbereich des Zurechnungstatbestands in Nr. 8 unklar. Aufgrund der Differenzierung zu Nr. 3 für den Fall der Sicherungsübereignung ist davon auszugehen, dass in den Fällen der Nr. 8 keine Vollrechtsübertragung auf den Sicherungsnehmer erfolgt, dieser aber gleichwohl die Stimmrechte halten soll, was nach dem Abspaltungsverbot im Grundsatz jedoch das Eigentum an den Aktien voraussetzt. Vor diesem Hintergrund dürfte eine Verpfändung von Aktien nicht unter Nr. 8 fallen, weil sie nicht dazu führt, dass der Pfandgläubiger die Stimmrechte hält, sondern lediglich ein Verwertungsrecht zuspricht, aber das Stimmrecht beim Verpfänder verbleibt.[123] Der konkrete Anwendungsbereich des neuen Zurechnungstatbestandes wird sich erst in der Praxis ergeben müssen.
i) Abgestimmtes Verhalten (Acting in Concert)
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In der Praxis kommt es nicht selten vor, dass Aktionäre ihr Verhalten in Bezug auf eine AG abstimmen, insbesondere ihr Stimmrecht gemeinsam ausüben, um auf diese Weise an Einfluss zu gewinnen. Für den Fall des abgestimmten Verhaltens sieht § 34 Abs. 2 WpHG die wechselseitige Zurechnung der Stimmrechte vor, wenn der Meldepflichtige oder sein Tochterunternehmen und der Dritte sich über die Ausübung von Stimmrechten verständigen oder mit dem Ziel einer dauerhaften und erheblichen Änderung der unternehmerischen Ausrichtung des Emittenten in sonstiger Weise zusammen wirken. Erfasst sind damit zwei Tatbestände: Zum einen die Bündelung von Stimmrechten durch Vereinbarung oder in sonstiger Weise (§ 34 Abs. 2 S. 1 HS 1, S. 2 Alt. 1 WpHG), zum anderen die Abstimmung des Verhaltens außerhalb der Stimmrechtsausübung in der Hauptversammlung mit dem Ziel einer dauerhaften und erheblichen Änderung der unternehmerischen Ausrichtung des Emittenten (§ 34 Abs. 2 S. 1 HS 1, S. 2 Alt. 2 WpHG).[124]
aa) Verhaltensabstimmung
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Voraussetzung der Zurechnung nach § 34 Abs. 2 WpHG ist eine Verhaltensabstimmung. Dies setzt einen kommunikativen Vorgang zwischen mindestens zwei Personen voraus, der in einer Vereinbarung oder einer Verhaltensabstimmung in sonstiger Weise münden muss.[125] Eine Verhaltensabstimmung ist nicht möglich mit einer Person, der Aktien weder gehören noch nach § 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 1–8 WpHG zugerechnet werden.[126] § 34 Abs. 2 WpHG bestimmt jedoch ausdrücklich, dass die Verhaltensabstimmung eines Tochterunternehmens dem Meldepflichtigen zugerechnet wird. Damit kann die Verhaltensabstimmung auf Seiten des Meldepflichtigen durch ihn oder durch ein Tochterunternehmen erfolgen, nicht aber durch sonstige Dritte, deren Stimmrechte dem Meldepflichtigen zugerechnet werden. Auf Seiten des Dritten kann eine Person handeln, die entweder selbst Stimmrechte hält oder der Stimmrechte gem. § 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 1–8 WpHG zugerechnet werden.[127] Nicht entscheidend ist aber, dass der Meldepflichtige selbst mit Stimmrechten verbundene Aktien hält oder ihm Stimmrechte aufgrund anderer Zurechnungstatbestände zuzurechnen sind.[128] Denn die Möglichkeit der Einflussnahme auf die unternehmerische Ausrichtung des Emittenten, den § 34 Abs. 2 WpHG erfassen will, kann abseits von eigenen gesellschaftsrechtlichen Beteiligungen auch auf einer anderen ausreichend sicheren Koordinierungsgrundlage herbeigeführt werden.[129]
