Steuerstrafrecht. Johannes Franciscus Corsten
aa) Methoden der normsatzkonkretisierenden Auslegung
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Die gerichtliche Rechtsanwendung hat auf das übliche Instrumentarium der normsatzkonkretisierenden Auslegung zurückzugreifen. Die Bedeutung des Gesetzes ist mit den üblichen Auslegungsmethoden [65] zu ermitteln und beinhaltet die Auslegung nach dem Wortlaut des Gesetzes (grammatische Auslegung, s. auch Rn. 40),[66] nach der Systematik des Gesetzes (systematische Auslegung),[67] nach der Entstehungsgeschichte des Gesetzes (historische Auslegung)[68] und nach Sinn und Zweck des Gesetzes (teleologische Auslegung).[69]
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Die einzelnen Methoden der Auslegung ergänzen einander, ohne dass sich eine verbindliche Rangfolge ergibt. Eine herausgehobene Bedeutung dürfte allerdings regelmäßig der Wortlaut-Auslegung zukommen (s. sogleich Rn. 40). Äußerste Grenze richterlicher Auslegung ist der mögliche Wortsinn (Details s. Rn. 43).
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Höherrangiges Recht ist im Rahmen der Auslegung zu berücksichtigen. Anwendungsvorrangiges Recht kann sich vor allem aus dem Verfassungsrecht[70] ergeben. Das Gebot zur verfassungskonformen Auslegung gilt jedoch nur innerhalb des möglichen Wortsinns; ist diese Grenze erreicht, muss das Strafgericht das Verfahren aussetzen und die Entscheidung des BVerfG einholen (Art. 100 Abs. 1 GG).[71]
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Anwendungsvorrangiges Recht kann sich auch aus dem europäischen Unionsrecht ergeben.[72] Auch die unionsrechtskonforme Auslegung ist nur innerhalb des möglichen Wortsinns zulässig, und etwaige Unsicherheiten ggf. in Wege eines Vorabentscheidungsverfahren zum EuGH zu ermitteln (Art. 267 AEUV).[73]
bb) Die herausgehobene Bedeutung der Auslegung des Wortlauts
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Eine herausgehobene Bedeutung wird man der Auslegung des gesetzlichen Wortlauts zusprechen müssen, da regelmäßig nur der Wortlaut regelmäßig das rechtsstaatliche Gebot der Vorhersehbarkeit für die Normadressaten gewährleisten kann.[74] Die Normadressaten müssen nämlich nach der Rspr. in der Lage sein, „anhand der gesetzlichen Regelung vorauszusehen, ob ein Verhalten strafbar ist“ oder – „in Grenzfällen“ – „wenigstens das Risiko einer Bestrafung“ erkennen können.[75] Argumentationspraktische Einlösung dieser herausgehobenen Bedeutung des Wortlauts dürfte es jedenfalls sein, von wortlautfernen Argumentationen einen erhöhten Begründungsaufwand zu verlangen.[76] Zum möglichen Wortsinn als Grenze der Auslegung s. Rn. 43 f.
cc) Die gerichtliche Mitverantwortung für die Präzisierung des Tatbestands
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Besondere Verantwortung tragen (Steuer-)Strafgerichte bei der „Handhabung weit gefasster Tatbestände und Tatbestandselemente“. Hier ist nach der Ansicht des BVerfG die Rspr. „gehalten, verbleibende Unklarheiten über den Anwendungsbereich einer Norm durch Präzisierung und Konkretisierung im Wege der Auslegung nach Möglichkeit auszuräumen (Präzisierungsgebot)“.[77]
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Bei der verfassungsrechtlichen Überprüfung der Einhaltung des Präzisierungsgebots sieht sich das BVerfG nicht auf eine „Vertretbarkeitskontrolle“ beschränkt.[78] Das „Bestehen“ eines durch die Auslegungsarbeit der Rspr. „gefestigte(n) Normverständnis(ses)“ ist „in vollem Umfang“ verfassungsgerichtlich überprüfbar.[79] Was die inhaltlichen Anforderungen anbelangt, gesteht das BVerfG den Fachgerichten einen größeren Spielraum zu, insofern es ausreichen soll, dass das gefestigte Normverständnis „nicht evident ungeeignet zur Konturierung der Norm“ ist.[80]
aa) Der mögliche Wortsinn als äußerste Grenze richterlicher Auslegung
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Äußerste Grenze zulässiger richterlicher Auslegung ist der mögliche Wortsinn des Gesetzes.[81] Dies bedeutet zum einen, dass die Strafgerichte gehalten sind „den Gesetzgeber beim Wort zu nehmen“; es ihnen also untersagt ist, den Gesetzgeber in irgend einer Weise zu korrigieren.[82] Zum anderen bedeutet das, dass die Strafgerichte in den Fällen, „die vom Wortlaut einer Strafnorm nicht mehr gedeckt sind“, zu einem Freispruch kommen müssen.[83]
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Die Bestimmung des möglichen Wortsinns des Gesetzes ist nach der Rspr. des BVerfG „aus der Sicht des Normadressaten – also grundsätzlich nach dem allgemeinen Sprachverständnis der Gegenwart – zu bestimmen“.[84]
bb) Das Verbot der Verschleifung von Merkmalen des gesetzlichen Tatbestands
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Nach der neueren Rspr. des BVerfG können sich auch Grenzen der Auslegung innerhalb des möglichen Wortsinns ergeben. So dürfen etwa einzelne Tatbestandsmerkmale nicht „vollständig in anderen Tatbestandsmerkmalen aufgehen“ (Verschleifungsverbot).[85]
(1) Rechtsanwendung und Analogieverbot
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Absolute Grenzen der Rechtsanwendung im Steuerstrafrecht ergeben sich hinsichtlich des Verbots analoger Strafbegründung oder Strafschärfung (Art. 103 Abs. 2 GG, § 369 Abs. 2 i.V.m. § 1 StGB).[86] Nach der Rspr. ist dabei Analogie nicht nur „im engeren technischen Sinn zu verstehen“; vielmehr ist jede tatbestandsausweitende Rechtsanwendung ausgeschlossen, die „über den Inhalt einer gesetzlichen Sanktionsnorm hinausgeht“ (erweitertes Analogieverbot).[87] Dies gilt auch dann, wenn dem Gericht die nicht erfassten Verhaltensweisen „ähnlich strafwürdig erscheinen mögen wie das pönalisierte Verhalten“. Die Entscheidung über die Schließung oder Beibehaltung derartiger „Strafbarkeitslücken“ liegt in der alleinigen Entscheidungsverantwortung der Gesetzgebung.[88]
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Ein problematischer Fall ergab sich in der Entscheidung des BGH von 2001 zum Zigarettenschmuggel aus den Niederlanden.[89] Hier hatte der BGH die Anwendung der Steuerhinterziehung auf reine Auslandstaten nach § 370 Abs. 7 auch auf die Hinterziehung von Eingangsabgaben nach § 370 Abs. 6 bejaht und das Fehlen – nicht ganz unproblematisch – eines entsprechenden Verweises als „offenkundiges redaktionelles Versehen des Gesetzgebers“ bezeichnet.[90] Die Verweiskette ist mittlerweile durch den Gesetzgeber geschlossen worden (§ 370 Abs. 7, s. auch