Outback Todesriff. Manuela Martini
Sie mal ehrlich, halten Sie das für Kunst?“, wollte Paddy wissen. Shane ersparte sich eine Antwort. „Wo kann er sein?“, fragte er stattdessen.
„Überall. Walkabout.“
Plötzlich stand er im Raum. Groß und schwarz und ernst. Das Gesicht so fleischig und rund wie das von Paddy. Er blickte die beiden Männer an.
„Moodroo Graham?“, fragte Shane und klappte seinen Ausweis auf und zu. „Detective Shane O’Connor. Ich hab Ihnen ein paar Fragen zu stellen.“
Der massige Schwarze beobachtete Shane mit glasigen Augen. Er hatte sich noch nicht von der Stelle gerührt. Shane roch seine Bierfahne.
„Mann, richtig gemütlich hast du’s hier“, meinte Paddy und wandte sich an Shane. „Ich sag Ihnen doch, die lassen alles verkommen.“
Shane hätte Paddy am liebsten vor die Tür gesetzt. Langsam, wie ein alter Elefant schlurfte Moodroo in Gummilatschen zur Küchentheke, bückte sich, tauchte mit einer Dose VB wieder auf und ließ sich in den Ohrensessel fallen. Shane sah zu, wie Moodroo den herausquellenden Schaum abschlurfte. Paddy baute sich vor Moodroo auf.
„Der Officer da ist von der Mordkommission!“
Moodroo wischte sich den Schaum von den Lippen und sah Shane gelangweilt an. Shane setzte sich in den zweiten zerfledderten Sessel.
„Okay, Mister Graham: Betty Williams war ihre Schwester?“ Moodroo blickte auf den Boden. „Kannten Sie Frank Copeland?“ Moodroo antwortete noch immer nicht.
„Hör zu, wir sind von der Polizei, und der hast du gefälligst zu antworten!“, brüllte Paddy.
Moodroo öffnete halb die Augen und gähnte. Shane schüttelte den Kopf. Er hätte ohne Paddy herkommen sollen.
„He, wir bringen den schon zum Sprechen!“ Paddy wollte Moodroo am T-Shirt packen.
„Lassen Sie ihn!“, herrschte Shane ihn an. Paddy zog lautstark die Nase hoch und wich wütend zurück. Moodroo sah müde auf.
„Mr. Graham...“, sagte Shane ruhig. „Wenn Sie uns nicht antworten, müssen wir Sie im Büro befragen. Und das ist Ihnen doch sicher nicht so angenehm wie hier, habe ich recht?“
Moodroo reagierte nicht mehr. Es hatte keinen Zweck. Und es würde auch keinen Zweck haben, ihn aufs Polizeirevier mitzunehmen. Moodroo verdrehte die Augen, die Augenlider klappten zu, und er begann zu schnarchen. Paddy wollte gerade ansetzen, ihn an den Schultern packen und wachrütteln.
„Nein, lassen Sie ihn. Er wird uns jetzt sowieso nicht mehr antworten.“
„Das ist doch sowieso alles keinen Penny wert!“, murrte Paddy, „reine Zeitverschwendung, wie ich gesagt habe.“
Als er sich ins Auto plumpsen ließ, fügte er hinzu: „Die stellen einfach ihre Lauscher auf Durchzug! Die kümmern sich einen Scheißdreck um uns! Nur wir müssen immer nett und freundlich sein! Ich komm deswegen zu spät zu meiner Rundfahrt!“
Zurück im Büro telefonierte Shane mit den Kollegen in Charleville. Was an dem Gerücht dran war, dass Frank Copeland mit einer anderen Frau weggegangen war und Betty sich deshalb umgebracht hatte, konnte niemand sagen. Es blieb ein Gerücht. Tatsache blieb lediglich, dass sich diese Frau bisher weder gemeldet hatte noch irgendein Hinweis auf sie eingegangen war.
Hatte denn noch niemand diese Galeristin besucht, die Copeland den Vorschuss für das Buch über Betty Williams gezahlt und ihn dann angezeigt hatte, als er angeblich mit dieser geheimnisvollen anderen Frau verschwunden war? Shane rief Marlowe an. „Oh, Shane, hör zu, wir sind hier wegen dieses Frauenmörders verdammt unter Druck. Die Presse macht uns gerade ziemlich fertig. Der Commissioner meint, du solltest, rüberkommen und die Sache selbst übernehmen, falls du in diesem Coocooloora mal abkömmlich bist.“
Shane unterdrückte eine beißende Bemerkung und meinte bloß: „Scheint ja wirklich viel los zu sein bei euch.“
Er flog am Samstagmittag von Charleville ab. Seine Gedanken kreisten immer wieder um die letzten Minuten vor dem Abflug. Webster hatte ihn nach Charleville gefahren. Beiläufig hatte Shane gefragt, ob er Copeland gekannt habe.