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Der Begriff der Vereinbarung umfasst jedenfalls Stimmrechts- und Pool-Verträge. In Betracht kommen aber grundsätzlich alle Vertragsformen des Zivilrechts wie z.B. Interessenwahrungsverträge und Gesellschaftsverträge.[130] Von einer Vereinbarung ist auch auszugehen, wenn die Beteiligten die Koordinierung der Ausübung ihrer Stimmrechte in einem Verein oder in einer Gesellschaft, gleich welcher Rechtsform, zusammenfassen.[131]
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Sogar die rechtlich nicht verbindliche Koordinierung (z.B. Gentlemenʼs Agreement) erfüllt den gesetzlichen Zurechnungstatbestand der Verhaltensabstimmung in sonstiger Weise.[132] Auch ein auf andere Weise abgestimmtes Verhalten führt zur Stimmrechtszurechnung. Für die in der Praxis schwierige Abgrenzung wird z.T. das Merkmal der abgestimmten Verhaltensweise im Sinne des § 1 GWB herangezogen,[133] teilweise wird zumindest ideeller Druck verlangt, sich gleichförmig zu verhalten.[134] Ein solcher Druck dürfte regelmäßig angenommen werden, wenn die Absicht, wie die anderen zu stimmen, gegenseitig mitgeteilt worden ist, sodass ein abweichendes Verhalten von den Beteiligten als Ausscheren aus einer konzertierten Aktion verstanden werden muss.[135] Entscheidend ist, dass eine Verhaltensabstimmung eine Koordination mit kommunikativen Mitteln und eine gewisse Bindungswirkung voraussetzt. Die Kommunikation kann unmittelbar zwischen den Beteiligten oder unter Einschaltung eines Dritten erfolgen. Die Bindungswirkung muss wenigstens darin bestehen, dass die Beteiligten von der Umsetzung der Verhaltensabsprachen ausgehen können, weil sie sich dazu verpflichtet fühlen, selbst wenn keine rechtliche Verpflichtung besteht.[136]
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Leichter dürfte die Negativabgrenzung sein. Als abgestimmtes Verhalten in sonstiger Weise, das zu einer Stimmrechtszurechnung führt, genügt nicht:
– | eine wechselseitige Information und Beratung,[137] |
– | unbewusstes gleichförmiges Abstimmungsverhalten in der Hauptversammlung (faktisches Parallelverhalten),[138] |
– | die bloße Verabredung zur Verhaltensabstimmung,[139] |
– | die gemeinsame Wahl eines oder mehrerer Aufsichtsratsmitglieder für eine Bestellperiode,[140] |
– | die Bildung eines Abwehrpools, dessen Ziel die Verhinderung einer Änderung der unternehmerischen Ausrichtung ist,[141] |
– | eine nahe Verwandtschaft.[142] |
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Aus einem bloßen Parallelverhalten können keine Beweisvermutungen zu Lasten des Meldepflichtigen abgeleitet werden.[143]
bb) Gegenstand der Abstimmung
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Gegenstand der Abstimmung kann zunächst die Ausübung von Stimmrechten in der Hauptversammlung des Emittenten sein. Erfasst sind Vereinbarungen oder Abstimmungen über das Stimmverhalten in Bezug auf alle oder einzelne Tagesordnungspunkte, wie beispielsweise „alle künftigen Kapitalerhöhungen“ oder die Entlastung von Organmitgliedern. Der Abstimmungsgegenstand muss keine Dauerhaftigkeit oder Nachhaltigkeit aufweisen.[144] Ausreichend ist der entsprechende Wille der sich abstimmenden Personen. Ob es tatsächlich zur Ausübung kommt, ist unerheblich.[145] Die Meldepflicht entsteht mit Abschluss der Vereinbarung oder – mangels Vereinbarung – zum Zeitpunkt der Abstimmung.[146]
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