Der Bote. Hans-Joachim Rech

Der Bote - Hans-Joachim Rech


Скачать книгу
Miterbe des Unternehmens Bergerdamm“ war. Diese Großzügigkeit rechne ich den Fotohändlern bis heuer hoch an. So könnte ich weiter ausführen, aber ich will mich nicht selbstloser darstellen als ich bin und auch keinen Heiligenschein aufsetzen, zum Gandhi eigne ich mich ohnehin nicht. Aber diese Zeit war eine sehr gute Lehrzeit - hart aber lebensnah und - fair, obwohl ich manchen Arschtritt verpasst kriegte. So sagte ich ja und ließ mich von meinen älteren Geschwistern und von den Familienanwälten einschließlich Betriebsratsvorsitzenden in einer Größenordnung auszahlen, die mir eine Summe zufließen ließ, die in der Tat für drei Leben in Hülle und Fülle reichten. Endlich konnte ich meine Wünsche und Träume Realität werden lassen. Zu einem dieser Wünsche gehören die nun schon regelmäßigen Polarfahrten zu den vereisten Erdpolen, daneben Expeditionen mit Mammutforschern zu den abgelegenen Inseln der arktischen Zonen Sibiriens und Alaskas. Das Abtauchen mit speziellen Tauchbooten im Team von Forschern und Wissenschaftlern in die absolute Nacht der eisigen Tiefsee erforderte bei mir mehr als nur Überwindung der räumlichen Enge, das nur am Rande. Kurzum - die naturwissenschaftlichen Magazine weltweit begannen sich für mich und meine Fotoreportagen zu interessieren, es lief rund, meine Honorare nahmen ansehnliche Größenordnungen an und flossen ohne Ausnahme gleich in neue Projekte, vornehmlich Tier- und Artenschutz, wobei ich Tierheime in aller Welt unter konsequenter Kontrolle ausgewählter Vertrauenspersonen versteht sich, ihren Maßnahmen entsprechend unterstützte, was die „Motivation und Selbsthilfekräfte“ der Ehrenamtler in beeindruckender Weise motivierte. Nun sitze ich hier in einer Kabine der Georgi Schukow und bin mir sicher, das dies das Domizil eines Offiziers des Eisbrechers ist, und ich als zahlender Gast auf Zeit die „Annehmlichkeiten“ seiner schwimmenden Datscha genießen darf. Ich werde mich dieser Gastfreundschaft würdig erweisen, auch wenn ich rund um die Uhr beobachtet und belauscht werde. Russland ist eben Russland und sein Präsident der politische Nationalheilige. Der andere Heilige hing als Siebdruck einer Ikone an der Wand über meinem großen Bett - der Heilige Nikolaus von Myra, herkömmlich aus Lykien, Antalya in der Türkei. Soll kein Rückschluss sein auf das gute Verhältnis zwischen den beiden Präsidenten, ist halt nur der Nationalheilige der Ostkirchen. Ein suchender Blick in die Minibar signalisierte mir zufriedenstellende Ergebnisse - Apfelsaft, Mineralwasser, Milch, Hartkäse - Ende der Durchsage. So hatte ich es auf dem Fragebogen lange vor meinem Antragsersuchen auf Teilnahme an der Fahrt mit der Georgi Schukow formuliert. Striktes selbst verordnetes Alkoholverbot - ich wollte den klaren Durchblick haben, zu jeder Zeit des Tages und der Nacht, und so wie die Dinge sich zu entfalten begannen, würde ich diesen Durchblick noch mehr nötig haben als die Luft zum Atmen. Rauchen stand ohnehin völlig außen vor, diesem Suchtmittel schwor ich schon vor Jahrzehnten ab. Also Maximilian von Bergerdamm - an die Arbeit - packen wir es aus!

