Das grüne Gesicht. Gustav Meyrink

Das grüne Gesicht - Gustav Meyrink


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sehen, bis er selbst gleich darauf um die Ecke biegt – ähnlich, nicht nur in der

       Einbildung, nein: photographierbar ähnlich, so ähnlich, daß man an den Betreffenden denken muß, ob man will oder

       nicht, – woher das alles kommen mag? Ob Menschen, die einander ähnlich sehen, nicht auch ein ähnliches Schicksal

       haben? Wie oft habe ich es schon bestätigt gefunden. Das Schicksal scheint so etwas wie eine unvermeidliche

       Begleiterscheinung der Körperbildung und Gesichtsform zu sein, an ein bis ins kleinste greifendes Gesetz der

       Übereinstimmung gebunden. Eine Kugel kann nur rollen, ein Würfel nur kollern, warum sollte ein Lebewesen mit

       seinem tausendfach komplizierten Dasein nicht mit ebenso gesetzmäßigen, aber nur tausendfach komplizierteren

       Erlebnisvorausbestimmungen vor eine Deichsel gespannt sein! – Ich kann es sehr wohl verstehen, daß die alte

       Astrologie nicht aussterben kann und heute vielleicht mehr Anhänger zählt, als jemals früher, und daß jeder zehnte sich

       ein Horoskop stellen läßt; nur sind die Menschen offenbar auf dem Holzweg, wenn sie glauben, die sichtbaren Sterne

       am Himmel bestimmten den Schicksalsweg. Es wird sich da um andere 'Planeten' handeln, um solche, die im Blut um

       das Herz kreisen und andere Umlaufszeiten haben als die Himmelskörper: Jupiter, Saturn usw. – Wenn gleicher

       Geburtsort, gleiche Geburtsstunde und Geburtsminute allein das entscheidende wären, wie könnte es dann sein, daß

       Monstrositäten wie die zusammengewachsenen Schwestern Blaschek, die doch in derselben Sekunde geboren

       wurden, ein so verschiedenes Schicksal hatten, daß die eine Mutter wurde und die andere Jungfrau blieb?

       Ein Herr in weißem Flanellanzug, roter Krawatte, einen Panamahut ein wenig schief aufgesetzt, die Finger überladen

       mit protzigen Ringen und ein Monokel ins dunkel glühende Auge geklemmt, war bereits vor längerer Zeit an einem

       entfernten Tische hinter einer großen ungarischen Zeitung aufgetaucht und hatte sich nach mehrmaligem Platzwechsel –

       als störe ihn überall die Zugluft – bis dicht an Hauberrisser herangepirscht, ohne daß ihn dieser in seinem Grübeln

       bemerkt hätte.

       Erst als der Fremde sich mit auffallend lauter Stimme beim Kellner nach Amsterdamer Vergnügungslokalen und

       sonstigen Sehenswürdigkeiten erkundigte, wurde Hauberrisser aufmerksam, und der Eindruck der Außenwelt

       scheuchte sofort seine tiefsinnigen Betrachtungen in das Dunkel zurück, aus dem sie aufgestiegen waren.

       Ein schneller Blick überzeugte ihn, daß es der Herr "Professor" Zitter Arpád aus dem Vexiersalon war, der da so

       sichtlich bestrebt schien, den gänzlich unorientierten, soeben erst aus der Eisenbahn gestiegenen Neuankömmling zu

       spielen.

       Wohl fehlte der Schnurrbart, und die Pomade war in ein neues Strombett geleitet worden, aber die Gaunervisage

       des unverkennbaren "Preßburger Hähndelfangers" hatte dadurch nicht das mindeste an Ursprünglichkeit eingebüßt.

       Hauberrisser war viel zu gut erzogen, um auch nur mit einem Wimpernzucken zu verraten, daß er sich erinnere, wen

       er vor sich habe; überdies machte es ihm Spaß, die feinere List des Gebildeten der grobdrähtigen des Ungebildeten

       entgegenzustellen, der immer und überall glaubt, eine Verkleidung sei gelungen, bloß weil der, dem die Täuschung

       gelten soll, nicht sofort in komödiantenhaft plumpes Gebärdenspiel und Stirnrunzeln verfällt.

