Der Bote. Hans-Joachim Rech

Der Bote - Hans-Joachim Rech


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Oberfläche des Meeres wie Sektkorken ploppten, Skelette, Hunderte, Tausende und dazwischen dieses blaue wild zuckende Starkstromkabel das sich nun hinauf wand - steil hinauf - Brücke - Zutritt nur für Offiziere… Rotlicht flackerte durch die sich verzweigenden Gänge, erfüllte Kabinen, überzog lebende Tote, Leichen und Skelette mit einem grausigen Schleier unwirklichen Scheins - Alarm - alle Mann auf Gefechtsstation - Klar Schiff zum Gefecht… brüllte die Stimme aus einer längst vergangenen Zeit, welche in Zuständen höchster Not und Angst in den Köpfen der Menschen aufstieg - sich ihrer bemächtigte und sie zu irrwitzigen Verzweifelungstaten verleitete… - U-Boot Backbord voraus - Entfernung zweitausend Meter - Anlauf beginnt -Torpedos frei…. ich sah den stählernen Sarg über das Wasser des nordatlantischen Eismeeres fegen in einer Geschwindigkeit, die nur noch vom heulenden Fauchen der Torpedos übertroffen wurde, und die vom Atem des Todes getrieben mit erschreckender Präzision den gepanzerten Rumpf der Georgi Schukow trafen, was den Eisbrecher fast zeitgleich mit den urweltlichen Explosionen zum Stehen brachte, die diesen Zehntausende Tonnen schweren Koloss mehrere Meter aus dem eisigen Arktiswasser stemmten, um ihn dann in zwei Teile zerbrechen ließen, die bei ihrem Rücksturz ins Meer gigantische, kreisförmige Wellenberge erzeugten, die nun nach allen Seiten davon rollten, um so schnell wie möglich diesen Ort fürchterlichen Geschehens zu verlassen…U 2485 - Kommandant Ohnefurcht - Torpedotechniker von Bergerdamm - das Boot meines Vaters…ein Monsun Boot - eines der ganz großen mit acht Torpedorohren… Asien - Japan - Indischer Ozean… was hatte mein Vater dort zu schaffen…Covid 19...Indien…Katastrophe…Corona Pandemie… USA Hotspot 2020.…diese Leuchtschrift blinkte für Sekunden zwischen dem auf und abschnellenden blauen Starkstromkabel auf, das mit zunehmend gnadenloseren Schlägen Hunderte dieser menschenähnlichen Wesen durch Wände, Kabinentüren und Fenster hinausschmetterte in die eisigen Fluten des arktischen Nordmeeres…

       „Schön sie zu sehen - Maxi von Bergerdamm - wir haben schon geglaubt sie kommen nicht mehr…“ flüsterte eine Stimme aus diesem Inferno eines Albtraumes, eine Stimme, die ich kannte… aus einem Lied… Monsieur Hunderttausend Volt…. Natalie…. Gilbert Becaud…. Natalie…. Valeria Dernikowa… sie ist gekommen mich zu begrüßen….

      „Hallo Maxi… ich bin es - Valeria Dernikowa - die Lady in Red… sind sie in Ordnung… geht es ihnen gut….?“ fragte die Stimme jetzt nicht mehr flüsternd, dafür schwang eine gewisse Unruhe oder Sorge in ihrem Klang, womit sie einer erwarteten Antwort auf ihre Frage - schon der Höflichkeit wegen - Nachdruck verlieh.

      „Covid 19 - das Corona Virus, die Pandemie ist nicht mehr zu stoppen - alle werden zweitausendzwanzig sterben - die USA sind der Hotspot der Infektionen und Todesfälle… Zehntausende sterben täglich…. alles kommt zum Ursprung zurück - wo es vor Hundert Jahren begann - die Influenza H1N1 - die Spanische Grippe… wir sind alle verloren…“ murmelte ich meine Worte, getragen von den Stimmklängen hoffnungsloser Traurigkeit, ausgestattet mit den albtraumhaften Sekundenvisionen einer untergehenden Welt in der nahen Zukunft.

      Valeria Dernikowa schaute mich aus großen Augen an, dann lächelte sie verständnisvoll, zupfte am Ärmel meines Marinehemdes und bedeutete mir in die Offiziersmesse einzutreten, wo sich bereits die meisten Forscher, Wissenschaftler, und Mediziner versammelt hatten, um die Begrüßungsworte durch den Kapitän der Georgi Schukow, Herrn Viktor Satchev zu hören und das Auslaufen des Eisbrechers in das arktische Nordmeer zwischen Grönland und dem geografischen Nordpol, umrahmt von einer prachtvollen Mittsommernacht, zu genießen. Vom zweiten Deck im Oberdeck der Brücke bot sich nicht nur dem Kapitän und den Offizieren, die sich alle beiderseits neben Viktor Satchev aufstellten, ein traumhafter Ausblick auf die Kola Bucht, den sich vom Hafen aus bis zum Horizont erstreckenden Meeresarm, dessen Wasser in allen Facetten des Polarlichtes glitzerte und funkelte und nichts von dem erahnen ließ, was in den nächsten Tagen und Wochen auf uns alle zukommen würde. Die Menschheit in ihrer globalen Urbanität geriet in drei Jahren in den Sog einer beginnenden Pandemie, die im Jahre 2020 alle Vorstellungen des Schreckens, Leidens und Sterbens sprengte.

