Internal Investigations. Dennis Bock
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Dieses Bild bestätigt, dass der größte Nutzen unternehmensinterner Ermittlungen in der Bestärkung oder Festigung der im Unternehmen existierenden eigenen Lauterkeitsregeln, aber auch in der Demonstration von Rechtstreue im Bezug auf gesetzliche Vorschriften zu sehen sein dürfte. Denn es sind gerade diejenigen Unternehmen, die in der Vergangenheit mit negativen Schlagzeilen in die Presse gerieten, die durch den Ausbau ihrer Corporate-Governance-Struktur und damit einhergehend einer Erweiterung der Maßnahmen im Bereich von Compliance und Internal Investigations den Weg aus der Krise suchen und finden.[8]
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Studien belegen, dass immerhin 50 % derjenigen Unternehmen, die interne Ermittlungen mit dem Ergebnis durchführen, dass tatsächlich eine Straftat vorliegt, auch eine Strafanzeige erstatten.[9] Zugleich erscheint aber bedenklich, dass ein Großteil der aufgedeckten Regelverstöße auf der Ebene des mittleren Managements angesiedelt ist.[10] Dadurch mag der Eindruck entstehen, im Wege unternehmensinterner Ermittlungen würde die Verantwortlichkeit für Regelverstöße auf einzelne Mitarbeiter verlagert, während sich die Unternehmensleitung aus der Verantwortung stiehlt. Wenn dies geschieht, verfehlen Internal Investigations ihre „Compliance-Funktion“ und können sich nicht positiv auf die Reputation des ermittelnden Unternehmens auswirken.
c) Deliktsspektrum
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Im Bezug auf die Frage, hinsichtlich welcher Art von Fehlverhalten Internal Investigations durchgeführt werden, setzt sich die ungenaue Datenlage fort. Als hauptsächliche Anwendungsfelder finden sich Verhaltensweisen im Umfeld der sog. Corporate Crimes, insbesondere Korruptionsdelikte genannt.[11] Was den Bereich der Occupational Crimes anbelangt, so steht das Delikt der Untreue im Zentrum der Ermittlungen[12]; gelegentlich finden sich Hinweise auf Betrugs- oder Insolvenzstraftaten.[13] Empirische Untersuchungen hierzu vermögen über das wahre Ausmaß der begangenen Delikte und den Nutzen unternehmensinterner Ermittlungen jedoch nur bedingt Aufschluss zu geben. Den meisten Studien gelingt es nicht, die begangenen Straftaten mit den identifizierten Tätergruppen (Führungsebene, mittleres Management, Mitarbeiterebene) sowie der Höhe der jeweils entstandenen Schäden in Verbindung zu bringen. So ist etwa die Aussage, dass absolut gesehen lediglich 17 % der Täter der Führungsebene angehören, wertlos, wenn nicht zugleich mitgeteilt wird, in welchem Verhältnis die Anzahl der Angehörigen der Führungsebene zu der Zahl der im mittleren Management sowie auf Mitarbeiterebene Beschäftigten steht. Je kleiner der Anteil an Führungspersonen in einem Unternehmen ist, desto höher wirkt relativ gesehen ein Täteranteil von 17 %.
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Der deutliche Schwerpunkt der Untersuchungen liegt jedenfalls auf Fehlverhalten zu Gunsten, etwas seltener zu Lasten des ermittelnden Unternehmens, Anhaltspunkte auf Internal Investigations betreffend Fehlverhalten der Mitarbeiter untereinander finden sich demgegenüber wesentlich seltener bzw. überhaupt nicht. Der Grund hierfür mag darin zu sehen sein, dass Straftaten aus dem Bereich der Occupational Crimes weniger dem Unternehmen als solchem als vielmehr dem Handelnden selbst zugeschrieben werden, und dass daher von Seiten der Unternehmensleitung ein geringeres Interesse an der Aufklärung besteht.
