Kapitalmarkt Compliance. Karl Richter
ausdrücklicher Anordnung in § 34 Abs. 2 S. 1 HS 2 WpHG nicht zu einer Zurechnung. Von einem Einzelfall ist grundsätzlich auszugehen, wenn eine Einflussnahme auf den Emittenten nur punktuell erfolgt, die Abstimmung als beispielsweise auf eine einzelne Hauptversammlung beschränkt werden soll.[147] Aus Gründen der Rechtssicherheit legt der BGH den „Einzelfall“ sehr formal aus.[148]
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In seiner Alternative erfasst § 34 Abs. 2 WpHG die gemeinsame Einflussnahme auf die Zielsetzung des Unternehmens außerhalb der Hauptversammlung. Eine faktische Einflussnahme auf Aufsichtsrat und Vorstand, z.B. durch Druck und Versprechungen, kann eine Stimmrechtszurechnung auslösen.[149] Erforderlich ist insoweit eine angestrebte Änderung der unternehmerischen Ausrichtung des Emittenten, beispielsweise im Hinblick auf den satzungsmäßigen Gesellschaftszweck, aber auch im Hinblick auf die Finanzierungs- und Ausschüttungspolitik, die Unternehmensstrategie oder die Beteiligungspolitik.[150] Hingegen genügt nicht die Absicht, den Vorstand zu einer einzelnen Maßnahme anzuhalten. Vielmehr muss die Abstimmung auf eine dauerhafte Interessenkoordination und nicht lediglich auf eine Interessenkoordination im Einzelfall gerichtet sein.[151] Anderes gilt, wenn ein Ende der Auswirkungen einer Einzelmaßnahme nicht absehbar ist, wie beispielsweise eine Einflussnahme der Aktionäre auf das Ausscheiden eines oder mehrerer Vorstandsmitglieder.[152] Die Erheblichkeit einer Änderung ist insoweit im Rahmen einer Gesamtschau im Verhältnis zu den Parametern des Unternehmens zu bewerten.[153] Wie bei der Stimmrechtsvereinbarung ist allein die gemeinsame Absicht der Beteiligten maßgeblich und nicht, ob ihnen ihr Vorhaben auch gelingt.[154]
cc) Folgen der Zurechnung
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Folge des abgestimmten Verhaltens i.S.v. § 34 Abs. 2 WpHG ist eine wechselseitige Zurechnung von Stimmrechten in voller Höhe. Jeder Meldepflichtige, der an der Abstimmung aufgrund einer Vereinbarung oder in sonstiger Weise beteiligt ist, erhält also sämtliche Stimmrechte der anderen Beteiligten zugerechnet.[155] Dies gilt auch dann, wenn ein Meldepflichtiger einen Stimmrechtspool beherrscht.[156]
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Die Anzahl der zuzurechnenden Stimmrechte wird anhand der zugrunde liegenden Vereinbarung oder Verhaltensabstimmung in sonstiger Weise ermittelt. Sofern Beteiligte nur einen Teil der von ihnen gehaltenen Aktien und Stimmrechte der Verhaltensabstimmung unterwerfen, sind jeweils nur die unterworfenen Stimmrechte Gegenstand der Zurechnung. Mangels einer zahlmäßigen Beschränkung geht die BaFin davon aus, dass sämtliche Aktien und Stimmrechte der Verhaltensabstimmung unterworfen wurden und entsprechend auch zugerechnet werden.[157]
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In Falle der Abstimmung eines Tochterunternehmens erfolgt eine doppelte Zurechnung. Gem. § 34 Abs. 2 S. 1 WpHG werden der meldepflichtigen Tochtergesellschaft die Stimmrechte des Dritten zugerechnet, mit dem sie ihr Verhalten abstimmt. Dem Mutterunternehmen werden die Stimmrechte des Dritten, mit dem sich sein Tochterunternehmen abstimmt, ebenfalls gem. § 34 Abs. 2 WpHG zugerechnet, während die Stimmrechte des Tochterunternehmens dem Mutterunternehmen gem. § 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 WpHG zuzurechnen sind.[158] Ist das Mutterunternehmen neben dem Tochterunternehmen selbst Partei der Verhaltensabstimmung, so sind dem Mutterunternehmen die Stimmrechte des Tochterunternehmens gem. § 34 Abs. 2 WpHG und gem. § 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 WpHG zuzurechnen,[159] in Summe jedoch nur einmal.
