Forschungsmethoden in der Fremdsprachendidaktik. Группа авторов
„zusammenfassenden Thesen“ dargestellten Ergebnisse beruhen ausschließlich auf diesen sechs Fällen. In der abschließenden Reflexion kommt Grünewald zu dem Schluss „dass methodisch kontrollierte Einzelfalldarstellung[en] mehr können, als Theorien zu veranschaulichen oder zu überprüfen. Sie können auch mehr als nur Hypothesen für weitere […] Forschung generieren: Sie tragen zur Gewinnung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse und damit letztendlich zur Theoriebildung bei“ (ebd.: 316).
Die Studie von Rauschert (2014) ist ein Beispiel für ein Forschungsdesign, das Fallstudie und Aktionsforschung (s. Abschnitt 3) miteinander verknüpft. Ausgehend von dem zuvor nur in der Pädagogik bekannten Unterrichtsansatz des Service Learning setzt sich die Arbeit mit der Frage auseinander, wie im Englischunterricht in der gymnasialen Mittelstufe durch Projektarbeit, die fachspezifische Ziele und Inhalte mit sozialem Engagement verbindet, interkulturelle und kommunikative Kompetenzen gefördert werden können. Auf der Basis von Byrams Modell der interkulturellen kommunikativen Kompetenz (Byram 1997) und dem Leitgedanken des Service Learning gestaltet die Verfasserin ein Projekt in einer 10. Klasse, in dessen Rahmen die Schüler*innen in Zusammenarbeit mit indischen Schüler*innen ein Magazin zum Thema „Happiness in India and Germany“ erarbeiten und produzieren, dessen Erlös einer indischen Schule zugute kommt.
In dieser Studie stellt die deutsch-indische Projektgruppe den Einzelfall dar, der in den einzelnen Projektphasen mit unterschiedlichen Formen der Datenerhebung untersucht wird: erstens ein Fragebogen im Pretest-Posttest-Format zur Feststellung interkultureller Fähigkeiten, Kenntnisse sowie Einstellungen, zweitens drei Tests zur Feststellung der Interpretationsfähigkeit der deutschen Schüler*innen anhand von Videointerviews, drittens eine (simulierte) Pressekonferenz, viertens eine freie Textproduktion (Portfolio) und schließlich eine schriftliche Abschlussbefragung ein Jahr nach dem Projekt. Alle Formen der Datenerhebung werden im Hinblick auf die Gütekriterien empirischer Forschung genau analysiert. Der eingesetzte Fragebogen wurde sowohl mit einer großen Stichprobe pilotiert als auch einem Expertenrating unterworfen. Dadurch konnte das Projekt in seinen unterschiedlichen Zielsetzungen mit quantitativen und qualitativen Forschungsverfahren untersucht werden, wobei ein vielschichtiges Bild des Projektes und der an ihm Beteiligten entsteht, das an eine dichte Beschreibung im Sinne Geertz‘ (1987) erinnert.
Rauschert diskutiert den action research cycle anhand ihres eigenen Projekts (Rauschert 2014: 161–166). Dabei reflektiert sie ihre Rollen als Forscherin und Lehrerin und setzt sich mit kritischen Einschätzungen dieses Forschungsansatzes auseinander. Somit wird deutlich, dass die Wahl des forscherischen Vorgehens getragen ist von genauer Kenntnis des Ansatzes in seinen Schwächen und Stärken, von nachvollziehbaren Überlegungen zur Passung von Forschungsthema, Fragestellungen und Methode und von (selbst-)kritischer Reflexion der eigenen Rollen.
4.2.2 Forschungsprogramm Subjektive Theorien (FST)
Das zentrale Ziel qualitativer Forschung ist die Erhebung der Innen-Innensicht bzw. BinnensichtBinnensicht der Forschungspartner*innen. Dazu gibt es eine Reihe von Konzepten und Zugängen, z.B. die Erforschung von Einstellungen (attitudes), Überzeugungen (beliefs), Wissen (knowledge) oder persönlichen Konstrukten (personal constructs) bzw. Konzepten (conceptions). In der deutschsprachigen fremdsprachendidaktischen Forschung wurde der vergleichsweise weit gefasste integrative Ansatz der subjektiven Theorien besonders populär.
