Der Güldene Baum. Hans-Joachim Rech

Der Güldene Baum - Hans-Joachim Rech


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noch irgend etwas anderes gab auf dieser Welt, als nur tiefe, undurchdringliche Wälder. Die Welt wurde beherrscht von den vier Elementen, dem Atem des Windes, dem Rauschen des Wassers, dem Lodern des Feuers und dem Beben der Erde. Alles auf dieser Welt hatte sich diesen Elementen zu fügen. Auch der Mensch, der damals noch sehr jung war und gerade anfing aufrecht zu gehen, um diese Welt zu erkennen. Inmitten dieser riesigen, undurchdringlichen Wälder, stand ein Tropenbaum. Der reckte seine Äste, Zweige und Blätter weit hinauf in den blauen Tropenhimmel. Jeden Mittag, wenn sich die Regenwolken am Firmament zusammenbrauten und ihre nasse Fracht entluden, versammelten sich die Tiere des Tropenwaldes unter dem Blätterdach des Tropenbaumes, wo sie Schutz und Geborgenheit fanden. Das ganze Jahr über trug der Tropenbaum reiche Frucht, und der Tisch war stets üppig gedeckt. Die Tiere litten keine Not, und als Dank für seine Großzügigkeit bauten die Vögel des Tropenwaldes ihre Nester in seine Zweige und sangen dem Tropenbaum den ganzen Tag wunderschöne Weisen. So hätte es alle Zeiten bleiben können, wenn nicht eines Tages während eines Sturmes eines dieser behaarten zweibeinigen Wesen von einem Ast des Tropenbaumes gefallen wäre. Da saß es nun, allein, verschreckt und voller Angst. In seiner Not wusste es nicht mehr ein noch aus und rannte wie von Sinnen um sein Leben. Überall stieß es mit dem Kopf an, und weil es zum Laufen noch seine Hände gebrauchte, blieb ihm diese Welt verschlossen. Erst erkundete es nur seine nächste Umgebung, doch dann drang es immer weiter vor in den Urwald und entfernte sich immer mehr vom Platz seiner Herkunft. Voller Zorn über die Hindernisse, die ihm von riesigen Bäumen, vom Wald und allen Pflanzen in den Weg gelegt wurden, verließ das behaarte Wesen nach langem Umherirren den Wald und kam an eine endlose, golden schimmernde Wiese. Dort stand das Gras so hoch, dass das haarige Wesen nur den Himmel sehen konnte, nichts sonst. Das machte es noch wütender und zorniger als zuvor, und der Hass auf seine Umgebung, den Wald und alles was es umgab, ließen es mit einem Ruck aus der Erde emporsteigen und sich aufrichten. Was für ein Bild bot sich dem neugierigen, durch die unbekannte Welt stampfenden Zweibeiner! Eine wunderschöne, unberührte und harmonische Welt, in die von einem zum anderen Augenblick die Angst, die Verfolgung, die Zerstörung und Vernichtung einzog. Weit breitete der behaarte Aufrechtgeher seine Arme aus, umschloss alles, was sich seinen Augen bot, um es unbarmherzig an sich zu ziehen und auszupressen. Tief in seinem Inneren glühte das Feuer des Hasses, und es erinnerte sich an seinen Sturz vom hohen Tropenbaum."

      Bonalibona schloss die Augen und wischte sich leicht mit der Hand über sein Gesicht. Der Schmerz der Erinnerung quälte den alten Zauberer, und aus den Tiefen einer längst vergangen geglaubten Vergangenheit stiegen die Geister der Erdmännchen empor, um für sich und die Menschen um Verzeihung zu bitten. Bonalibona atmete schwer, und der Blick seiner müden Augen lastete wie ein Gebirge auf den Herzen der Kinder.

