Mit schwarzen Flügeln. Daimon Legion

Mit schwarzen Flügeln - Daimon Legion


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war noch genug Zeit, also sprach nichts gegen einen kleinen Plausch unter Freunden.

      Eben nur unter Freunden.

      Auch wenn er zugeben musste, dass er sie mochte, war er froh darüber, wie sie ihn mit derselben neutralen Herzlichkeit behandelte, gleich allen anderen. Musste er dann gehen, würde sie ihm nicht nachtrauern. Ihr weinendes Gesicht könnte er wohl nicht ertragen.

      Sie erzählte ihm Seltsames. Die alte Tesla nannte ihn einen Dämon des Unglücks. Erstaunlich, wie nah das kam. Vielleicht hatte die Hexe wirklich die Veranlagung einer Seherin?

      Überraschend kam diese Unterstellung ohnehin nicht.

      Es reizte ihn, zu wissen, was sie davon hielt.

      „Denkst du auch, ich bin der Teufel?“

      „Unsinn“, lachte sie, „du hast einfach nur eine andere Art an dir. Das finden die mit alten Werten halt komisch.“

      Schelmisch grinste er sie an. „Also bin ich?“

      „Vielleicht ein richtig süßer Engel.“

      Er konnte es kaum glauben, doch sie beugte sich vor, um ihn auf die Wange zu küssen. Es war nur eine kleine Geste der Verbundenheit, gleichwohl schoss ihm das Blut in den Kopf vor Verlegenheit.

      Seine kleine Freundin fand das witzig.

      Es ist nichts, versuchte sein Verstand ihm weiszumachen. Warum also fühlte er sich dann so ... beflügelt? Eine komische Wortwahl für einen Engel, aber er konnte keinen besseren Ausdruck finden.

      Auch Madeleine fiel auf, dass Deacon geistig abwesend wie ein Träumer wirkte und fragte, was los sei. Ob ihm schlecht wäre oder seine Wunde ihm zu schaffen machte.

      Ihm ginge es blendend, versicherte er ihr und stolperte mehr als einmal noch über seine eigenen Füße, bis die Köchin ihn schließlich entließ. Er sollte seine Verletzung ausruhen, war ihr Befehl.

       Nun gut.

      Am Himmel dämmerte der Sonnenuntergang in Flammen­tönen. Nicht wie am Morgen in Rosa und Weiß, sondern hei­ßes Rot und Orange mit kräftigem Gelb. Wenn er so in den Himmel aufsah, wurde er melancholisch.

      Ein durchaus romantisches, nichtsdestoweniger unmögli­ches Empfinden war da, wenn er an dieses Mädchen dachte. Illusion. Ein Trugbild, was er für die Zukunft wünschte. Ein Dasein als Mensch mit ihr. Falls auch sie das wollte. Was für ein Unsinn. Jemand wie er konnte nicht normal leben.

      Noch nicht einmal naiv hoffen.

      Wenn Menschen ihre Blicke auf das Firmament richteten, sahen sie Wolken und bestenfalls Sterne. Dachten an eine große, überirdische Macht und wussten doch, wie sie nur auf einem Staubkörnchen in den Weiten des Universums herum­flogen. Dass die Sonne nicht Gott war, sondern lediglich eine Feuer spuckende Gaskugel. Planeten, Meteoriten, Äonendunst. Sie wussten, unter ihren Füßen war Erde und kein Inferno für die Verdammten. Und wenn sie eines Tages vergingen, war da keine Seele, die in den Urstrom einfloss.

      Wie schön es war, unwissend zu sein.

      Um die schlichte Freiheit zu glauben, was man wollte, konnten Wesen wie er die Menschen wirklich beneiden.

      Deacon hing seinen Gedanken nach. Gefangen in tiefer Versunkenheit registrierte er kaum seinen Weg und die Füße trugen ihn wie von allein auf die Strecke, welche ab von der Siedlung führte, statt zu Teds Haus zu laufen. Als er aufsah, befand er sich schon weit ab vom Platz. Vielleicht war das gar nicht übel. Er sollte gehen, bevor seine Romantik ihm die Schlinge um den Hals enger zog. Nur wollte er nicht.

      „Ja, verschwinde endlich von hier, Dämon!“

      Dieses Geschrei machte ihn hellwach.

      In seinem Schatten stand Tesla, grau und gebeugt in ihren verfilzten Lumpen. Das Abendlicht ließ ihre Falten tiefer wir­ken als gewöhnlich und sie erinnerte wieder an die grimmige Bulldogge, die jeden unerwünschten Gast in die Waden biss. Ihr Auftauchen verhieß nichts Gutes und ihre Beschimpfungen sagten: „Geh weg und komm nie wieder! Ich werde nicht zu­lassen, dass du auch nur ein Herz rauben kannst! Also hau ab! Kein weiteres Mal sollst du willkommen sein!“

      Sie hustete stark und spuckte ihren Auswurf vor seine Füße, dass er angeekelt noch einen Schritt nach draußen tat.

