Mit schwarzen Flügeln. Daimon Legion

Mit schwarzen Flügeln - Daimon Legion


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hatte, bevor sie fortfuhr: „Meine Tante will dich unbe­dingt sprechen. Sie sagt, dass du simulierst, um ihr aus dem Weg zu gehen und wir sollen dich nicht verhätscheln.“

      „Scheint ja eine reizende Person zu sein“, feixte er iro­nisch.

      Sie nahm ihm den Spruch scheinbar nicht übel, dennoch blickte sie ihn merkwürdig an. Betrachtete sein Gesicht, als wollte sie in seinen Augen lesen, ob er Wahrheit oder Lüge sprach.

      Das beschämte ihn und er wandte sein Gesicht ab. „Ent­schuldige, ich wollte nicht unhöflich gegenüber deiner Tante sein.“

      „Ich werde aus dir nicht ganz schlau, Deacon“, gab sie zu.

      „Wie meinst du das?“

      Sie streckte beide Arme aus und legt ihre Zeigefinger auf seine Lippen. Diesen Kontakt hatte er nicht erwartet, aber er zuckte auch nicht davor zurück. Ihre Fingerkuppen fühlten sich glatt an, wie sie zu seinen Mundwinkeln hinauffuhren, und Nadja kannte fürwahr diesbezüglich keine Berührungs­ängste.

      Wirklich sorglos und ungehemmt, wie ein neugieriges Kind.

      Nur ihre Stimme klang ernst: „Irgendwie bist du seltsam. Du hast stets dieses Lächeln auf deiner Miene, egal, wie du dich gerade fühlst. Ob du dich entschuldigst oder dir etwas peinlich ist. Oder traurig, nervös oder ängstlich bist – du lä­chelst immer.“

      „Ist das falsch?“, fragte er.

      Sie zog ihre Hände zurück. „Es ist unecht, find ich. Du magst ein hübsches Aussehen haben, aber das ist hässlich. Du ziehst die Mundwinkel hoch und schon sieht es aus, als ob du grinst. Ich denke, man sollte erst dann lächeln, wenn man sei­ne Fröhlichkeit auch so meint.“

      Das haute ihn um. Dieses Mädchen hatte ihn schnell durchschaut. Im Grunde dachte Deacon, nach all den Jahren und Erfahrungen als Seelenfänger unter Menschen, habe er seine Maske unter Kontrolle und wirkte bereits menschlich. Sie gehörte wohl zu denen, die er nicht täuschen konnte.

      Gut, ließ er das Versteckspiel eben. Das Grinsen ver­schwand und seine Mimik wurde völlig ausdruckslos.

      „Wenn du es ehrlich willst, wirst du mich nie wieder la­chen sehen.“

      Nadja bereute ihre harten Worte. „Nein, so hab ich das nicht gemeint ... Ich dachte ja nur ... Ich habe dich, seit du hier bist, noch nie glücklich gesehen. Oh, Mist. Ich rede ein Blech zusammen!“

      Sie reagierte sich kurz über ein paar gestikulierte Zornes­ausbrüche ab und stapfte dabei durch den Raum. Deacon be­obachtete sie verwundert.

      „Wo bist du schon alles gewesen, Deac?“, wirbelte sie mit einem flotten Themenwechsel zu ihm herum. „Hast du viel von der Welt gesehen?“

      Ein kleines Schmunzeln konnte er nicht verbergen. Was für ein quirliges Ding.

      „Ich habe allerhand gesehen. Und noch vieles mehr, was ich nicht sehen wollte.“

      „Und wie sieht es da draußen aus?“

      Mit einem Ächzen warf er einen Blick über den Platz. „Dort, wo ich war, ist es nicht anders gewesen als hier. Dersel­be Sand, die gleiche Armut und Städte aus Glas und Überheb­lichkeit, die bis zum Hals im Müll versinken. Wenn ich mal weiterziehe, werde ich auch wieder nur das finden. Selten ist es besser, oftmals schlechter.“

      „Und von dort, von wo aus du losgegangen bist ... Hast du Familie zurückgelassen? Deine Eltern oder Geschwister? Oder eine Freundin?“ Die letzte Frage deutete sie leicht schelmisch an.

      Er schüttelte den Kopf. „Nein. Da war niemand. Wenn du nur unterwegs bist, willst du keinem das Herz brechen. Und bevor es so weit ist, dass dich jemand vermissen könnte, soll­test du gehen.“

      „Klingt einsam ... Du wirst also auch wieder fortgehen?“

      „Eines Tages bestimmt. Und vielleicht schon heute, wenn eure Tante mich verjagt.“

      Sie trat näher an ihn heran und fasste seine Hand. „Ach, du kannst gern noch bleiben. Zumindest, bis du wieder gesund bist. Und eher lasse ich dich auch nicht weg.“

      „Ich mag dich nicht, Junge.“ Tesla schaute ihn grimmig aus zusammengekniffenen Augen an. All ihre Falten verwandelten sie in das menschliche Abbild einer fleischfarbenen Bulldog­ge.

