Forschungsmethoden in der Fremdsprachendidaktik. Группа авторов

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Zielsetzung wird auch als komplexes Forschungsdesign bezeichnet. In der qualitativen Forschungstradition gibt es im Rahmen bestimmter Forschungsansätze ebenfalls solche festgelegten Kombinationen, z.B. bei der Grounded Theory oder der Dokumentarischen Methode (s. Kap. 5.3.3 und 5.3.4).

      In diesem Kapitel werden vier Forschungsdesigns vorgestellt, die als komplexe, relativ fest gefügte Ensembles einen forschungsmethodologischen und forschungsmethodischen Rahmen für bestimmte Zielsetzungen und Absichten bieten, ohne sich eindeutig dem qualitativen oder quantitativen Paradigma zuzuordnen. Diese vier unterschiedlichen Designs stehen innerhalb der pädagogischen und fachdidaktischen Forschung für ganz unterschiedliche Absichten:

      1 FallstudieFallstudien verfolgen das Ziel, einzelne Personen, Gruppen oder Institutionen in ihrer Komplexität zu erfassen. Sie gehen davon aus, dass sich in diesen Einzelfällen allgemeinere Strukturen manifestieren.

      2 Das Forschungsprogramm Subjektive Theorien (FST)Forschungsprogramm Subjektive Theorien (FST) ist ein theoretischer und methodologischer Ansatz, mit dem individuelle Kognitionen und Argumentationen von Menschen erhoben, rekonstruiert und – in der weiten Fassung des Programms – an der Realität überprüft werden können.

      3 Die AktionsforschungAktionsforschung bietet Praktiker*innen ein zyklisches Verfahren, um alleine oder in Zusammenarbeit mit Kolleg*innen oder Forscher*innen ihren Unterricht systematisch zu erforschen und im Prozess der Erforschung zu verändern. Dabei stehen häufig unterrichtspraktische Fragen im Mittelpunkt.

      4 Educational Design Research (DR)Educational Design Research (DR), im deutschsprachingen Kontext häufig als Design-based-research bezeichnet, ist ein methodologischer Rahmen, der darauf ausgerichtet ist, Erkenntnisse in Hinblick auf Lehr- und Lernprozesse zu gewinnen und Unterricht zu innovieren. Im Fokus stehen einerseits die Qualitätssteigerung von Unterricht und das Verändern der Unterrichtspraxis durch die zyklische Entwicklung, Erprobung und Analyse von innovativen Verfahren, Materialien oder ganzen Lernumgebungen. Gleichzeitig verfolgt der DR-Ansatz immer auch die empirisch gestützte Entwicklung (lokaler) Theorien.

      In der forschungsmethodischen und -methodologischen Literatur gibt es weder einen festen Oberbegriff noch eine einheitliche Einordnung für diese Ansätze, man findet sie z.B. unter „styles of educational research“ (Cohen/Manion/Morrison 2011) oder unter research design issues“ (Nunan/Bailey 2009). Häufig werden sie mit „approach“ bzw. „research approach“ (Hitchcock/Hughes 1995; Heighman/Croker 2009; Nunan/Bailey 2009) bezeichnet. Unter ForschungsansatzForschungsansatz bzw. approach versteht Lamnek (2016: 285–286) eine vielschichtige methodische Vorgehensweise, die methodologisch zwischen einem Paradigma und einer konkreten Erhebungstechnik angesiedelt ist. Der hier gewählte Begriff „Forschungsdesign“ soll die Gesamtheit und das funktionale Zusammenspiel der für die Erreichung des Forschungsziels notwendigen Einzelelemente betonen; der Begriff „prototypisch“ wurde deswegen gewählt, weil die Designs wesentliche Ziele pädagogischen bzw. fachdidaktischen Forschens verfolgen und beispielhaft in einem Forschungsdesign umsetzen. Daher ist mit diesem Kapitel auch keinesfalls eine vollständige Darstellung solcher „besondere[r] Forschungsansätze“ (Feldmeier 2014: 255) beabsichtigt. Vielmehr soll an vier in der fremdsprachendidaktischen Forschung häufig verwendeten Forschungsdesigns auf diese methodologische Besonderheit aufmerksam gemacht werden.

      4.2.1 Fallstudie

      Fallstudien (engl. case studies) stehen in der Tradition enthnografischer Forschungsansätze. Während sie in den deutschsprachigen Erziehungswissenschaften bishlang eher ein „Mauerblümchendasein“ fristen (Lamnek 2016: 285), kommt ihnen in den Untersuchungen zum Erst- und Zweitsprachenerwerb sowie in der englischsprachigigen erziehungswissenschaftlichen Forschung seit den 1970er Jahren eine große Bedeutung zu.

      Bislang gibt es keinen einheitlichen Begriffsgebrauch (Fatke 2013: 161, vgl. auch die Zusammenstellung unterschiedlicher Definitionen in Nunan/Bailey 2009: 161). Zentrales Merkmal ist die Konzentration auf einzelne Einheiten wie Menschen, Gruppen oder Organisationen, d. h. Individuen in einem sozialwissenschaftlichen Sinn (Lamnek 2016: 287).

