Im goldenen Käfig. Aicha Laoula

Im goldenen Käfig - Aicha Laoula


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Schwein beschmutzt. Ich sagte nichts zu Bilal, aus Angst, er würde mir die Schuld geben. Von da an beschloss ich, ihn nicht mehr in diese Lokale zu begleiten, nur noch in die normalen Restaurants und nicht mehr bis spät in die Nacht. So ging er mit seinen Freunden aus, während ich oft mir selbst überlassen zu Hause blieb. Nicht alle Freunde von Bilal übertrieben den Konsum von Alkohol oder nahmen diese Substanzen, die ihre Persönlichkeit beeinflussten. In ihrer Gesellschaft fühlte ich mich gut. Ich entschied mich, an mein Baby zu denken, das bald zur Welt kommen sollte. Deswegen wollte ich mich nur mit Leuten abgeben, die ein etwas ruhigeres Leben führten. Dieser Entschluss führte dazu, dass ich Bilals Freunde zum Rauchen nach draußen schickte, was nicht allen gefiel. Zum Glück hatte Bilal verstanden, dass es um die Gesundheit unseres Kindes ging und so rauchte er nicht mehr im Haus oder später in Gegenwart unserer Kinder, sondern nur noch draußen oder auf dem Balkon. Von da an war der Trubel in unserem Haus deutlich weniger. Ich hatte begonnen, einen Platz in meinem Leben zu finden und entschied mehr und mehr, was für mich und für meinen Sohn, der bald geboren werden würde, richtig war und was nicht. Ich wünschte unseren Freunden nur das Beste, da sie eigentlich nette, liebenswerte und rücksichtsvolle Menschen waren, doch wir hatten einfach eine ganz andere Einstellung zum Leben. Im Laufe der Zeit, als ich die Freunde besser kennenlernte, verstand ich, dass sie viel Mitgefühl für die soziale Situation und die Lage in der Welt hatten. Sie waren gegen bestimmte politische Entscheidungen, gegen Waffen und Krieg, gegen die Industrialisierung, die Umweltverschmutzung verursachte, sie waren gegen Ungerechtigkeit und Armut, gegen den Stress, der in der Arbeitswelt herrschte und so weiter. Ich denke, um all die Ungerechtigkeit, die in der Welt herrscht und in der sie zu leben gezwungen waren, ertragen zu können, haben sie sich der hypnotisierenden Wirkung dieser Substanzen hingegeben. Doch ohne es zu merken, hat diese Wirkung den Zustand und die Qualität ihres Lebens weiter verschlechtert. Wenn man keinen klaren Kopf und keinen wachen Verstand mehr hat, kann man weder das eigene Leben meistern noch Besserung in der Welt erzielen. Vielleicht irre ich mich, aber so sehe ich das.

      Trotz der kleinen Schritte, die ich gemachte hatte, um meine Lebenssituation zu ändern und mich zu integrieren, fühlte ich mich nach wie vor in allem vom Bilal abhängig, sogar in Bezug darauf, wie ich mich kleiden sollte, wohin ich ging und was ich einkaufte. Bereits am Abend zuvor fragte ich immer, was ich am nächsten Tag einkaufen und kochen sollte. Wenn ich Kleidung kaufte, wählte ich nur die Farben aus, die ihm gefielen und am Ende hatte ich vor allem Klamotten in Beige oder Khaki, seine Lieblingsfarben, anstatt in den Farben Orange, Gelb, Grün und Braun, meine Lieblingsfarben. Ich fragte ihn bei allem um seine Meinung, da ich Angst hatte, einen Fehler zu machen. Ich glaubte immer noch, ich sei dumm und alle anderen wären besser als ich. Geistig war ich weiterhin in der der Rolle der Sklavin, in der mir immer andere Anordnungen gaben, was ich zu tun oder zu lassen hätte. Ohne es zu merken, sah ich Bilal als meinen Herrn an, der mir Befehle erteilte. Ihm hingegen gefiel es keineswegs, dass ich ihm bei jeder Kleinigkeit um Rat fragte. Er ließ mir meine Freiheit und ermutigte mich, meine Entscheidungen eigenständig zu treffen. Bis zu diesem Moment jedoch hatte ich noch niemals eine Entscheidung ganz auf mich allein gestellt getroffen und war noch niemals an einen Ort gegangen, ohne jemanden um Erlaubnis zu bitten. Im ersten Moment fühlte ich mich verloren, wie ein Fisch an Land. Ich musste mich an diese neue Situation gewöhnen, doch das war einfacher gesagt als getan. Ich musste schnell lernen, dass mir Bilal die Verantwortung für alles überließ, was mit unserem Zuhause zu tun hatte und, infolgedessen, auch die Erziehung unseres Sohnes. Ich erledigte alles so gut ich konnte.

