Der Bote. Hans-Joachim Rech

Der Bote - Hans-Joachim Rech


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Gegnerin. Außerdem konnte ich in keiner Weise einschätzen, welche Mitspieler sie noch an Bord der Georgi Schukow für ihre Zwecke einspannte. Den Kapitän ganz sicher nicht, Viktor Satchev ist ein ehrenwerter Mann mit einem ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit und Kameradschaft, was in der russischen Marine ohnehin einen sehr hohen Stellenwert hat. Personen aus einem der Teams - oder gar aus mehreren? Je mehr Mitwisser es gibt, um so zerbrechlicher das Konstrukt - nein - sollte ein Anschlag auf mich verübt werden, so würde dieser schnell, präzise und nicht nachweisbar erfolgen. Mann über Bord; die Rundgänge außerhalb des Oberdecks wo die zahlenden Gäste wohnten. War nur mit ausdrücklicher Genehmigung und in Begleitung eines Offiziers und zwei Matrosen möglich. Zudem mussten mindestens drei Passagiere an diesem Rundgang teilnehmen. Für meine Recherchen und fotografischen Arbeiten während der Tauchgänge mit Architheutis bräuchte ich keine besonderen Vorkehrungen zu treffen, bis auf meine Yoga Stunde vor Beginn des Abenteuers arktischer Tiefsee. Diesen Akt der inneren Selbstberuhigung und Stabilisierung und die dazu notwendige Technik, hatte ich mir vor Jahrzehnten von einem nordamerikanischen Indianer beibringen lassen. Nur mit dem Bogenschießen wollte es nicht so recht klappen, ich traf fast immer die Zuschauer anstatt die Scheibe, was allerdings keinen Schaden verursachte - Übungspfeile mit Weichgummispitze. Einem Greenhorn wie mir traute man nach vier Wochen Tipi Abenteuer halt noch keine Qualitäten als Bogenschütze zu was mich veranlasste, meine Schießfreudigkeit in Sachen „der weiße Bogenschütze“ einzustellen, was nicht nur bei mir auf Erleichterung stieß. Schießen - Soldaten - Sonderkommandos - Militär - Kampfstoffe - Bakterien - Viren - Kriegführung - Immunität… was suchst du wirklich da unten in der Tiefsee - Yoshua Rosenstrauch?

      „Please Mister Bergerdamm - your Kabine - a single room only for you…“ sprach der Oberdecksteward“ the luggage is ready inside the Cabine… if you have a wish or order - call me by phone… i wish you an nice day and good times on Board - Mister Bergerdamm…“ endete die Übergabe meiner Ersatzheimat auf Zeit. Alles andere steht wie üblich auf allen Schiffen mit Passagierbelegung in den Instruktionen zum Aufenthalt an Bord der schwimmenden Einheit.

      „Thank you for your instructions - that‘s for you“ und spendierte dem Decksteward einen Euro Zehner als Trinkgeld verbunden mit der Hoffnung, dass diese Zuwendung in seiner eigenen Tasche verbliebe.

      Ich wusste von Kollegen um die Gehälter der Matrosen und Unteroffiziere an Bord der Georgi Schukow, denn auch die Deckstewards stehen im Rang eines Unteroffiziers. Was die Atomgaz den Männern zahlt sieht das Unternehmen als großzügige Zugabe zu der unbezahlbaren Möglichkeit auf diesem Schiff Dienst zu tun und die polaren Regionen dieser Erde hautnah zu erleben. Das wäre mit Geld in keiner Weise zu vergüten. Zudem hätten die Mitarbeiter an Bord Unterkunft und Logis frei, könnten somit ihre gesamte Heuer sparen, was aber mehr dem Wunschdenken und Schönreden der Atomgaz Manager entspricht als der Realität. Die Kernbotschaft der Instruktionen aber ist die Eigenschaft aller Matrosen und Offiziere der Georgi Schukow als Botschafter Russlands den Gästen an Bord des Eisbrechers zu begegnen. Im Klartext hieß das nichts anderes, als Augen und Ohren aufzusperren, zu lauschen und zu schnüffeln wo immer sich eine Gelegenheit bot und in den freien Stunden durchaus die Einladung zu einem Gespräch wohlwollend annehmen. Schriftliche Unterlagen in den Kabinen der Wissenschaftler und Forscher, sofern diese ohne großen Aufwand einzusehen sind, sollten fotografisch erfasst werden, wobei unbedingt darauf zu achten ist, keine Spuren zu hinterlassen. Weiße Handschuhe gehören bei den Deckstewards ohnehin zur Standardbekleidung.

