Mit schwarzen Flügeln. Daimon Legion
in seinem Rausch nicht mit. Und obwohl er bereits nach Atem schnappte, lachte er weiter wie ein Verrückter.
Auch Molly kicherte etwas und rappelte sich auf. Sie klopfte die Flocken von ihrem falschen violetten Pelzmantel und sprach zu ihm hinab: „Bist auch fertig? Komm schon, Zach, steh auf. Du erfrierst noch, wenn du so lieg’n bleibst.“
Er legte seine blutige Hand auf die Augen. Sein Lachen schwächte ab und es klang mehr und mehr wie ein gequältes Schluchzen. Sein Brustkorb zuckte unter den unregelmäßigen Atemzügen und Molly sah, wie ihm Tränen über die Haut rannen.
„Du weinst?“, fragte sie mütterlich im Ton und hockte sich mit aller Fürsorge und Liebe, die sie empfand, zu ihm. „Du bist kein Mann, der einfach so weint.
Was bedrückt dich? Hat dich ’n Geist verfolgt?“
„Is’ nichts, is’ ...“
Langsam richtete Zach seinen Oberkörper auf und versackte schlaff und schwankend in einer sitzenden Position. Mit dem Ärmel wischte er sein Gesicht ab und versuchte, die Mundwinkel oben zu behalten, um seine klägliche Maske nicht zu verlieren.
„Ich erinnere mich bloß ... was sie damals alles sagt’n ... und heute gehöre ich zu denen, mit denen ich früher nie spiel’n durfte. Bin so verkomm’, wie sie es nie wollt’n ...
Is’ zu spät für mich, um umzudreh’n und alles rumzureiß’n. Kann nichts mehr ändern und alles is’ dasselbe. Jeden Tag der gleiche Mist. Jede Nacht. Jeden Morgen. Wozu überhaupt? Ich geh auf die vierzig zu und weiß nicht, wofür es gut sein soll. Da wünsch ich mir fast ...“, er hob zwei Finger an den Kopf, „irgendwer könnt’s tun“, drückte den imaginären Abzug, „Peng!“ und fiel zurück in den Matsch.
„Is’ der Schnaps, Zachy“, winkte Molly seine Rede leger ab und versuchte es zu umgehen, dass er ihr hier, in diesem Dreck, sein Herz ausschüttete. „Das geht uns allen mal so.
Was hab ich denn gepackt? Mit meinen fünfzig? Hab auch nur meinen Arsch hingehalten und alles ertragen. Was is’ Leben? Das Leid ertragen. Jeden Tag von Neuem.“
„Kennst du das Gefühl, nirgendwo hinzugehören? Nirgendwo dazuzupassen, als sei kein Platz für dich da? Oder so, als wär’ das nicht deine Welt und du müsstest ganz wo anders sein, aber du kommst weder dahin, noch weißt du eigentlich genau wohin ...“
Er schaute hinauf in den Himmel. Sterne blitzten durch die Wolkenfetzen hindurch und ihr Licht blendete ihn fast.
„Wenn ich wüsste, wohin ich gehör’, wär’ ich nicht mehr hier. Bin aufm falsch’n Planeten gestrandet. Hier fehlt mir etwas. Es is’ nicht da, obwohl es da sein sollte ... und ich vermisse es so sehr.“
„Und was is’ dieses Etwas?“
Er fuhr wieder hoch und motzte: „Scheiße, woher soll ich das wiss’n? Vielleicht is’ es dasselbe Etwas, weswegen mich jeder zum Reihern findet, gottverflucht!“
Sie schnipste ihm mit dem Finger gegen die Stirn. „Fluche nicht auf den Herrn!“
„Ich fluche auf den, so oft ich will!“, reagierte er weiterhin gereizt, während sie versuchte, ihn vom Boden hochzuziehen.
„Der Herr kann nichts für dein Unglück. Oder deine Unzufriedenheit mit deinem Leben. Er hat’s dir nur gegeben, was du daraus machst, is’ deine Sache. Jeder hat sein Päckchen zu tragen, Zach, und wenn du so schwach bis und lieber sterben willst, dann musst du’s tun. Willst du leben, lebe und mach das Beste draus. Willst du etwas ändern, ändere es. Doch tot kannst du’s nicht mehr beeinflussen, also beschwöre ich dich zum Leben!“, wusch Molly ihm tadelnd den Kopf.