      Innerhalb des quantitativen Forschungsparadigmas können Fallstudien vor oder nach einer quantitativ orientierten Studie zur Exploration, zur Entwicklung von Hypothesen, zur Operationalisierung sowie zur Illustration oder zur Überprüfung der Praktikabilität ihrer Ergebnisse eingesetzt werden (Lamnek 2016: 289–297).

      Als eigenständige Forschungsmethode ist das Haupteinsatzgebiet von Fallstudien jedoch die qualitative, d. h. explorativ-interpretative Forschung (s. Kap. 3.3). Man geht davon aus, dass sich in Einzelfällen über das ihnen Spezifische hinaus generellere Strukturen manifestieren, so dass sich „[a]us dem Besonderen eines Einzelfalls […] stets noch anderes von allgemeiner Relevanz ableiten [lässt], als nur das, was dem Theoretiker in seinen kategorialen Blick gelangt“ (Fatke 2013: 167). Als Vorteile gelten insbesondere der hohe Grad an Vollständigkeit und die Tiefe der Analyse, die Integration vielfältiger Sichtweisen und Interpretationen sowie die Möglichkeit, dass die Leser*innen im dargestellten Fall ihre Wirklichkeit wiedererkennen und daraus Erkenntnisse gewinnen können (vgl. Nunan/Bailey 2009: 166–167). Wichtig ist daher eine vielschichtige, offene Herangehensweise, wobei die Methodentriangulation zugleich eine relative Gewähr bietet, Methodenfehler vergleichend zu erkennen bzw. zu vermeiden (vgl. Lamnek 2016: 286). Grundlage der Forschung ist die gezielte Auswahl des Falls bzw. der Fälle (typische Fälle vs. gezielt abweichende oder extreme Fälle, vgl. auch Kap. 4.3). In Studien mit mehreren Fällen folgt der individuellen Auswertung häufig ein FallvergleichFallvergleich mit dem Ziel der Erfassung der überindividuellen Phänomene sowie einer Typisierung (vgl. Lamnek 2016: 304, zur Typenbildung vgl. auch Kap. 5.3.6).

      Fallstudien in der Fremdsprachendidaktik

      Auch in der deutschsprachigen Fremdsprachendidaktik erfreut sich der Einsatz von Fallstudien großer Beliebtheit. Neben den vielen Studien zum Zweit- und Fremdsprachenerwerb existiert eine Fülle von kleineren und größeren Untersuchungen, die 2021 in der Datenbank des ifs (Informationszentrum Fremdsprachenforschung) als „Fallstudie“ klassifiziert wurden. Diese Beliebtheit dürfte nicht nur daran liegen, dass dieses Design eine Möglichkeit darstellt, der Faktorenkomplexion des Lehrens und Lernens von Sprachen gerecht zu werden, sondern vor allem daran, dass „die Einzelfallstudie als elementarer Baustein jeder qualitativen Studie anzusehen ist, denn eine qualitative Befragung von dreißig Personen etwa besteht aus dreißig Einzelfallstudien, die sich der gleichen Erhebungstechnik bedienen und analytisch miteinander verbunden sind“ (Lamnek 2016: 298). Häufig werden auch einzelne Fälle aus einer umfangreicheren (Interview-)Studie vorab veröffentlicht.

      Für die Auswahl der Beispiel aus der Fremdsprachendidaktik wurde ein engeres Verständnis von Fallstudie zugrunde gelegt: Kriterium ist die mehrmethodische Untersuchung unterschiedlicher Konstituenten eines oder mehrerer komplexer Fälle. Beispiele hierfür sind u.a. die Studien von Biebricher (2008, Referenzarbeit, s. Kap. 7), Freitag-Hild (2010), Gießler (2018), Grünewald (2006), Kocher (2019), Peuschel (2012), Prokopowicz (2017), Rauschert (2014), Schubert (2013) und Steininger (2014).

      Grünewald (2006) konzipiert seine Untersuchung zur subjektiv wahrgenommenen Wirkung verschiedener Computeranwendungen im Anfangsunterricht Spanisch aufgrund der zugrunde gelegten konstruktivistischen Auffassung von Fremdsprachenlernen (ebd.: 21–53) als Fallstudie. Um den Motivationsverlauf und den selbst eingeschätzten Lernfortschritt von Schüler*innen aus drei neunten Klassen (n=60) zu erheben, verwendet er unterschiedliche Instrumente: Eingangsfragebogen, strukturiertes Lerntagebuch mit Motivationskurven, Abschlussfragebogen und Leitfadeninterviews mit 15 ausgewählten Schüler*innen. Grünewald versteht die Falldarstellung als „Methode“, die bereits mit der Datenaufbereitung und der Fallanalyse beginnt (vgl. ebd.: 167–168). Daher verfolgt die Auswertung der Daten mit Hilfe des Transkriptionsprogramms MAXQDA das Ziel, jeden einzelnen Fall möglichst individuell zu erfassen. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, wurden die Kategorien aus dem Material entwickelt und es wurden zu jedem bzw. jeder Lerner*in zusätzlich zu den Daten aus den Interviews die Daten aus den anderen Untersuchungsinstrumenten mit kodiert. Ausgewählt wurden schließlich sechs Fälle (zu den Auswahlkriterien vgl. ebd.: 151–152),


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