      „Kommen sie Max - dort drüben Backbord am Fenster, ein Zweiertisch - habe ich für uns reserviert. Ich möchte doch hoffen, dass ihnen das recht ist, immerhin bin ich ja ihre Kontaktperson an Bord - sozusagen die Mutter der Kompanie…“ wobei sie ein wenig lachte,“ so sagt man doch bei den Soldaten…“

      Schwerfällig drehte sich sein Körper in Richtung der stimmlichen Ansage, und aus dem prall-roten Lippenpaar jener Frau zu seiner Linken flossen unentwegt betörende Töne, die Maximilian von Bergerdamm an eine Melodie erinnerte, welche er in seiner Kindheit in der Villa seiner Eltern über dem Ruhrtal in den Ausläufern des Bergischen Landes vernahm; der Bruder seines Vaters, Wilhelm von Bergerdamm, war als Ingenieur und strategischer Planer des Unternehmens auf allen Kontinenten dieser Welt im Einsatz, denn nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges liefen in den Neunzehnhundertfünfziger und sechziger Jahren die Aufbauarbeiten auf Hochtouren. Da waren die technischen Kenntnisse und Ingenieurleistungen der deutschen Stahlerzeuger und Maschinenbauer einfach unverzichtbar, was dazu führte, dass Wilhelm, von den Kindern seines Bruders Hans von Bergerdamm nur Onkel Willi genannt, Wochen- oder Monate, zuweilen Jahre von zuhause entfernt in fremden Ländern lebte und arbeitete. Onkel Willi war Junggeselle, so die allseits gebräuchliche Bezeichnung für einen unverheirateten Mann, was für Maximilian und seine Geschwister aber keine große Rolle spielte oder sie in irgendeiner Weise zum Nachdenken darüber anregte, warum das so war. Onkel Willi war für die von Bergermann Nachkommen der Inbegriff des Abenteurers, des Entdeckers, des großen Wohltäters der in fremde Lände fährt oder fliegt, um dort große Maschinenfabriken oder Kraftwerke zu bauen, die den Menschen dort ein besseres Leben schenkten. Zuweilen verglichen sie ihn mit dem großen deutschen Entdecker und Universalgelehrten von Humboldt, wenn auch der Vorname ein anderer war, aber jener Alexander hatte ja noch einen Bruder der Wilhelm hieß, und schon passte alles in der kindlichen Vorstellungswelt perfekt zusammen. Willi brachte stets wundersame Geschenke von seinen Reisen mit an die Ruhr, welche die Kinder dann im Zusammensein der Familienmitglieder auspacken und bewundern durften. Eines dieser Geschenke war eine indische Querflöte, eine Bansuri, die eng mit der hinduistischen Gottheit Krishna verbunden ist, denn dieser Hauptgott der Hinduisten wird oftmals als Flötespielender Gott dargestellt und verehrt. Onkel Willi spielte den Kindern auf dieser Bansuri wunderschöne Weisen, Melodien voller Anmut, Verklärtheit und Sehnsucht, mit denen die Seelen aller Menschen dieser Welt erreicht werden, so sagt es die hinduistische Mythologie. Willi erzählte uns von Bhagavad Gita, einem Lied und Gedicht gleichermaßen von unvergleichlicher Schönheit und geschichtlicher Schwermut, von Schicksalen und tapferen Kriegern, und so gehört es mit zu den zentralsten Schriften des Hinduismus. Onkel Willi brachte den Kindern, die seinen Erzählungen mit glühenden Wangen und leuchtenden Augen bis in die Nächte hinein lauschten, die Götter dieser fernen Welt Indien und des Hinduismus nahe. Er berichtete von Kali-Yuga, dem schwarzen Dämon, der nach Krishnas Tod im Jahre 3102 vor der Geburt Christi und seinem Aufstieg in den Himmel, seinen - Krishnas Platz einnahm. Zuvor jedoch bat der berühmte und tapfere Krieger Arjuna Krishna darum ihm seine Worte zu erklären worauf Krishna sagte „Ich bin die Zeit - gekommen um die Welten zu zerstören. Jetzt bin ich der Tod geworden - der Zerstörer der Welten“ so ein Zitat, das ein gewisser Richard Obermann als Metapher nach dem erfolgreichen Test der ersten Atombombe in der Wüste von New Mexiko gebrauchte. Nach der hinduistischen Mythologie leben wir jetzt im dunklen Zeitalter, dem Zeitalter des Verfalls und der Verderbtheit und steuern wie der Kapitän auf einem Schiff geradewegs in den Untergang. Die Kinder von Hans von Bergerdamm, so namentlich Maximilian, Waldemar, Konrad, Annegret und Amalia wussten nichts von den Atombomben auf bewohnte Städte, wussten nichts von Konzentrationslagern und dem Massenmord an Millionen Juden, wussten nichts von Euthanasie und Rassenwahn der Nazis - das alles hielten sowohl Onkel Willi als auch ihr Vater Hans von Bergerdamm von den Kindern fern. Annegret und ihre Schwester Amalia waren Zwillinge. Sie wurden vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges im Sommer 1939 geboren. Konrad im September 1943 und Maximilian und Waldemar im Februar 1948 sowie im April 1950. Damit war - wie es ein Kanzler der BRD einmal formulierte, die Gnade der späten Geburt die Lossprechung von der Erbschuld erfolgt.

      „So - da wären wir - nehmen sie platz, von hier aus haben wir eine fantastische Aussicht auf die Kola Bucht, die Wälder ringsum und können trotzdem den Worten unseres Kapitäns Viktor Satchev zuhören… was möchten sie trinken - Wasser - das ist doch richtig Maximilian…?“


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