Ändere deine Welt. Cédric Herrou

Ändere deine Welt - Cédric Herrou


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Aufenthaltsverbot. Ich schlug ihr vor, mitzukommen und den ersten »Internationalen Campingplatz im Royatal« mit mir aufzumachen. Sie war einverstanden. Ich ahnte, dass es nicht lange dauern würde – früher oder später würde man mich in flagranti erwischen und als »Schleuser« verhaften, und dann würde ich vielleicht im Gefängnis landen.

      8. Petit Bouddha

      Der Kleine beobachtet mich, ein eingefrorenes Lächeln auf den Lippen. Seit seiner Ankunft hat er kein Wort gesprochen. Ein kleiner Buddha, könnte man meinen. Dieses Lächeln ist wie ein Spiegel oder Schutzschild, von dem die Unbilden des Lebens abprallen. Seine Augen sind mit Tränen bewehrt, die nie herabfließen, in jedem Auge eine. Mit seinen glatten schwarzen Haaren, großen, mandelförmigen Augen und fein geschnittenen, zarten Lippen sieht er wie ein Indianer aus. Sein Blick hatte den Ausschlag gegeben, dass ich seine Familie und nicht eine andere mitnahm.

      Der Junge betrachtet die vierhundert Küken, die gerade in kleinen Schachteln angekommen sind, um die alten Legehennen aufzufrischen. Ich setze sie in ein Kükenhaus unter die wärmende Lampe, und ihr Gepiepse ist so laut, dass ich Ohrenschützer trage. Beobachtungszeit: Haben sie Hunger oder Durst, ist ihnen kalt oder warm? In den ersten Tagen sind sie so fragil, dass ein mit kaltem Regen vermischter stärkerer Windstoß genügte, und man fände sie mit beiden Beinchen in der Luft wieder. Ich rede mit ihnen, um sie an meine Stimme zu gewöhnen, und stoße komische kleine Geräusche aus, um sie zu beruhigen. In drei Wochen haben sie nichts mehr zu befürchten. Wie der Kleine, der hier in Sicherheit ist und mir auf Schritt und Tritt folgt. Ich kriege nicht raus, ob er traurig ist oder froh oder beides zugleich.

      Während die Arbeit auf dem Hof weitergeht, wächst langsam der internationale Campingplatz aus dem Boden. Ein zweiter Wohnwagen ist per Helikopter gekommen. Lucile und ich haben Zelte und Decken aufgetrieben. Die Leute kommen, bleiben ein paar Tage, dann geht’s weiter. Ich weiß nichts über sie, denn ich belästige sie lieber nicht mit Fragen. Doch ich ahne, was sie durchgemacht haben: Durchquerung der Sahara, die Hölle Libyens und die Fahrt übers Mittelmeer, eine makabre Lotterie, bei der Angehörige sich aus den Augen verlieren oder untergehen, jede Menge Tragödien. Alle sind sie Überlebende, für die es schon eine Großtat ist, dass sie es bis zu mir geschafft haben. Ich schenke ihnen ein paar Momente der Erholung, bevor sie von neuem der Brutalität und den Unsicherheiten des Umherirrens die Stirn bieten müssen.

      9. Olivenfest

      2016 hatte ich gerade mit dem Olivenfest aufgehört, das ich seit 2006 auf dem Dorfplatz von Libre, einem Weiler bei Breil, organisierte. Mein Bruder Morgan und ich hatten es ins Leben gerufen, um die reiche Ernte zu feiern. Ich war sehr überrascht gewesen, dass es dieses Fest im Royatal, dem Land der Oliven, nicht gab. Weil wir überzeugt sind, dass Menschen Anlässe brauchen, sich zu treffen, haben wir das ganze Dorf zum Essen eingeladen. Morgan opferte ein Zicklein, das sich am Spieß drehte, und es gab Musik – ein richtiges okzitanisches balèti.

      Anfangs kamen vor allem unsere Freunde. Dann dauerte das Fest jedes Jahr ein Wochenende lang und wurde immer größer. Am Ende wurden mehr als sechshundert Besucher gezählt, es gab Konzerte von sieben Uhr abends bis drei Uhr morgens: Punk, Jazz, Ska, Rock, Electro … Viele warteten ungeduldig auf das selbstverwaltete Fest, das die Landwirtschaft und eine andere Art zu produzieren und zu konsumieren symbolisierte. Wir haben es nie geschafft, die örtlichen Bauern zum Mitmachen zu bewegen, nur einige von ihnen kamen. Sie hatten immer das Gefühl, überrannt zu werden, und fanden alle möglichen Ausreden, um uns zu entmutigen.