Hauptvertreterin dieses Ansatzes im deutschsprachigen Raum ist eine Gruppe um Norbert Groeben, die in den 1970er und 80er Jahren das Forschungsprogramm Subjektive Theorien (FST) (Groeben et al. 1988, s. im Folgenden auch Scheele/Groeben 1998) entwickelte. Dieses theoretisch und methodisch ausgereifte, anspruchsvolle Modell geht von der sog. „Strukturparallelität“ des Denkens aus, d. h. davon, dass Forscher*innen und Forschungspartner*innen prinzipiell die gleichen Denkstrukturen und -prozesse verwenden, die zum Aufbau von Subjektiven Theorien führen. Damit werden relativ stabile Denkinhalte und -strukturen bezeichnet, die sich auf die eigene Person, auf andere Personen und die übrige Welt beziehen können. Sie können sowohl aus bewussten wie auch aus impliziten, dem Bewusstsein der Personen nicht zugänglichen Kognitionen bestehen und weisen eine zumindest implizite Argumentationsstruktur auf. In Analogie zu wissenschaftlichen Theorien dienen sie u.a. dazu, Situationen zu definieren, Sachverhalte zu erklären, Vorhersagen zu treffen oder Handlungsentwürfe und -empfehlungen zu konstruieren. Im FST wird Subjektiven Theorien zudem eine zumindest potenziell handlungsleitende Funktion zugeschrieben. In der sog. „engen Begriffsexplikation“ werden zwei weitere Anforderungen an Subjektive Theorien gestellt: Sie müssen im „Dialog-Konsens“ zwischen Forscher*in und Forschungspartner*in rekonstruierbar sein, d. h. es soll durch eine nachträgliche kommunikative Validierung sichergestellt werden, dass die erhobene Subjektive Theorie adäquat verstanden und rekonstruiert worden ist. Zudem soll durch eine „explanative“ oder Handlungsvalidierung festgestellt werden, ob die rekonstruierte subjektive Theorie auch tatsächlich handlungsleitend und damit als sog. objektive Theorie gültig ist. In dieser weiten Explikation vermag das FST zur „Überwindung des unfruchtbaren Gegensatzes von sog. qualitativer und quantitativer Forschung beizutragen“ (Grotjahn 1998: 34).
Das FST in der Fremdsprachendidaktik
Das FST stellt die Grundlage zahlreicher Studien zur Erhebung der Binnensicht von Lerner*innen und Lehrer*innen dar. Die Feststellung von Schart (2001: 56), dass man „zumindest im deutschen Sprachraum nicht umhin [komme], den eigenen Ansatz [dazu] in Bezug […] zu setzen“ gilt bis heute. Dabei legen nur wenige Arbeiten die enge Begriffsexplikation zugrunde (u.a. Lochtman 2002, Richert 2009). Wesentlich häufiger wird auf die weite Explikation rekurriert (u.a. von Hochstetter 2011, Referenzarbeit, s. Kap. 7; Martinez 2008; Schart 2003), nicht selten zuzüglich der kommunikativen Validierung (u.a. Berndt 2003; Kallenbach 1996; Morkötter 2005; Strohn 2015; Viebrock 2007). Zwar beklagt Grotjahn (1998: 34), dass das FST „häufig in einer sehr vagen und allgemeinen Bedeutung sowie ohne hinreichende theoretische Verankerung verwendet wird“; trotzdem kam und kommt dem FST vor allem als Prototyp in dem Sinne, dass von Forscher*innen in Auseinandersetzung mit dem FST eine individuelle, gegenstandsbezogene Forschungsmethodik für die eigene Forschungsfrage entwickelt wird, eine hohe Bedeutung für die forschungsmethodologische Diskussion innerhalb der Fremdsprachendidaktik zu.
Als Anwendungsbeispiel wird im Folgenden die eng an die Methodik des FST angelehnte, häufig zitierte Arbeit von Kallenbach (1996) skizziert. Sie untersucht die individuellen Vorstellungen von fortgeschrittenen Fremdsprachenlerner*innen. Um diese subjektiven Theorien mittlerer Reichweite zu erheben, führte die Forscherin halbstrukturiert-leitfadenorientierte Interviews mit insgesamt 14 Schüler*innen aus verschiedenen 12. Klassen, die seit einem guten Jahr zusätzlich Spanisch lernten. Aus den Interviews erstellte sie eine erste Rekonstruktion der individuellen subjektiven Theorien. Diese wurden anschließend mit Hilfe der Heidelberger Strukturlege-TechnikHeidelberger Strukturlege-Technik kommunikativ validiert. Dazu erstellten die Schüler*innen aus den von der Verfasserin ausgewählten und auf Kärtchen notierten zentralen Begriffen aus den Interviews mit Hilfe von zehn Relationskärtchen (z.B. Wechselwirkung, Folge/Konsequenz, Ober-/Unterbegriff oder Beispiel) ein Strukturbild, das ihre subjektive Theorie möglichst genau wiedergab. Die Strukturbilder boten einen Anlass, im Gespräch bestimmte Aspekte erneut zu thematisieren; außerdem wurden sie später den in den Interviews entwickelten Argumentationen gegenübergestellt, so dass sich Hinweise auf die Konsistenz der erhobenen Theorien ergaben. Zusätzlich füllten die Schüler*innen zwischen Interview und kommunikativer Validierung einen fünfseitigen Fragebogen mit Fragen zu ihrem Fremdsprachenlernen aus, den die Verfasserin punktuell als Zusatzinformation heranzog. Fünf der subjektiven Theorien werden als einzelne Fälle dargestellt, zusätzlich werden die zentralen, von allen Gesprächspartner*innen thematisierten Aspekte des Fremdsprachenlernens interviewübergreifend zusammengestellt.
4.2.3 Aktionsforschung
Mit der 1990 erschienenen Erstauflauge des Werks Lehrer erforschen ihren Unterricht (Altrichter/Posch 1990) etablierte sich die Aktionsforschung (action research) oder HandlungsforschungHandlungsforschung bzw. die häufig als Synonyme verwendeten, eng damit verbundenen Konzepte der Praxisforschung und teacher research auch im deutschsprachigen