Im goldenen Käfig. Aicha Laoula
leben, in der Bilal geboren und aufgewachsen war. Sein Vater hatte beim Militär gearbeitet, in einer Position, durch die er viele Leute, auch unter den Franzosen, kannte, durch die er den Vorteil genoss, seinen Sohn an dieser Schule unterrichten zu lassen. Nachdem Bilal seine Grundausbildung an der französischen Schule beendet hatte, brach er die Schule ab und wurde zu Handwerkern geschickt, um dort verschiedenen Arbeiten zu erlernen. Mit viel Geschick stellte er Silberschmuck, Taschen und Gürtel aus Leder und Souvenirs aus Holz her. Er verkaufte diese Gegenstände an die Touristen und verdiente viel Geld. Außerdem arbeitete er als privater Fremdenführer und kochte für die Touristen, besonders für die Amerikaner, die ihn sehr gut bezahlten. Doch der größte Teil seines Lohns ging an seine Familie. Bilal war von klein auf die große Verantwortung übertragen worden, seine ganze Familie finanziell zu unterstützen, als Dank für das Opfer, das sein Vater gebracht hatte, indem er ihn an der französischen Schule, gegen Geld, hatte ausbilden lassen. Als Bilal 20 war, beantragte sein Vater einen Reisepass für ihn und schickte ihn nach Europa, mit der Absicht, dass er dort arbeiten und hohe Geldbeträge an seine Familie schicken sollte. Von da an arbeitete Bilal in verschiedenen europäischen Ländern und schickte seiner Familie regelmäßig Geld. Doch eigentlich träumte er davon, zusammen mit Lisa, die er in Marokko kennengelernt hatte, um die Welt zu reisen. Doch zuerst mussten sie mehr Geld für ihre Reisen sparen und so arbeiteten sie gemeinsam in der Schweiz. In der Zwischenzeit wurde sie jedoch schwanger, und sie mussten wegen des Kindes heiraten. Am Ende ließ sich Bilal in der Schweiz nieder und zwei Jahre später ließen sie sich scheiden, weil sie sich nicht mehr verstanden.
Nun, dieses Mal würde Bilal mit weniger Geld in der Tasche nach Marokko kommen und die ganze Familie würde mir dafür die Schuld geben. Sie hatten recht, aber ich musste an unsere Familie in der Schweiz denken, neben der schweren Last, die dies für Bilal darstellte. Leider hatte mich meine Schwiegermutter noch schlimmer im Visier als zuvor, und sie hatte einen weiteren Grund, mich loswerden zu wollen.
Bei unserer Ankunft war das Haus der Schwiegereltern voller Menschen. Die Schwägerinnen, die Schwager und alle Neffen und Nichten. Pünktlich wie jedes Jahr hatten sie sich versammelt und warteten auf Bilal und die Geschenke. Bilal wurde herzlich begrüßt, ich hingegen wurde überhaupt nicht herzlich aufgenommen. Nachdem wir einen Tee getrunken hatten, beauftragte mich Bilal damit, die Geschenke zu verteilen. Meine Schwiegermutter und ihre Töchter starrten mich voller Verachtung an, als ich ihnen die Geschenke überreichte. Keiner von ihnen sagte auch nur Danke. Sie wandten sich an Bilal und bedankten sich widerwillig bei ihm. Sie waren gedemütigt, weil üblicherweise Bilal die Verteilung der Geschenke übernommen hatte. Auch er bemerkte ihre unzufriedenen Gesichter. Mir ging es schlecht bei dem Gedanken, mein ganzes Geld für diese Geschenke ausgegeben zu haben. Wie naiv war ich gewesen zu glauben, dass sie mich so akzeptiert hätten. Sobald wir allein waren, sagte Bilal: »Solche Bastarde! Hast du gesehen, dass sie noch nicht einmal ein aufrichtiges Dankeschön für uns übrig hatten? Was haben sie denn noch erwartet?« Vor Enttäuschung fing ich an zu weinen. »Nächstes Mal bringen wir gar keine Geschenke mit, damit sie es lernen!«, sagte Bilal. Natürlich wäre das eine Belastung weniger für uns gewesen. Doch leider waren die Versprechungen von Bilal in dieser Hinsicht leer und wie Stroh im Wind, schnell weggeblasen. Immerhin sorgte die Reaktion seiner Familie mir gegenüber dafür, dass er wissen wollte, was im vergangenen Jahr passiert war, das ich bei ihnen verbracht hatte. Ich hielt dies nicht für den richtigen Zeitpunkt und beschloss, ihm alles zu erzählen, wenn wir zurück in der Schweiz waren, in Sicherheit vor meiner Schwiegermutter. Ein Jahr zuvor hatte sie mir geschworen, dass sie mich, wenn ich ihrem Sohn auch nur ein Wort davon erzählen würde, was ich in ihrem Haus erlebt und zu spüren bekommen hatte, vernichten würde. Ich wusste nicht, was genau sie damit meinte, aber eines war sicher: Sie war eine verrückte Frau und zu allem fähig. Ich wusste, dass Bilal seine Brüder und Schwestern geschlagen und mit seiner Mutter einen heftigen Streit begonnen hätte, wegen dem, was sie mir angetan hatten. Ich wusste jedoch auch, dass er es schnell bereut und sofort wieder Frieden mit ihnen geschlossen hätte. Ich vertraute niemanden, noch nicht einmal ihm.
