Schule – quo vadis?. Peter Maier

Schule – quo vadis? - Peter Maier


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Evaluation durchaus „gemessen“ werden kann, schafft jedoch noch keine gute Schule, sie kann höchstens für bessere Rahmenbedingungen sorgen, unter denen dann anregender Unterricht stattfinden kann. Diese Tatsache muss immer bewusst bleiben, wenn eine Schule einer externen Evaluation unterzogen wird.

      Nun soll im nächsten Punkt noch auf die Situation der Schüler näher eingegangen werden. Dabei ist mir klar, dass ich als Lehrer natürlich parteiisch bin. Dennoch hoffe ich, auch einigen Stimmen von Schülern Raum geben zu können; oder andere zu hören, die an den Schülern nah dran sind.

      All die Reformanstrengungen, die seit dem Pisa-Schock in den einzelnen Bundesländern gemacht wurden, gingen fast ausschließlich von oben aus, das heißt von den Kultusbehörden. Die eigentlich Betroffenen wurden oft gar nicht dazu gehört: die (meist verbeamteten) Lehrer und die Schüler. Diese beiden Gruppen müssen das annehmen, umsetzen, hinnehmen oder sogar ausbaden, was eifrige Reformer von oben her inszeniert haben und weiterhin inszenieren. Geht eine Reform dann schief, wird argumentiert, dass man es immerhin probiert habe. Sowohl geglückte als auch missglückte Reformversuche werden aber auf dem Rücken von Lehrern und vor allem Schülern ausgetragen.

      In der ganzen Bildungsdiskussion, die seit dem Pisa-Schock tobt, kommen viele Experten oder die, die sich dafür halten, zu Wort. Selten hört man jedoch auf die Betroffenen selbst. Nur wenige Lehrer haben den Mut, etwa über ein Buch zur Diskussion beizutragen – immerhin als Experten für Pädagogik in der Praxis. Dieses Buch möchte daher solch eine Lehrerstimme in der gegenwärtigen Bildungsdiskussion sein. Was aber ist mit den Schülern? Gibt es überhaupt Plattformen, auf denen diese Hauptbetroffenen zu Wort kommen können? Werden Schüler gefragt, welche Schule sie sich denn wünschen würden, wenn sie entscheiden könnten?

      Schülerkongress „Basis 15“

      Genau in diese Richtung geht auch folgender Zeitungsartikel, der den Schülern eine Stimme geben will: „Alle reden immer über uns. Aber niemand fragt uns.“26 Hierbei geht es um die bayerische Landesschülervereinigung, die Anfang März 2015 in Nürnberg das Schüler-Symposium „Basis 15“ für mehr Mitsprache organisiert hat. Dazu haben sich 400 Schüler aus ganz Bayern getroffen. Der einhellige Wunsch: Schule soll demokratischer werden. Die Vorsitzende ist Luka Fischer, 17, Schülersprecherin am Gymnasium Tutzing. Sie erläutert in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung kurz vor Kongressbeginn die wichtigsten Anliegen ihrer Schüler-Organisation.

      Bei den Streitthemen G 8/G 9 oder der Gemeinschaftsschule sollen die Schüler mehr mitbestimmen können: „Alle reden immer über uns, das Kultusministerium, die Eltern und die Lehrer auch. Aber niemand fragt uns oder spricht mit uns. Dabei können wir Schüler doch am besten sagen, was uns fehlt, was wir brauchen, womit es uns gut geht, womit nicht.“27

      Luka Fischer beklagt, dass im gegenwärtigen Schulsystem zu wenig Zeit bestünde, echtes Wissen zu vertiefen. Damit schlägt sie indirekt in die gleiche Kerbe wie der Kulturkritiker Liessmann, der durch die Kompetenzorientierung der Lehrpläne echte Bildung und echte Wissensvermittlung verschwinden sieht. Auf die Frage, was die ideale Schulform für sie wäre, antwortet die Schülersprecherin: „Eine Schule für alle, die viele Möglichkeiten bietet, damit jeder seine Stärken entwickeln kann. Die den Schülern Zeit gibt, herauszufinden, wo ihre Stärken liegen. Lernen sollte aktiver vom Schüler ausgehen. Uns wird der Stoff vor allem vorgesetzt, wir haben keine Zeit, uns Wissen in den Gebieten zu erarbeiten, die uns interessieren. Es gilt immer nur die nächste Prüfung. Bulimielernen eben.“28

      Besonders bemerkenswert finde ich, was Luka Fischer zum Thema „Demokratische Schule“ vorbringt – das Hauptanliegen des Symposiums „Basis 15“: „Wir wollen, dass die Schule demokratischer wird … Wir möchten, dass auch das staatliche Schulsystem ein bisschen mehr in die demokratische Richtung geht und nicht alles so strikt ist. Der Grundgedanke unserer Schulpflicht ist Chancengleichheit, die als Grundstein der Demokratie gilt. In unserem jetzigen Schulsystem wird man zu einem passiven stummen Bürger erzogen. Das lassen wir uns nicht gefallen. Auch deswegen organisieren wir Basis 15.“29