       Schlacht am Büffet - Anfahren der Maschinen - Good bye Murmansk

       Eine leichte Vibration ging durch den Schiffsrumpf, mehr ein wohliges Zittern, welches das Hochfahren der Dampfturbinen bei einem Nuklear getriebenen Schiff ankündigte. Die Kraft dieser Turbinen würde die Georgi Schukow benötigen, wenn die Steuerschlepper dieses Riesenschiff in die Tiefwasser Fahrrinne der Kola Bucht in Richtung offenes Meer schleppten. Dann würden die Schlepptrossen gekappt, die Schlepper drehten hernach über Steuerbord und Backbord bei, um zu ihren Stützpunkten im Hafen von Murmansk zurückzufahren. Über die Bordsprechanlage verkündete eine vertraute Stimme das bevorstehende Auslaufen der Georgi Schukow verbunden mit der Bitte, von jetzt an in den Kabinen zu bleiben, bis weitere Anweisungen über die Borddurchsage erfolgten. In der Offiziersmesse im Oberdeck auf Deck zwei ist für die Begrüßung durch Kapitän Viktor Satchev und das Büffet alles bereitet. Hernach erfolgt ein erster Rundgang durch die ihnen zur Verfügung stehenden Einrichtungen des Schiffes - etwa die Bibliothek, das Kino, der Wellness- und Saunabereich, die Kommunikations- und Presseräume, die Sporteinrichtungen, der Friseur und die Krankenstation. Nach verlassen ihrer Kabine folgen sie einfach dem Blau leuchtenden Pfeil, er wird sie zielsicher zu Deck zwei im Oberdeck führen. Dort werden sie dann von Frau Valeria Dernikowa und der Kollegin Anastasia Federinenko begrüßt und in die Offiziersmesse geführt, wo sie vom Kapitän der Georgi Schukow und seinen Offizieren empfangen werden. Sie haben noch fünfzehn Minuten Kabinenzeit, also um Neun Uhr am Empfang in der Offiziersmesse. Seien sie bitte pünktlich, Kapitän Satchev erwartet sie. Ich machte mich an die übliche Hausmannsarbeit auf Reisen - Koffer auspacken - Klamotten einräumen, Koffer schließen und wegstellen. Sanitärartikel ins Bad auf die Ablage über dem Handwaschbecken legen und stellen, eine Dose Shampoo in die Seifenbox der Dusche. Das Bad ohne Fenster, aber mit Dampfabsauger über der Dusche, fast wie in meiner Ein-Zimmer-Bude in Kettwig am Obersee der Ruhr, nicht weit entfernt von jener berühmten Villa auf dem Hügel, der Repräsentationsresidenz der von und zu Krupp, die es durch Genialität, Fleiß und Geschick zum ersten Rüstungslieferanten des deutschen Kaisers Wilhelm II brachten und für sein elitäres Hobby, die kaiserliche Marine, die schwere Bordartillerie erschufen, mit der sie sich dann im Kampf gegen die englische Großkampfflotte wacker schlugen um sich hernach in Stücke zu schießen. Zu Tausenden ruhen die Helden der Skagerrak Schlacht auf dem Grund der Nordsee - mitsamt ihren Schiffen. Das Unternehmen von Bergerdamm residierte in Wetter an der Ruhr, wo auch die riesenhaften Tagebaubagger in Zusammenarbeit mit Krupp entstanden, die in der rheinischen Ebene Hunderte Meter tiefe Löcher aushoben, um an das schwarze Gold zu kommen. Alles Historie - der Ausstieg aus der Kohleverstromung ist längst fester Bestandteil der Energiepolitik, dann braucht es auch in Deutschland keine Braunkohlebagger mehr. Und auch sonst wird einiges überflüssig und nicht mehr gebraucht. Duschen - ja - schnell raus aus dem verschwitzten Kram und hoffen, dass die Eisbären draußen bleiben. Ich zog den Vorhang auf und drehte an den Knebeln der Mischbatterie, und Augenblicke später schoss angenehm warmes Wasser aus dem großen Duschkopf mittig in die Duschwanne. Rasch glitt ich in die Schüssel und ließ mich von den warmen, perlenden Wasserstrahlen verwöhnen. Nur jetzt nicht die Augen schließen und wegdösen, dann wird Papa Satchev richtig sauer werden und mir möglicherweise das Büffet streichen. Shampoo, einseifen, die wichtigen Weichteile reinigen - in meinem Alter gehört das zur Hygiene, Frauen haben darauf schon lange keinen Zugriff mehr, ist mir einfach zu stressig und überhaupt will ich meine Ruhe haben, tun und lassen was ich will und mir meine Zeit so einteilen, dass ich einzig und allein darüber verfügen kann. Es gab Kolleginnen, die durchaus interessiert waren an einer tiefer gehenden Beziehung, aber meine direkte und unmissverständliche Ansage dazu ließ sie gleich und für immer auf Distanz gehen. Wasser abdrehen, raus aus dem Bottich, trocken reiben. Noch acht Minuten. Durch die schwarzen Vorhänge fiel immer noch das Licht der Mittsommernachtssonne, ein schmaler Streifen nur, aber dieser leuchtete in den intensivsten Farben des Regenbogens. Sanft bog ich den Vorhang zurück, und mein Blick glitt hinaus über das Hafenbecken, welches immense Ausmaße haben musste, denn es ankerten mehr als ein Dutzend Schiffe von der Größe der Georgi Schukow und darüber hinaus, gestrichen in der typischen meergrauen Farbe, die allen Marineschiffen zu eigen ist, an der schier endlosen Kaimauer, von denen es im Hafenkomplex Murmansk Dutzende haben musste. Hier lagen sie also in Sichtweite - die Tender der russischen Eismeerflotte, Versorgungsschiffe der Nordmeerflotte die nur auf einen Befehl warteten - Anker lichten - Mannschaften auf die Stationen - Klar Schiff zum Auslaufen - Gefechtsbereitschaft. Ich könnte… ging mir ein Gedanke durch den Kopf, den ich aber gleich wieder verwarf. Noch drei Minuten - rasch in die Hose gesprungen, das Marinehemd übergestreift, meinen Brustbeutel verstaut - hinein ins Jackett - Licht aus - Kabinentür zu, und hinaus in den Korridor, immer der blauen Linie nach und den vorauseilenden Kollegen der verschiedensten Disziplinen hinterher, die sich wie im Schlussverkauf sputeten, um nur ja nicht die Eröffnung des Büffets zu verpassen.

       Maxis Visionen - Valerias Einladung - Viktor Satchevs Rede - Maxis Tod

      Der Gang wollte kein Ende nehmen, wand sich wie ein Aal in immer neuen Windungen längs einer blauen Leitlinie, die sich wie ein Starkstromkabel durch das Kabinendeck der Passagiere schlang, treppauf - hinein in einen weiteren Gang, der sich mit Menschen aus Kabinen füllte die ich nicht kannte, die mir aber vertraut schienen, wenngleich ihr Aussehen so gar nicht in das Jahr zweitausendsechzehn passte. Alles kam mir wie eine Kulisse, eine Bühneninszenierung der Atomgaz vor, eigens für die Forscher, Wissenschaftler und Mediziner veranstaltet. - Lina - wie ist das möglich - Jungchen


Скачать книгу