a) Generelles
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Die relevanten Stimmanteilschwellen, an die § 33 Abs. 1 WpHG eine Mitteilungspflicht knüpft, liegen bei 3 %, 5 %, 10 %, 15 %, 20 %, 25, 30 %, 50 % und 75 % der Stimmrechte des Emittenten. Die Schwellenwerte beziehen sich nicht auf Aktien, sondern auf die hieraus resultierenden Stimmrechte, auch wenn dies i.d.R. gleich ist. Stimmrechtslose Vorzugsaktien werden damit erst dann berücksichtigt, wenn das mit ihnen verbundene Stimmrecht wieder auflebt, vgl. etwa §§ 140 Abs. 2, 141 Abs. 4 AktG.[160]
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Die Mitteilungspflicht wird ausgelöst, wenn der Stimmrechtsanteil des Meldepflichtigen eine (oder mehrere) dieser Schwellen erreicht, überschreitet oder unterschreitet. Berechnet wird dies anhand der dem Meldepflichtigen gehörenden und nach § 34 WpHG zugerechneten Stimmrechte im Verhältnis zur Gesamtzahl der Stimmrechte der Gesellschaft.[161] Anteilsveränderungen, die sich zwischen zwei aufeinander folgenden Schwellen abspielen, lösen keine gesonderte Mitteilungspflicht aus. Ebenso wenig besteht eine Mitteilungspflicht, wenn sich für einen Meldepflichtigen lediglich der konkret anzuwendende Zurechnungstatbestand ändert.[162]
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Das Tatbestandsmerkmal des Überschreitens der Schwellenwerte ist gegeben, wenn der Meldepflichtige Aktien in entsprechendem Umfang erworben hat oder wenn ihm Stimmrechte in entsprechendem Umfang zugerechnet werden.[163] Ein Unterschreiten liegt spiegelbildlich vor, wenn der Meldepflichtige Aktien auf einen Dritten übertragen und damit seine Stimmrechte verloren hat oder wenn ihm Stimmrechte nicht mehr in entsprechendem Umfang zugerechnet werden.[164] Der Begriff des Erreichens einer Schwelle erfasst sprachlich sowohl den Fall der Anteilserhöhung als auch den der Anteilsverringerung.[165] Ob eine gesonderte Mitteilungspflicht ausgelöst wird, wenn ein Meldepflichtiger oberhalb einer maßgeblichen Stimmrechtsschwelle lag und ohne weitere Schwellenberührung durch Verringerung seines Stimmrechtsanteils nun genau die gemeldete Schwelle berührt, ist jedoch zu bezweifeln. Da damit keine nichtgemeldete Schwellenberührung verbunden ist und auch der Informationsmehrwert für den Kapitalmarkt äußerst gering ist, könnte der Meldepflichtige seine Stimmrechte schließlich ohne Mitteilung auf den maßgeblichen Stimmrechtsanteils zzgl. eines Stimmrechtes verringern, ohne eine gesonderte Mitteilung machen zu müssen. Fällt das Erreichen eines Schwellenwertes mit dem Über- oder Unterschreiten weiterer Schwellenwerte zusammen, bedarf es nur der Mitteilung des Über- oder Unterschreitens der Schwellenwerte.[166] Der Tatbestand des Erreichens der Schwellenwerte ist in diesem Fall subsidiär[167] und ergibt sich aus der Angabe des Stimmrechtsanteils.
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Auch ein kurzfristiges Über- und Unterschreiten von Meldeschwellen ist grundsätzlich mitteilungspflichtig. Sofern also innerhalb kurzer Zeit mehrere abgrenzbare, von einem bestimmten Meldepflichtigen mitzuteilende Stimmanteilsveränderungen stattfinden, ist für jede Schwellenberührung eine eigene Stimmrechtsmitteilung abzugeben.[168] Eine zusammengefasste Meldung von zwei oder mehreren Schwellenberührungen innerhalb von wenigen Handelstagen am letzten Schwellenberührungsdatum ist nicht zulässig.[169] Die BaFin lässt eine Saldierung lediglich bei taggleicher Schwellenüber- und -unterschreitung zu. Werden innerhalb eines Tages die gleichen Schwellen erst überschritten und dann unterschritten oder umgekehrt, muss keine Mitteilung abgegeben werden.[170] Werden innerhalb eines Tages mehrfach Schwellen in einer Richtung überschritten oder unterschritten, reicht eine Mitteilung mit dem Stimmrechtsanteil am Ende des Tages aus.[171] Nicht zulässig ist allerdings eine grundsätzliche Saldierung von sog. Long- und Short-Positionen, etwa Call- und Put-Option.[172]
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Das Gesetz nennt als mitteilungspflichtig Schwellenberührungen durch Erwerb oder Veräußerung oder auf sonstige Weise. Erworben oder veräußert werden insoweit die Aktien, mit denen die Stimmrechte verbunden sind, unter Berücksichtigung des gesellschaftsrechtlichen Abspaltungsverbotes hingegen nicht getrennt die Stimmrechte.
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Durch die Verwendung der Tatbestandsalternative „auf sonstige Weise“ wird zum Ausdruck gebracht, dass alle rechtsgeschäftlichen oder tatsächlichen Vorgänge erfasst werden sollen, die zu relevanten Veränderungen von Stimmrechtsanteilen führen.[173] Gemeint ist damit das Erreichen, Überschreiten oder Unterschreiten nicht aufgrund Rechtsgeschäfts, sondern aufgrund anderer Tatbestände. Genannt werden etwa:[174]
– | Kapitalerhöhungen oder Kapitalherabsetzungen, |
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Umstrukturierungen des Grundkapitals,
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