2. Gründe für und Funktionen von Internal Investigations
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Die Gründe, aus denen Unternehmen interne Ermittlungen durchführen, sind vielschichtig und lassen sich nur schwer strukturieren bzw. klar voneinander trennen. Dies hängt mit dem historisch bedingten doppelfunktionalen Charakter von Internal Investigations zusammen. Diesen kommt einerseits, wie bereits beschrieben, eine „Compliance-Funktion“[14] zu; andererseits haben sie eine (straf-)verfahrensrechtliche Funktion, indem sie (ggf. soweit das deutsche Strafverfahrensrecht dies gestattet) auf dessen Verlauf und Ausgang Einfluss nehmen können.
a) Funktion im Rahmen behördlicher Verfahren
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Einfacher zu isolieren sind die strafverfahrensrechtlichen Gründe für Internal Investigations: Sie können überall dort Bedeutung erlangen, wo der Staatsanwaltschaft als Herrin des Ermittlungsverfahrens oder später dem Gericht für die zu treffenden Entscheidungen ein Ermessen eingeräumt ist oder ihnen diesbezüglich zumindest ein Beurteilungsspielraum zur Verfügung steht. Dies betrifft zuvorderst die Möglichkeit von Absprachen im Strafprozess, darüber hinaus aber auch jede sonstige Entscheidung beginnend bei der Frage, welche Ermittlungsmaßnahmen zur Aufklärung eines Sachverhalts erforderlich sind, bis hin zum Strafmaß.[15]
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Was den deutschen Rechtsraum anbelangt, so geht es hierbei im Wesentlichen – noch – um die Vermeidung einer strafrechtlichen Organhaftung, vgl. § 14 StGB.[16] In diesem Zusammenhang zu nennen gilt es zugleich die Vermeidung von Rechtsfolgen des Ordnungswidrigkeitenrechts[17] oder sonstiger gegen ein Unternehmen als solches zu verhängenden Rechtsfolgen.[18] Soweit das betreffende Unternehmen im US-amerikanischen Raum agiert und daher der Blick auf das dortige (Straf-)Rechtssystem fällt, sind Internal Investigations sowohl die Basis für die Entwicklung einer Verteidigungsstrategie bei zu erwartenden behördlichen Verfahren, als auch die Grundlage für die von der SEC bzw. dem DOJ erwartete Kooperation. Bei Teilnahme an einem Kartell bildet die unternehmensinterne Untersuchung ein zentrales Element, um von den deutschen oder europäischen Leniency-Regelungen mit einer Strafmilderung zu profitieren.[19]
b) Funktion im Rahmen der Corporate Governance
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Im Rahmen der Compliance-Funktion sind die Gründe für Internal Investigations noch komplexer. Sie lassen sich nach ihrem Wirkungsbereich einteilen in solche, die Effekte innerhalb des jeweiligen Unternehmens betreffen, und solche, die Außenwirkung haben.
aa) Effekte innerhalb des Unternehmens
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Innerhalb des Unternehmens dienen Internal Investigations der Stärkung des Integritätsbewusstseins und sichern die Einhaltung gesetzlicher Handlungs- und Organisationspflichten.[20] Sie haben zudem eine Überwachungs- bzw. Kontrollfunktion und erleichtern der Unternehmensleitung die Sanktionierung rechtswidrigen Verhaltens bzw. von sonstigem Fehlverhalten der Mitarbeiter durch gezielte Aufklärung im Verdachtsfall.[21] Ferner tragen interne Untersuchungen im Fall von Regelverstößen dazu bei, Compliance-Systeme aktuell zu halten und eventuelle Schwachstellen aufzuzeigen.[22] Des Weiteren haben unternehmensinterne Untersuchungen eine allgemeine Beratungs- und Informationsfunktion, jedenfalls soweit externe Ermittler hinzugezogen werden.[23]
bb) Außenwirkung
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Die systematische Aufklärung von Regelverstößen signalisiert nach außen hin Integrität und dokumentiert, dass Corporate Governance bzw. – weiter – Corporate Responsibility ernst genommen werden.[24] Dies verhindert einen Reputationsverlust, der infolge behördlicher Ermittlungsverfahren eintreten mag.[25] Schließlich lassen sich Internal Investigations als Marketinginstrument zur Akquise neuer Aufträge einsetzen, da sie vor allem solche Unternehmen als Kunden ansprechen, die ihrerseits Compliance-Maßnahmen treffen.[26]
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Es wird davon ausgegangen, zumindest für den Bereich der Corporate Crimes rechne die Gesellschaft zu Gunsten eines Unternehmens begangene Delikte weniger dem Einzelnen Täter als vielmehr dem Unternehmen selbst zu, dessen mit der wirtschaftlichen Betätigung eingegangenes Risiko sich in der Straftat realisiert.[27] Ergreift die Unternehmensleitung aber Maßnahmen, um derartigen, zu seinen Gunsten begangenen Regelverstößen entgegenzuwirken