Er hörte ihr zwar zu, doch glaube nicht an ihre Worte. Es war ja nicht so, dass er es nicht versucht hätte. Rückblickend war sein Leben eine Reihe von Fehlschlägen.
Beide taumelten die Gasse entlang und ihm stieß der Alkohol sauer auf.
„Musst du kotz’n?“, fragte Molly direkt. „Wäre vielleicht besser, damit du bei mir wieder fit bist. Ich fänd’s blöd von dir, wenn du einpennst.“
„Bin fit, ich pack’s schon noch ...“
„Dein Wort in Gottes Ohr“, betete sie.
Zach verzog mürrisch das Gesicht. „Also echt mal. Steht der Penner jetzt zwischen uns oder was?
Scheiß auf Gott.“
Molly gab ihm noch einen Klaps. „Ich will nicht, dass du auf den Herrn fluchst!“
„Heilige Scheiße ...“
„Zach!“
„Arrgh ...“
6
Wie wunderschön war es an diesem Ort. Alles erschien so sauber und rein, glänzend wie ein klarer Edelstein. Nirgends ein Schmutzfleck, nirgends Dunkelheit.
Nur wenige Farben leuchteten kräftig in dem Weiß – gleich Blüten, die in höchster Form erstrahlten. Es gab auf Erden kein so sattes Grün, kein derart schimmerndes Blau oder Rot, welches sich in das Auge des Betrachters brannte. Ihr Ton wirkte geradezu lebendig.
Wie gern würde er hier ewig verweilen. In dieser friedvollen Stadt mit ihren goldenen Türmen, die wie Sonnen ihn erwärmten und das Land in unvergängliches Licht tauchten.
Und erst die Stille. Diese wohltuende Stille ...
„Wie lange willst du eigentlich noch schlafen? Es gibt Frühstück!“
Wie von einer Hand gepackt, wurde Zach aus dem Traum gerissen und zurück auf die Erde geschleudert, nur um hart aufzuprallen. Sein Rücken meldete sich ungefragt zu Wort.
Ein unsichtbarer Zimmermannsnagel wurde in sein Schulterblatt gebohrt und natürlich war auch die Migräne zur Stelle. Ein Pferdehuf traf sein Hirn und schleuderte es von Schädelwand zu Schädelwand, ähnlich einem Gummiball.
Himmel, wo bist du?, kam es ihn in den Sinn und Sterben schien für einen kurzen Moment eine hervorragende Idee zu sein.
Keuchend starrte er an die hohe Zimmerdecke und, kaum dass die Gedanken wieder einer klaren Bahn folgten, überarbeitete sein Verstand die ersten Fragen, die ihm durch die vom Schmerz vernebelten Sinne rasten.
Wo war er? Bei Molly zu Hause, eine regelrechte Luxuswohnung im Hafen. Zumindest mit Heizung, dichtem Dach und ordentlichen Fenstern.
Wer war bei ihm? Niemand. Er lag allein in dem großen Bett seiner Gastgeberin und litt vor sich hin. Sie musste in der Küche sein und auf ihn warten.
Was hatte er getan? Zu viel gesoffen. Seine Migräne war sicherlich auch eine Rückmeldung vom Alkohol an die Nerven. In wie weit er Molly später noch gefällig gewesen war, konnte er sich nicht genau erinnern.
Hatte er Ärger gemacht? Nun, eine Schlägerei gab es nicht. Und die Bonzen hatte er blankgezogen, mehr nicht, also nein.
Was wurde aus dem Geld? Gute Frage. Die ganze Gewinnsumme konnte er unmöglich verprasst haben und so teuer war Mollys Service auch wieder nicht, also musste er sie fragen, wo der restliche Zaster war.
Last but not least: Wo waren seine Klamotten?
Gequält hob er den Rumpf von der Matratze und blickte durch das Zimmer. Seine Kluft sah er nicht. Er schaute bloß auf die in Violett und Schwarz gehaltene Einrichtung, den Kleiderschrank, die Kleidertruhe, die zig Paar Schuhe für jeden Anlass und das Terrarium mit der Vogelspinne Harley, die fremde Finger gerne biss.
Wieder müsste er Molly fragen, und mit diesem Fazit ließ Zach sich in die Kissen zurückfallen.
Der Raum schwankte wie ein Schiff. Er würde zukünftig mit dem Alkohol kürzertreten.
„Zach!“, tönte Mollys Stimme erneut und er hörte ihre Schritte näher kommen.
Sie