Das Schlimmste allerdings für sie war, als sie erfuhren, dass mir Bilal in der Schweiz erlaubte, zu arbeiten und mein eigenes Geld zu verdienen, neben der Tatsache, dass ich in kürzester Zeit Lesen und Schreiben, Nähen und vieles mehr gelernt hatte. Bilal selbst erzählte es ihnen, da er sehr stolz auf mich war. Zur damaligen Zeit hörte man von Frauen, die mit ihren Ehemännern nach Europa gegangen waren, immer nur, dass sie dort so lebten, wie es in Marokko üblich war. Das heißt, diese Frauen, oder zumindest die meisten davon, erlangten niemals die Freiheit. Sie wurden innerhalb der vier Wände ihres Hauses eingesperrt und standen unter der Macht ihrer Ehemänner, von denen sie ihr Leben lang abhängig waren. Ich hingegen hatte mehr Freiheiten und so wurde ich von der Familie von Bilal beneidet, was dazu führte, dass sie mich noch mehr hassten als zuvor.
Leider wurde auch die kleine Miriam von der Familie ihres Vaters und vor allem von ihrer Großmutter gehasst. Sie hasste sie so, wie sie ihre Mutter Lisa gehasst hatte. Eines Tages saß ich auf dem Sofa im Esszimmer und stillte Youns. Meine Schwiegermutter setzte sich mir gegenüber und begann, Lisa auf Arabisch zu verfluchen, während sie Miriam voller Verachtung ansah: »Deine verdammte Mutter, die dich nicht meinem Sohn überlassen wollte! Wenn sie das gemacht hätte, wäre Bilal bald nach Marokko zurückgekehrt.« Sie holte tief Luft und fuhr fort: »Ich habe Bilal geraten, das Kind in meine Obhut zu geben, nur so wäre er in sein Land zurückgekommen. Und wegen diesem Bastard von Tochter muss er wer weiß wie lange noch so fern von uns leben. Und diese ungläubige Lisa. Nie werde ich vergessen, wie sie vor Jahren, als sie noch mit meinen Sohn verheiratet war, ihn davon abgehalten hat, mir ein Haus zu bauen. Aber hast du es gesehen? Sobald er geschieden war, hat er mir das Haus gebaut.« Miriam saß voller Angst neben mir. Zum Glück verstand sie kein Arabisch, allerdings wusste sie das hasserfüllte Gesicht ihrer Großmutter zu deuten. Meine Schwiegermutter hatte vor, Bilal davon zu überzeugen, das Kind der Mutter wegzunehmen und es zur Großmutter nach Marokko zu bringen. Der Grund dafür war, dass Bilal dann noch mehr Geld schicken würde, für den Unterhalt des Kindes. So wollte sich meine Schwiegermutter ihr monatliches Einkommen sichern. Glücklicherweise hatte Bilal keineswegs vor, Miriam von ihrer Mutter zu trennen. Ich sah meine Schwiegermutter an, äußerte meine Meinung zu dieser Angelegenheit jedoch nicht. Sie war zu dumm zu verstehen, dass in der Schweiz vor allem die Frauen die Verantwortung für die Kinder trugen. Auch hätte sie nicht geglaubt, dass Bilal nicht über so viel Geld verfügte, dass er einfach ein Haus bauen konnte. Sicher hatten er und Lisa dafür Schulden machen müssen. Nie hätte sie mir geglaubt, wenn ich ihr gesagt hätte, dass Bilal Schulden machen musste, um überhaupt an dieses ganze Geld zu kommen.
Es tat mir so leid zu sehen, wie die kleine Miriam in einer Sprache beschimpft wurde, die sie nicht verstand, als ob alles ihre Schuld wäre. Eines Morgens war meine Schwiegermutter damit beschäftigt, Brotteig zu kneten. Miriam wollte ein Stück vom Teig, um einen eigenen Laib Brot zu formen, wie es alle Kinder gern taten. Also fragte sie ihre Großmutter, ob sie ein Stück haben dürfe. Diese nahm ein Stück Teig und warf es auf den Boden, während sie auf Arabisch sagte: »Nimm, Tochter einer Ungläubigen.« Das Mädchen rannte hinter der Teigkugel her und hob sie weinend auf. »Warum ist die Großmutter immer böse mit mir, was habe ich denn falsch gemacht?«, fragte sie mich mit unschuldigem Blick. Ich schloss sie in den Arm, küsste ihre Stirn und antwortete: »Du hast gar nichts gemacht, Kleines. Sie ist wütend auf sich selbst, dich trifft keine Schuld.« Ich führte sie nach draußen, damit sie mit den Hundewelpen spielen konnte, um sich ein wenig abzulenken. Doch meiner Schwiegermutter gefiel auch nicht, dass ich so liebevoll mit dem Kind umging. Eines Tages befahl sie mir, meinen Koffer und meine Tasche vor ihr auszuleeren und ihr alles zu zeigen, was ich besaß. Ich hatte solche Angst vor ihr, dass ich gehorchte. Als sie die Zäpfchen sah, die ich dabei hatte, fragte sie mich, wozu diese gut seien. Ich antwortete, dass diese für Miriam wären, falls sie Fieber bekäme. Am nächsten Tag fand ich alle Zäpfchen durchstochen vor, ihr weißlicher Inhalt war ausgeleert. Erschrocken fragte ich meine Schwägerin Touria, wer etwas Derartiges getan haben könnte. Sie antwortete, es sei ihre Mutter gewesen. Sie hatte gesehen, wie sie sie angewärmt und aufgestochen hatte, um die Flüssigkeit auszuschütten. Ich war schockiert und hoffte nur, dass Miriam kein Fieber bekäme. Von da wurde mir klar, wie viel Hass in dieser Frau gegenüber ihrer Enkelin und Lisa und vor allem mir gegenüber steckte.
Ein paar Tage nach unserer