      "Viele Jahre später kehrte das nun nicht mehr so stark behaarte, dafür um so bösartigere Wesen an jenen Ort zurück, den er dafür verantwortlich machte, dass er seine angestammte Heimat verlassen musste, um nach neuen Ufern Ausschau zu halten. Unablässig durchstreifte dieses Wesen mit vielen Gleichgesinnten den in seiner Farbenpracht und Lebensfülle pulsierenden Tropenwald. Ein Lärmen und Schreien erfüllte die Harmonie des Wachsens und Lebens, und von einem zum anderen Augenblick wehte der Atem des Todes über den ehemals paradiesischen Wäldern. Jahrelang wüteten das behaarte Wesen und seine Helfer, Generation auf Generation setzte das Werk der Vernichtung fort, immer größer und schrecklicher wurden die Wunden, welche die Zweibeiner dem herrlichen Wald schlugen. So weit das Auge reichte bedeckte nun nicht mehr endloses dichtes Grün die dampfende Erde, sondern die braune und verbrannte, zerwühlte und zerstampfte Haut des Tropenwaldbodens. Sie lag nackt und schutzlos in der sengenden Glut. Nur der große Tropenbaum stand als letzter Mahner, als Märtyrer und Ankläger inmitten trostloser Wüstenei. Gierig, mit triefenden Mäulern, näherten sich die kaum noch behaarten Wesen dem König aller Bäume, umkreisten eilfertig den gewaltigen Stamm des Tropenbaumes, der seit Jahrhunderten allen Gewalten trotzte, und jenes kaum noch behaarte Wesen, das vor Generationen aus dem Geäst des Tropenbaumes fiel, schlug voller Mordlust und in blindwütiger Wildheit seine kreischenden eisernen Zähne in den lebendigen Leib des alten Freundes. Erbarmungslos rissen die Zweibeiner große Stücke aus dem Stamm heraus, drückten, stießen und hebelten wie besessen, und dann ertönte ein Schreien, ein nicht enden wollender Schrei, grauenvoller und schmerzhafter als alle Schreie die jemals über diese Welt hallten, und dann begann sich der Tropenbaum zu neigen, erst langsam, dann schneller werdend, um dann mit mächtigem Splittern und Krachen zwischen die Baumruinen des toten Tropenwaldes zu stürzen. Die Zweibeiner tanzten und lachten, schüttelten sich die Hände und steckten sich bunte Papierstücke in ihre zweite Haut. Dann tranken sie aus durchsichtigen Behältern, denn die Sonne schien nun gnadenlos auf einen tropenwaldlosen Urwaldboden, und soweit der Blick reichte war nichts mehr zu erkennen, außer toten Bäumen und glühender nackter Erde. Den kaum noch behaarten Zweibeinern wurde es heißer und heißer, und der Durst stieg in ihre Kehlen und ließ sie verzweifeln, denn es gab keine Bäche, Teiche und Flüsse mehr, weil die brodelnde Sonne die schutzlose Welt austrocknete. Alle Tiere waren verschwunden, ausgerottet und von den Zweibeinern gefressen oder vernichtet worden. Es gab nicht ein einziges grünes Blatt mehr, kein fröhliches Lied erfüllte die heiße Luft, durch die der Pesthauch der Verwesung um die Welt geblasen wurde. Das Schreien und Toben der Zweibeiner hallte bei Tag und Nacht aus allen Winkeln und Verstecken hinaus, denn die Not und Verzweiflung wuchs mit jeder Stunde. Bald schon lagen überall tote Zweibeiner herum, ihre Leichen bedeckten das verwüstete Land, und der Gestank des Todes trieb die Überlebenden in Panik vor sich her. Hunger und Durst fraßen sich wie Hyänen in ihre Leiber ein, und bevor noch drei Sommer vergingen, fielen sie übereinander her. Der Kannibalismus feierte grauenvolle Auferstehung. Von den verkohlten Ästen des letzten Tropenbaumes brachen sich die letzten zweibeinigen Wesen splitternde Spitzen, um diese voller Hass und Raserei ihrem Nächsten in den Leib zu rammen. Als sich der Abend nieder senkte, glutrot, aufgeladen mit Verzweiflung, Ausweglosigkeit, Todessehnsucht, Qual und Leid, als sich der letzte Zweibeiner kraftlos und ausgezehrt gegen den zerfallenden Stamm des Tropenbaumes lehnte, als dieses zweibeinige Wesen mit großen leblosen Totenaugen in eine sterbende Welt blickte, als dieses zweibeinige Wesen die alleinige Einsamkeit des Todes in dieser Welt begriff, öffnete sich der verlederte Mund zu einem stummen Schrei abgrundtief seelischer Verlassenheit, und aus den staubverkrusteten Lidern glanzloser Augen perlten in silbernem Glanz die Tränen einer sehr weit entfernten Erinnerung, einer Erinnerung die soweit weg war und so entfernt, dass dieses zweibeinige Wesen nichts anderes mehr zu tun wusste, als den jämmerlichen Rest seines bedeutungslosen Lebens in den ausgedörrten staubigen Grund des einstigen Tropenwaldes rinnen zu lassen. Was sich dieses Wesen im Leben verwehrte, nämlich die Augen zu öffnen und zu sehen, das verwehrte ihm nun der Tod, der ihm die Augen zu schließen nicht gestattete sondern offen hielt, mit kalten knochigen Fingern aufriss, zu Schauen und zu Schaudern, mit Entsetzen und Grausen, der Tag und Nacht zu einem Bild verschmolz, zu einem apokalyptischen Ring, eingehüllt in feurige Bänder, die sich wie Derwische um jenes zweibeinige Wesen drehten, bis es endgültig zu Staub zerfiel und vom Wind des Vergessens in die Nacht geweht wurde."

      Bonalibona schlug sich beide Hände vor das Gesicht, und sein Körper schüttelte sich in Verzweiflung, denn der große Zauberer hatte die Zukunft gesehen, Bonalibona besaß das zweite Gesicht. Wie ein eisiger Hauch legten sich die Worte des Zauberers über die Kinder, die nun ganz dicht zusammengerückt auf dem Sofa saßen und kein Wort herausbrachten. Doch dann erhob Bonalibona sein Haupt, öffnete seine Augen, die voll Glanz und Licht erfüllt waren, und er setzte seine Erzählung fort, als wäre alles nur ein böser Traum gewesen.

      "Es war einmal ein Tropenbaum, meine lieben Freunde. Der lag verkohlt und zerschlagen auf dem verkrusteten Boden des einstigen Tropenwaldes. Um ihn herum schien alles tot und erstarrt. Aber unter seinem Stamm, tief im Boden des einstigen Tropenwaldes, bereitete sich das Leben auf einen Neubeginn vor. Es waren die Erdmännchen, die der zerstörten Welt neues Leben einhauchten. Die Erdmännchen sind die Seelen der Menschen, die dieser Welt Böses antaten und nun den angerichteten Schaden wiedergutmachen müssen. Damit man die Erdmännchen auf der ganzen Welt erkennen kann, wurde ihnen die Gestalt des Menschen verliehen, damit er sich immer an seine Unvollkommenheit erinnert. Sie sind dazu bestimmt in der Erde zu wohnen, solange es Menschen gibt, die dieser Welt Schaden zufügen. Sollte es irgendwann einmal keine Erdmännchen mehr geben, dann haben die Menschen das Paradies gefunden. Aber das wird wohl niemals geschehen, niemals. Zur Zeit wimmelt es auf der Welt von Erdmännchen,


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