      Dreizehn - so meine Kabinennummer, einmal in Kyrillsch, zum anderen in arabischen Ziffern. Die Kabinentür glitt sanft in die gepolsterten Zargen, was ein leicht schmatzendes Geräusch erzeugte, bevor der Schließriegel mit einem leisen Klacken in das Schließblech glitt. Die Vorhänge waren wegen der Mittsommernacht zugezogen, was noch einige Wochen so weitergehen würde, daran ging kein Weg vorbei, wollte ich in den Polarnächten wenigstens ein paar Stunden Schlaf finden. Dennoch fiel dort, wo sich die schwarzen Vorhänge überlappten, ein Lichtfinger in die Kabine hinein, der nach einigen Minuten des Eingewöhnens die Konturen der Einrichtung kraftvoll vor meinen Augen erstehen ließen. Das Doppelbett war unübersehbar; die Russen haben mit die größten Betten der Welt in ihren Hotels, was auch für die Kreuzfahrer gilt, und wird als Hommage an die russischen Zaren gewertet. Für mich als Einzelschläfer konnten die Betten gar nicht groß genug sein, aber das warum ist eine andere Geschichte, die nur mich etwas angeht. Zur rechten ein Tisch - ein Schreibtisch mit Sessel davor, an der Wand über dem Tisch eine Lampe, wahrscheinlich mit Minikamera und Mikrofon. Daneben das Bord TV Gerät (ganz sicher auch Kamera und Mikro bestückt), mit internationalen Sendern in der landeseigenen Sprache, sogar zwei deutsche Stationen waren darunter, aber zum Fernsehen hatte ich diese Reise nicht gebucht. Gleich neben der Eingangstür befand sich der Kleiderschrank, dem ich gleich den Inhalt meines Koffers anvertrauen würde. Mein Koffer - mein Gepäck, ich musste Licht machen - am besten die Vorhänge aufziehen. Mir fielen zwei leuchtende grüne Lichter mit Schaltern neben dem Türrahmen auf - einfach mal drücken - es werde Licht. Die Kabine erhellte sich in einem angenehmen Farbton, der durchaus an die Beleuchtung westlicher fünf - Sterne Hotels heranreichte, und schon erblickten meine Habseligkeiten das Licht der Kabinenwelt auf der Georgi Schukow. Fehlt nur noch das Bad mit Toilette - (den Hinweis auf Kamera und Mikrofon erspare ich mir) und das wichtigste überhaupt - die Minibar. Der zweite grüne Schalter ließ die Vorhänge am Kabinenfenster geräuschlos auseinander gleiten, solange ich den grünen Schalter gedrückt hielt. Das gleiche Ensemble leuchtet jetzt auch am Kopfende neben meinem Bett auf, so dass sich das lästige Aufstehen und durch die Kabine stolpern erübrigte. Vom Bett aus ließ sich alles wunderbar bedienen. Licht aus, Vorhang zu, schlafen gehen oder - nein - kein TV, das hatte ich mir geschworen. Vor der Glotze schlafe ich grundsätzlich ein, warum weiß ich nicht und habe auch keinen Drang nach den Ursachen zu forschen, es ist einfach so. Nur so viel - scheint nichts ernstes zu sein - weil, das geht schon seit mehr als zwanzig Jahren so. Jens Hüball, mein früherer Freund und Kollege, den es im Balkan bei der KFOR erwischte, meinte einmal zu mir, dass mein Einschlafen vor der Glotze ursächlich mit der Qualität der Programme zu tun hat. Die Menschen sollen einfach nicht mehr zum Nachdenken kommen und werden über bestimmte Impulse aus dem Bildschirm, welche direkt auf das Schlafzentrum wirken, in den Schlafmodus versetzt. Ein weiteres Indiz dafür ist die zunehmende inhaltliche Merkunfähigkeit bei Talkshows und Lifesendungen. Hier hörst und siehst du alles, verstehst auch den gequirlten Dünnschiss zum Teil, aber deine Wiedergabefähigkeit schon ein paar Stunden später geht gegen Null. Wahrscheinlich hat er recht, kein Wunder, dass immer mehr gebildete Menschen oder solche, die sich dafür halten, zu Eigenbrödlern werden, sich nur noch mit sich selbst beschäftigen und lediglich zu Erwerbszwecken Interessengeartete Betätigungen annehmen. Weg von der Mittelpunktsneurose, weg vom Narzissmus, weg von all dem Promi Getue das mir schon seit Jahrzehnten die Prostata traktiert. Weg vom Schleimen und Heucheln, dem klebrigen Anbiedern, dem um die Wette Rennen mit diesem Heer von Enddarmbewohnern, die selbst Arschlöcher haben die so groß sind, dass man mit dem Lastwagen dreinfahren könnte. Meine Teilnahme an dieser Expedition war so eine Interessengeartete Betätigung, die in erster Linie offiziell dem Broterwerb diente, wenngleich ich nicht von den Honoraren aus meiner freiberuflichen journalistisch-fotografischen Arbeit leben musste und auch nicht gekonnt hätte. Allein meine Abfindung zum Ausscheiden aus dem Unternehmen Bergerdamm bescherte mir für drei Leben ein fettes finanzielles Polster, hinzu kamen noch die Dividenden aus Aktienpaketen, die mir gleichfalls satte Zuwächse einbrachten. Bescheidenheit ist eine Tugend - so lehrte es mich meine Großtante Lina, eine richtige Ostpreußin mit solidem jüdischen Stammbaum. Was du ererbt von den Eltern, erwirb es um es zu besitzen. Mit dem Erben war es so eine Sache; ich hätte komplett verzichten können, auf alles und jegliches, wäre aus dem Unternehmen Bergerdamm ohne Aufhebens ausgeschieden, ohne Abfindung, finanziell nackt und bloß, lediglich die Betriebsrente war nicht verlegbar, die musste ich nehmen - so der Betriebsrat. Von mir aus, viel war es ohnehin nicht. Gegen diesen Schritt standen meine Wünsche und Träume - Reisen - Erforschen - Fremde Welten kennenlernen - Reportagen - Fotos - weltweit. Und der Tierschutz in all seinen Facetten. Good Will ist eine ehrenwerte Tugend, aber ohne feste Basis - sprich Knete - eine sehr wackelige Angelegenheit. Ich hatte zwar Honorareinnahmen aus meinen regionalen und deutschlandweiten Reportagen und Fotosessions, aber das reichte gerade mal für eine Einzimmerwohnung, eine Bahncard fünfzig für Journalisten und einmal im Monat Einkaufen bei ALDI. Meine Klamotten wuschen mir hilfreiche Geister in den Pensionen,


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