      Carla und Pina kamen auch weiterhin vorbei. Neben Schreiben und Lesen hatten sie mir beigebracht zu nähen, zu häkeln und zu stricken. Tätigkeiten, von denen ich schon als kleines Kind geträumt hatte, doch als Sklavin hatte ich keine Möglichkeit gehabt, solche Fertigkeiten zu erlernen. Pina war von Beruf Schneiderin und zeigte mir, wie ich meine eigenen Kleidungsstücke nach Maß nähen konnte. Bald lernte ich, mir Kleider, Röcke, Jacken und Blusen zu nähen. Später nähte ich auch die Kleidung für die Kinder und lange Röcke, die ich meinen Schwestern und meiner Mutter nach Marokko schickte. Ich hatte mir eine günstige Nähmaschine gekauft, ein altes Modell, das man mit Fußpedalen betrieb. Ich kaufte Scheren, Stoff, Faden, Knöpfe, Reißverschlüsse und dann konnte es losgehen. Ich hatte solche Freude, wenn ich meine eigenen Kreationen zwischen meinen Händen entstehen ließ und ich sie auch tragen konnte. Pina kontrollierte, dass die Nähte gerade und sauber waren und ob der Stoff perfekt geschnitten war. Sie war sehr genau und alles musste perfekt sein. Ich gehorchte ihr und korrigierte die Fehler, die nicht akzeptabel waren. Carla hingegen war meine Lehrerin für das Häkeln und Stricken, aber auch für die mediterrane Küche. Endlich hatte ich genug zu tun und langweilte mich nicht mehr. Ich war begierig danach, Neues zu lernen und war wie ein Schwamm, der alles aufsaugte. Ich lernte soviel ich nur konnte und war diesen meinen Freunden und Gott so wahnsinnig dankbar dafür, dass ich jemanden hatte, der mich lehrte.

      Die Geburt

      Am 20. 9. 1984 gegen drei Uhr am Nachmittag verspürte ich Schmerzen im Unterleib, während Carla und Pina bei mir waren. Als ich es ihnen gesagt hatte, rieten sie mir, meinen Koffer zu packen, da vielleicht der Zeitpunkt der Geburt gekommen wäre. Ich packte meinen Koffer mit ihrer Hilfe, weil ich keine Ahnung hatte, was man in ein Krankenhaus mitnehmen sollte. Die Schmerzen waren nicht allzu stark und so wartete ich, bis Bilal nach Hause kam. Sobald er kam, stellte ich sein Essen auf den Tisch und setzte mich ihm gegenüber. »Isst du nichts? Was hast du, geht es dir nicht gut?« »Doch, doch, mir geht es gut, ich habe nur etwas Bauchschmerzen.« »Bauchschmerzen, sagst du?« Er sprang auf und rannte die Treppe hinunter. Zwei Minuten später kam er rufend zurück: »Komm runter, los, wir gehen! Tobias fährt uns mit seinem Auto!« Er nahm mich an der Hand und lief los. »Moment! Der Koffer!« Beim Anblick des Krankenhauses blieb ich staunend mit offenem Mund stehen. Ich hätte nicht gedacht, dass es solche Krankenhäuser gab. Alles war schön und neu und glänzte vor Sauberkeit und Ordnung. Ich war besonders von den bequemen Betten mit Decken und Kissen aus flauschigen Federn beeindruckt. Das Bett, das man durch einfaches Drücken auf einen Knopf bewegen konnte, faszinierte mich, man konnte es nach oben und unten fahren oder nach vorn oder hinten kippen. Nichtsdestotrotz hatte ich Angst und war starr vor Schreck. Niemand hatte mich auf die Geburt vorbereitet und ich hatte nicht die geringste Ahnung davon, was mich erwartete. Die Schmerzen wurden stärker und beinahe unerträglich. Ich hatte die Nacht mit Schmerzen verbracht, aber mein Baby kam nicht auf die Welt, es hatte den Kopf noch an meiner rechten Seite und sich noch nicht nach unten gedreht. Bilal war nach Hause gegangen, kam aber am Morgen mit einem Fotoapparat zurück und begann, mich in der Lage, in der ich mich befand, zu fotografieren. Am Mittag entschieden die Ärzte, Instrumente einzuführen, um meinen Uterus zu weiten, während zwei Frauen mir auf den Bauch drückten, um die Geburt einzuleiten, doch nichts geschah. Ich war noch verkrampfter als sowieso schon, da die Ärzte Männer waren, die ständig wiederkamen, um ihre Hände zwischen meine Beine zu legen und die Öffnung meiner Gebärmutter abzutasten. In der Zwischenzeit war Bilal für zwei Stunden verschwunden und kam anschließend torkelnd zurück. Er hatte zu viel Bier getrunken, vielleicht wusste er nicht, wie er mit seiner Freude als werdender Vater umgehen sollte. Als ich ihn so sah, verspürte ich Wut und fühlte mich von ihm im Stich gelassen. Er machte ein paar Bilder und verschwand erneut, und ließ mich in meiner Verzweiflung zurück. Ich verstand das Krankenhauspersonal nicht, das mir Fragen auf Deutsch stellte, noch konnte ich meine Bedürfnisse äußern, was meine Situation noch verschlimmerte. Wir versuchten uns mit Händen und Füßen zu verständigen und mit dem bisschen Italienisch, das einige sprachen. Die Pfleger und Ärzte streichelten meinen Kopf, um mich zu trösten und mir zu sagen, wie tapfer ich sei. Trotz der starken Schmerzen schrie ich nicht, nur die Tränen liefen mir lautlos über die Wangen. Ich sah zu dem großen Fenster hinaus, das auf eine grüne Wiese blickte und das das Sonnenlicht hereinließ, das den ganzen Raum erhellte. Um ein Uhr am Nachmittag beschlossen die Ärzte, einen Kaiserschnitt vorzunehmen. Es kam ein Arzt mit schwarzem Bart und mit einer Nadel in der Hand, die er langsam in meine Wirbelsäule einführte. Zu Beginn schmerzte dies sehr, doch dann spürte ich nichts mehr. Die Hälfte meines Körpers, ab dem Bauch abwärts, war wie tot. Sie wollten gerade den Schnitt setzen, als sich mein Baby wie durch ein Wunder in letzter Minute drehte und nun mit dem Kopf nach unten lag. Zwei Frauen drückten auf meinen Bauch und schließlich kam der Kleine ohne Kaiserschnitt auf die Welt. Bilal war glücklicherweise rechtzeitig zurückgekommen,


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