      Wir Organisatoren waren zu dritt. Dutzende Freiwillige kümmerten sich spontan um die Bar, die Kasse und das Saubermachen. Jeder kannte seine Aufgabe, nur das Rathaus nicht, das sich weigerte, uns die gemeindeeigenen Tische und Stühle zur Verfügung zu stellen, und Genehmigungen nur schleppend erteilte. Aber wir hatten die Gendarmen auf unserer Seite, so entstanden gute Beziehungen, die uns später nutzten, wenn wir Exilierten halfen. Sie sagten: »Auch wenn der Herr Bürgermeister sich zurückhält, euer Fest ist vorbildlich. Seit es dieses Fest gibt, hatten wir nie eine Schlägerei oder irgendeinen Unfall, im Gegensatz zu den traditionellen Festen im Tal. Ihr seid auch die Einzigen, die uns über die Organisation auf dem Laufenden halten.«

      Wir hatten eine Initiative gegründet, Aux Arbres (Für die Bäume), selbst finanziert und unsubventioniert. Wir wollten unabhängig sein, was sich bei einem Budget von knapp zehntausend Euro als sehr schwierig erwies. Wir hatten eine gute Idee: Bier. Die Bar ist der Schlüssel zum Erfolg. Wir kauften in Deutschland Druckfässer mit Bier, das wir immer wieder auffüllten und an andere Initiativen für andere Events weiterverkauften. Ich verbrachte meine Wochenenden damit, Festivals und Konzerte zu beliefern – eine Heidenarbeit. Man musste vor Beginn da sein, die Zapfanlagen kontrollieren, Dutzende Fässer eigenhändig ausladen, die Bar organisieren und bis zum Schluss warten, um alles wieder in den Lieferwagen zu laden, ins Royatal zurückzufahren, alles wieder abzuladen und in die Vereinsräume zu bringen. Oft kam ich erst in der Morgendämmerung nach Hause.

      Diesen hektischen Rhythmus hielt ich ein paar Jahre durch. 2016 hörte ich auf, ich war es leid, mich ständig mit dem Bürgermeister und mit Nachbarn rumzustreiten, die wegen des Lärms schimpften, und mit den Initiativen, die Monate brauchten, um uns das Bier zu bezahlen. Diese freiwillige Arbeit zehrte an meiner Zeit und an meiner Arbeit als Bauer, ich hatte die Welt der Initiativen satt, ich wollte wie alle anderen mit den Händen in den Taschen zum Fest erscheinen und in vollen Zügen genießen.

      Mit dem Fest aufzuhören, das ein wenig mein Baby war, fiel mir schwer. Ich hatte es auf die Welt kommen und groß werden sehen, und nun ließ ich es sterben. Aber als der Entschluss gefasst war, fühlte ich mich befreit – ohne zu wissen, dass ich mich bald in ein anderes kollektives Abenteuer stürzen würde. Der Vorteil war, dass ich zehn Jahre lang gelernt hatte, für sechshundert Personen zu planen, wo sie pinkeln, schlafen, essen und trinken konnten – Probleme, mit denen ich bald wieder konfrontiert wäre.

      10. Kalt und pragmatisch

      Sommer 2016. Innerhalb eines Monats habe ich an die dreißig Personen über die Grenze gebracht, und meine Stimmung hat sich geändert. Wenn ich jetzt nach Ventimiglia hinunterfahre, bin ich wie ein Tier. Ich beobachte. Die Leute, die Autos, die Bullen, die Schleuser. In der Kirche bin ich bekannt wie ein bunter Hund. Die Entscheidung, wen ich mitnehmen soll, fällt mir jedes Mal schwerer, ich versuche, möglichst pragmatisch zu sein. Mich nicht vom Gefühl leiten zu lassen. Diejenigen auszusuchen, die es am Nötigsten haben. Ich nutze die Ablenkung durch die Aktivisten, die eilig Plastiktüten mit Essen verteilen. Wenn sie da sind, sind die Bullen beschäftigt.

      Die Kirche ist von Mal zu Mal voller. Ich versuche, die Kids, die es allzu eilig haben, zu überzeugen, auf mich zu warten. Aber sie wollen so schnell wie möglich über die Grenze, selbst wenn sie die Autobahn entlanglaufen müssen. Während ich eine Familie in meinen C15 lade, packt mich eine alte Italienerin zeternd am Arm und gibt mir die Schuld an den Geschehnissen in ihrer Straße. Wir haben beide damit Probleme, entgegne ich, aber unterschiedliche Lösungen: Ich bringe die Leute aus Ventimiglia weg, auch von ihrem Haus, und sie beschimpft sie bloß.

      Während der Fahrt haben die Familien Angst vor mir, ich bin kalt und unnahbar, wie ein wildes Tier, das niemand stoppen kann. Die Schleuser in Ventimiglia sehen mich böse an, sagen aber nichts. Mittlerweile weine ich innerlich auf jeder Rückfahrt, ich ertrage den Geruch der Angst nicht mehr. Ich halte es nicht mehr aus, Menschen in mein Auto zu quetschen, die verständnislosen Blicke der Kinder zu sehen, wenn ich sie unter einer Decke verstecke, die Angst der Eltern zu spüren.

      Wie soll man einem Kind erklären, dass seine Hautfarbe versteckt werden muss? Dass das Land, in dem es aufwachsen und seine Liebesbeziehungen, seinen Beruf und seine Familie aufbauen wird, es wegen seiner Hautfarbe nicht wollte? Im Royatal herrscht Staatsterror.

      Als ich später bei Radio Europe 1 den »staatlichen Rassismus« und die »Jagd auf Schwarze« anprangerte, sagte der


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