      Deacon lächelte etwas gequält und zuckte die Schultern. „Na ja, kann man nicht viel machen.“

      Die alte Frau umkreiste ihn. Um sie beide herum standen Ted, Nadja und weitere Bewohner der Siedlung und warteten die Betrachtung des Fremden ab. Viele nickten bei Teslas Ur­teil und stimmten ihr zu, während sie Deacon von oben bis un­ten musterte. Mit ihren Gichtfingern zupfte sie an seiner Klei­dung, seinen Haaren, tastete nach seinem Gesicht und den Händen. Ihre Laune besserte sich kein Stück.

      „Nein, du bist ein absonderlicher Kerl. Ich sehe es in dei­nen Augen.“ Sie starrte ihn erbarmungslos an, als wollte sie ihn einschüchtern. „Deine Augen sagen mir, dass du etwas im Schilde führst. Mehr als deinen Namen nennst du nicht. Kommst von nirgendwo, gehst nach nirgendwo. Du verbirgst etwas vor uns. Ich sehe in dir Dunkelheit und Leere. Du bist ein böser Mensch.“

      Erstaunt hob er die Augenbrauen. Sagte sie das nur, weil sie ihn nicht leiden konnte? Oder sah diese Hexe wirklich mehr als andere? Gut, das Böse war Ansichtssache ...

      „Schau nicht so!“, bellte die Alte daraufhin. „Hast du kei­nen Respekt?

      Ich habe schon genug solche Männer wie dich kennenge­lernt. Ihr streift durch die Welt und drückt euch vor ehrlicher Arbeit und Verantwortung. Erst macht ihr euch in einer Grup­pe breit, lebt dort wie die Made im Speck, und wenn es euch zu bunt wird, haut ihr ab und sucht euch die nächsten armen Trottel, die euch aushalten. Männer wie du sind Faulpelze, die das Mitgefühl der anderen ausnutzen. Deine Hände haben noch nie für das Wohl deiner Mitmenschen geschuftet. Du hast noch nie etwas Sinnvolles zustande gebracht. Du bist nur weg­gelaufen!“

      Okay, sie hasste ihn. Hielt ihn für einen Taugenichts und Vagabunden. Zum Glück reichte nichts an die Wahrheit heran. Gegen die Anschuldigungen sagte er nichts. Besser so. Bevor ein Streit vom Zaun brach, indem er sich schönredete, gab er lieber schweigsam alle Lüge zu und ließ diese Xanthippe wei­ter in ihrer Wahnvorstellung.

      „Einen Strauchdieb füttern wir hier nicht durch!“, verdeut­lichte Tesla ihm erneut. „Du stehst wieder auf eigenen Beinen, also kannst du entweder deiner Wege weiterziehen oder du ar­beitest hier, solange du in unserer Gemeinschaft lebst. Hast du verstanden?“

      Deacon nickte. „Ja, das habe ich. Ich werde versuchen, mich einzubringen.“

      „Versuchen reicht nicht! Du bist ein junger, kräftiger Bur­sche, also stell dich nicht so an!“

      Oh, mit der hatte er seine Not.

      Zu ihren Ziehkindern sprach die Älteste im selben rauen Ton: „Ihr zwei habt diesen Herumtreiber aufgelesen! Kümmert euch darum, dass er sich nützlich macht! Und ich will kein Wort davon hören, dass der weiter auf der faulen Haut liegt!“

      Die Geschwister konnten nichts erwidern, denn mit einem schlimmen Keuchhustenanfall kehrte Tesla zu ihrer Hütte zu­rück und verschwand hinter der Tür. Für sie und die restlichen Versammelten war das Gespräch vorbei und die Menschen­traube löste sich unter Gemurmel auf.

      Wieder fühlte Deacon schlechte Blicke im Genick und er zog den Kopf zwischen die Schultern.

      Ted klopfte ihm auf den Rücken. „Mach dich nicht rund deswegen. Die runzlige Gewitterziege lässt an niemandem ein gutes Haar. Du bist neu, also ein gefundenes Fressen.“

      Nadja sprach ihm gut zu: „Wenn du bewiesen hast, was du kannst, wird sie dich nicht mehr so scharf angehen. Das wird noch.“

      „Na ja, wenn ihr meint ...“ Deacon war da nicht so sicher.

      „Besorgen wir dir ma’ ’nen Arbeitsplatz“, war Ted opti­mistisch. „Bloß nichts Anstrengendes. Die Trude glaubt zwar, dass du Bäume ausreißen


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