       Daß der "Professor" ihm heimlich ins Café nachgegangen war und irgendeine balkanesische Halunkerei im Schilde

       führte, stand für Hauberrisser außer Zweifel; um jedoch ganz sicher zu sein, daß ihm und nicht noch anderen der

       Mummenschanz galt, machte er eine Bewegung, als wolle er zahlen und gehen. Sofort malte sich ärgerliche Bestürzung

       in den Mienen des Herrn Zitter.

       Hauberrisser schmunzelte befriedigt in sich hinein; "die Firma Chidher Grün – angenommen, der Herr Professor ist

       tätiger Teilhaber – scheint ja über die mannigfaltigsten Hilfsmittel zu verfügen, wenn es gilt, ihre Kunden im Auge zu

       behalten: – duftende Damen mit Pagenfrisur, fliegende Korke, gespenstische alte Juden, prophetische Totenköpfe und

       weißgekleidete talentlose Spione! Allerhand Hochachtung!"

       "Irgendeine Bank gibt es wohl hier in der Nähe nicht, Kellner, in der man ein paar englische Tausendpfundnoten in

       holländisches Geld umwechseln lassen könnte, wie?" fragte der Professor nachlässig, aber wieder mit sehr lauter

       Stimme und tat sehr ärgerlich, als er eine verneinende Antwort bekam. "In Amsterdam ist es scheinbar recht schljecht

       mit dem Kljeingeld bestellt", brach er, halb zu Hauberrisser gewendet, ein Anknüpfungsgespräch vom Zaum. "Schon

       im Hotel hatte ich Schwjierigkeiten damit."

       Hauberrisser schwieg.

       "Ja, hm, recht vjiel Schwjierigkeiten."

       Hauberrisser ließ sich nicht erweichen.

       "Zum Glück kannte der Hotelbesitzer meinen Stammsitz. – – – Graf Ciechonski, wenn ich mich vorstellen darf. Graf

       Wlodzijmierz Ciechonski."

       Hauberrisser verbeugte sich kaum merklich und murmelte seinen Namen so unverständlich wie nur möglich, der Graf

       schien jedoch ein ungemein feines Ohr zu haben, denn er sprang freudig erregt auf, eilte zum Tisch, nahm sofort in

       Pfeills leerem Sessel Platz und rief jubelnd: "Hauberrisser! Der berühmte Torpedoingenieur Hauberrisser? Graf

       Ciechonski mein Name, Graf Wlodzimierz Ciechonski, Sie gestatten doch?"

       Hauberrisser schüttelte lächelnd den Kopf. "Sie irren, ich war niemals Torpedoingenieur." ("Ein dummes Luder das",

       setzte er innerlich hinzu, "schade, daß er den polnischen Grafen mimt; als Professor Zitter Arpád aus Preßburg wäre er

       mir lieber gewesen; ich hätte ihn dann im Lauf der Zeit wenigstens über seinen Kompagnon Chidher Grün ausholen

       können.")

       "Njicht? Schade. Aber das macht nichts. Schon der Name Hauberrisser erweckt in mir, oh, so liebe Erinnerungen",

       die Stimme des Grafen zitterte vor Rührung, – "er und der Name Eugène Louis Jean Joseph sind eng mit unserer

       Familie verknüpft."

       "Jetzt will er, daß ich frage, wer dieser Louis Eugène Joseph ist. Just nicht", dachte sich Hauberrisser und sog stumm

       an seiner Zigarette.

       "Eugène Jean Louis Joseph war nämlich mein Taufpate. Gleich darauf ging er nach Afrika in den Tod."

       "Wahrscheinlich aus Gewissensbissen", brummte Hauberrisser in sich hinein. "So, hm, in den Tod, sehr bedauerlich."

       "Ja leider, leider, leider. Eugène Louis Jean Joseph! Er hätte Kaiser von Frankreich sein können."

       "Was hätte er?" – Hauberrisser glaubte falsch gehört zu haben – "Kaiser von Frankreich hätt' er sein können?"

       "Sicherlich!" Stolz spielte Zitter Arpád seinen Trumpf aus: "Prinz Eugène Louis Jean Joseph Napoleon IV. Er fiel am

       1. Juni 1879 im Kampf gegen die Zulus. Ich besitze sogar eine Locke von ihm", er zog eine goldene Taschenuhr von

       Beefsteakgröße und geradezu teuflischer Geschmacklosigkeit hervor, öffnete den Deckel und deutete auf ein Büschel

      


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