      Deacon hatte ihr laufendes Gekreische aber satt.

      „Was habe ich dir getan, alte Ziege?“, fragte er mit Unver­ständnis in der Stimme. „Warum greifst du mich an und me­ckerst, ich sei ein Dämon? Kennst du keinen anderen, den du hassen kannst?“

      Wenn Blicke töten könnten ...

      Wieder keuchte die Greisin schwer, bevor sie wetterte: „Du bist ein Monster! Streite es nicht ab! Ich spüre es doch! Die Verdorbenheit umhüllt dich. Der Tod und die Not. Du bist ein schändliches Wesen, das nicht auf der Erde wandeln sollte. Bevor du hier unschuldige Seelen verdirbst, sollte man dich bannen und zurück in die Feuer werfen, aus denen du kamst.“

      „Es ist völlig idiotisch, was du redest, Alte ...“

      „Nadja überlasse ich dir nicht! Ich werde sie von dir fern­zuhalten wissen! Nie wieder soll sie dir zu nahe kommen und du wirst sie niemals wiedersehen! Verschwinde und bleib dort, wo der Pfeffer wächst!“

      In Deacon kochte Wut hoch. Was wollte diese alte Vettel eigentlich von ihm? Warum konnte sie ihn nicht in Ruhe las­sen? Er hatte nicht vor, diesen Leuten hier Ärger zu machen und die Seelen zu stehlen. Erst recht nicht die von Nadja oder ihrem Bruder. Woher also diese Missachtung?

      Statt zu gehen, stellte sich Deacon kampfbereit ihr entge­gen. Seine gefasste Haltung ließ Tesla etwas zurückweichen. Seine kalten Augen jagten ihr ein ungutes Frösteln über den krummen Rücken.

      Seine schwarze Gestalt überragte sie und schien immer be­drohlicher zu werden.

      „Bösartiges Weib!“, fuhr er sie an. Im gleichen harten Ton, den er sonst mit Soldaten sprach, drehte er den Spieß um. Jetzt lag es an der Alten, vor ihm zu erzittern. „Dummes Menschen­kind, wie kannst du es wagen? Dein Gekeife ertrage ich nicht mehr! Was bildest du dir ein? Du sprichst hier nicht mit dei­nesgleichen! Und du wagst es, mir zu drohen? Mich zu ver­bannen? Wir beugen uns nicht simplem Menschenwort!“

      Tesla war wie zu Eis gefroren. Ihre weit aufgerissenen Au­gen starrten ihn an und sie hielt sich die Ohren zu von seinem Gebrüll. Eine verbotene Stimme, die kein Erdenbürger je hö­ren durfte. Durch ihre Finger sickerte bereits dünnes Blut. Trotz allem drang kein Laut über ihre Lippen.

      Deacon dagegen wäre in einen wahren Redeschwall ausge­brochen, wenn es etwas gebracht hätte. Anstatt weiter zu schreien, fuhr er seinen Zorn hinunter und sprach leiser, je­doch nicht weniger ernst: „Ich wollte keinem was tun. Nicht einmal dir, obwohl du alle gegen mich aufhetzt. Ich bin euch dankbar gewesen, weil ihr mich gerettet und aufgenommen habt. Ich wollte doch nur noch etwas normal leben.

      Kannst du nicht verstehen?“

      Tesla gaffte ihn hohl an, die Hände weiterhin auf die Ohren gedrückt. Zögerlich begann ihr Mund leise Worte zu formen, die Deacon zu spät verstand: „... Ich sehe deine Flügel ...“

      Wie das? Erschrocken sah er über die eigene Schulter, nur war dort nichts.

      „Ein Engel ...“, hauchte die Großmutter. Da kippte ihr Kör­per auch schon zur Seite. Mit verdrehten Gliedern blieb der Mensch am Boden liegen.

      Für eine kurze Zeit war alles still.

      „Tesla?“, versuchte Deacon es vorsichtig. Keine Reaktion.

      „Tantchen?“ Das Wort allein hätte sie wütend gemacht, aber sie lag weiter reglos zu seinen Füßen. So langsam wurde er nervös. Scheu trat er näher an den Leib heran und hockte sich hinunter. Kein Puls und auch das Herz hörte er nicht schlagen. Die Ohren verrieten ein gerissenes Trommelfell, weil sie seine überirdische Stimmlage nicht ertragen hatte. Doch das tötete niemanden ... Oder?

      „So ein Mist!“,


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