      Vielleicht handelt das Schüler-Symposium im Geiste Mahatma Ghandis, ohne sich dessen aber bewusst zu sein. Er sagte, dass Mittel und Ziel eines Prozesses untrennbar zusammen gehören. Man kann ein gutes Ziel nur erreichen, wenn man dazu gleichzeitig gute Mittel einsetzt, die mit dem Ziel korrespondieren und in denen das Ziel bereits „vorvorhanden“ ist. Auf den Wunsch der Schüler nach mehr Demokratie in den Schulen angewandt, könnte dies dann bedeuten: Wenn man unsere Schüler zu jungen Demokraten erziehen will, müssen auch die Methoden und Mittel des Bildungssystems demokratische Strukturen haben, in denen das Demokratieverständnis eingeübt werden kann. Ich jedenfalls vertrete die Meinung, dass den Ideen und Vorschlägen der Hauptbetroffenen, der Schüler, in Zukunft mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden soll – gerade wenn es um Reformen im Bildungsbereich geht.

      In jedem Fall ist bemerkenswert, dass dieser Schüler-Kongress „Basis 15“ überhaupt stattfand und dass am letzten Tage zur Ergebnis-Präsentation fast alle in den bayerischen Landtag gewählten Parteien sowie Lehrerverbände Vertreter geschickt hatten. Abgesehen davon, dass der Kongress selbst ein Beispiel für eine basisdemokratische Entwicklung neuer Ideen im Bildungsbereich geben könnte, halte ich die Forderungen der Schüler für bedenkenswert. Sie wünschen sich echte Partizipation und wollen bei bildungspolitischen Themen in Zukunft mehr Einfluss nehmen können, wie ein Bericht nach dem Kongress zeigt: „Bei der Gestaltung des Lehrplans sowie des Unterrichts oder der Beurteilung von Lehrproben im Referendariat wollen die Schüler mitreden … Außerdem forderten die Jugendlichen mehr Pädagogik im Lehramtsstudium, ein flexibleres System, etwa um kreativ zu arbeiten oder aktuelle Themen im Unterricht zu besprechen, und eine längere gemeinsame Schulzeit.“30

      Die Lehrer stehen den Schülern näher

      Mit dem letzten Zitat wird bereits die Art des Schulsystems berührt, das in mehreren westlichen Bundesländern seit Jahren in der Dauerdiskussion ist. Dabei geht es zur Zeit fast ausschließlich um den „richtigen“ Schulrahmen, also um die „geeignete“ Schulstruktur achtjähriges (G 8) oder neunjähriges Gymnasium (G 9). Es wäre klug, dazu auch Pädagogik-Verbände zu befragen. Ein Verband vertritt zwar in erster Linie die Bedürfnisse seiner Mitglieder: in diesem Falle die der Lehrer. Sie aber sind es, die täglich mit den Schülern arbeiten. Daher sind sie Experten, wenn es um Fragen der Lernfähigkeit und Lernbereitschaft oder um die sozialen und emotionalen Bedürfnisse ihrer Schüler geht – vor allem in der Pubertät.

      Am Beispiel des mitgliederstarken Bayerischen Philologenverbandes soll dies näher aufgezeigt werden. Sein Vorsitzender, Max Schmidt, hat sich 2014 engagiert in die Diskussion um das „richtige“ Bayerische Gymnasium eingebracht. Im Namen seines Verbandes hat er bereits im März 2014 Eckpunkte für eine Rückkehr zu einem modifizierten neunstufigen Gymnasium vorgestellt. Seine Argumente könnten meiner Ansicht nach auch für die Bildungsdiskussion in anderen Bundesländern von Bedeutung sein: „'Das achtjährige Gymnasium hat uns zwei Dinge gelehrt ... Erstens, dass die Zeit zum Erwachsenwerden nicht qua Verordnung reduziert werden kann und zweitens, dass theoretische Überlegungen, die im Hauruckverfahren eingeführt werden, jahrzehntelangen Ärger zur Folge haben.'“31

      So werden in diesen Eckpunkten die Schüler und ihre Bedürfnisse in den Mittelpunkt gestellt. Die Gymnasiasten sollen entlastet werden, um wieder mehr Zeit für Persönlichkeitsentwicklung und außerschulische Lernerfahrungen zu haben. „Pro Woche sollen die Jugendlichen nicht mehr als 30 bis 32 Stunden Pflichtunterricht haben. Es soll mehr Zeit für Vertiefung, Festigung und Förderung geben; außerdem ein 'vielfältiges Wahlangebot im musisch-ästhetischen Bereich.'“32

      Diese Stimme des Bayerischen Philologenverbands stellt eine wohltuende Abkehr von überstürzten und am grünen Tisch entworfenen Reformen im Schulbereich dar. Schüler sind keine Ware, keine Dinge, keine Produkte und keine Schachfiguren, die man beliebig herumschieben kann. Sie sind junge Menschen in der Entwicklung – auf dem Weg zu sich selbst. Der Bayerische Philologenverband hat dies erkannt und versucht, sich in der gegenwärtigen


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