„Er kam mal zu uns mit ´ner Platzwunde überm Auge. Wollte Anzeige erstatten wegen Körperverletzung“, hatte Webster geantwortet.
„Gegen wen?“, hatte Shane gefragt.
„Gegen John Morgan.“
„Frank Copeland wollte Morgan anzeigen? Warum hat Paddy davon nichts erwähnt?“
Webster war errötet. „Paddy hat ihm abgeraten, hat ihm gesagt, Morgan hätte sich auch schon über ihn beschwert. Und wenn er Morgan anzeigen würde, würde auch Morgan Anzeige erstatten. Da ist Copeland gegangen.“
Am liebsten wäre Shane gleich umgekehrt und hätte John Morgan auf den Zahn gefühlt. Warum musste er auch ausgerechnet jetzt nach Brisbane fliegen?
In Brisbane nahm Shane ein Taxi in die Stadt, ließ das Seitenfenster herunter und sog die von Abgasen und Gummigeruch geschwängerte Luft bis in die kleinsten Lungenbläschen. Genau das hatte er vermisst: Stadtlärm, Stadtgestank, Stau, rote Ampeln, Hochhäuser, Radfahrer, Jogger und Brücken mit Stahlträgern. Auf der dreispurigen Straße bremste sie ein Bus aus und der Taxifahrer knirschte mit den Zähnen. Geschäfte, Bars, Cafes glitten vorbei, und Shane empfand im Bauch ein warmes Kribbeln.
Die Tür der Frameless Work Gallery stand offen. Propeller metallisch blitzender Ventilatoren ließen an die Wand geheftete Flugblätter und Broschüren flattern wie Blätter in einem aufkommenden Sturm.
Shane betrat den großen Raum, an dessen hohen Backsteinmauern großformatige Bilder hingen. Bilder mit Punkten, Kreisen, Bögen und Linien, erdfarben, manchmal schreiend bunt.
„Detective?“ Sie musste Mitte vierzig sein und lächelte ihn aus grünen Augen an. Ihre Lippen, schmal und blass, blieben eher unbedeutend. Doch die beiden tiefen, sichelförmigen Falten neben den Mundwinkeln verhinderten, dass man sie unterschätzte. Sie trug einen teuren grauen Hosenanzug, hatte einen modernen Kurzhaarschnitt und vermittelte mit jeder Faser ihres Wesens sowie ihrer Garderobe, dass sie hundertprozentig zu unterscheiden wusste, welche Kunst ihr Geld wert war und welche nicht.
„Lorraine.“ Sie reichte ihm die Hand, streckte dabei ihren Arm weit aus und hielt ihn auf Distanz.
„Ist das alles Aborigine-Kunst?“, fragte er. Sie lächelte nachsichtig. Sie ist arrogant, dachte er, kein Zweifel.
„Nein. Wir möchten von diesem Begriff wegkommen, mit dem man bald doch nur noch drittklassige Bilder in Touristenzentren meint.“ Sie strich sich mit einer grazilen Bewegung eine Strähne hinters Ohr.
„Viele Aborigines haben zweifellos ein besonders Talent, mit Farben und Formen umzugehen.“ Sie ließ ihren Blick durch den hohen Raum schweifen, der etwas von einem Tempel hatte. Ein Ausdruck von Besitzerstolz war nicht zu übersehen. Eine Spur von Gönnerhaftigkeit auch nicht.
„Nehmen wir zum Beispiel Emily Kame Kngwarreye, die alte Dame, die niemals in ihrem Leben ein Kunstmuseum betreten hat. Ihre Bilder können Sie problemlos neben andere moderne Bilder von akademisch gebildeten Künstlern stellen.“
Ihre grünen Augen wurden ein wenig wässrig, stellte er fest, sie schien sich in höhere Sphären hinaufzuschwingen.
„Aber das Problem ist der Markt. Das Verhältnis von Angebot und Nachfrage. Wenn Bilder inflationär angeboten werden, sinkt der Preis. Clifford Possum zum Beispiel verkauft seine Bilder, egal an wen, weil er immer Geld braucht. Weil er seine Leute unterstützt. Am Ende bleibt kaum noch etwas für ihn. Dann muss er schleunigst das nächste Bild malen.“
Lorraine seufzte, sie schien die Last des gesamten Kunstmarkts auf ihren Schultern zu tragen. „Gute Bilder werden kopiert und kopiert und auf T-Shirts gedruckt. Schicken Sie ein Foto eines Bildes nach China, und Sie bekommen zig Kopien für ein paar Dollars.“ Resigniert fügte sie hinzu: „Man hat zu viele Aborigenes ermutigt, zu malen, um Geld zu verdienen.“