Mörderische Spiele. Michael Bardon
den verwunderten Blicken seiner Kollegen führte Bach die neue Kollegin an den Tisch, rückte ihr galant den Stuhl zurecht und schenkte ihr ein Glas Sprudelwasser ein. Dann fischte er nach den farblich sortierten Mappen, die alle Fotos und Berichte vom Tatort enthielten. Mit einem feierlichen Lächeln übergab er sie an die LKA-Profilerin.
»Wir lassen die Daten der toten Frau gerade durch das System laufen, haben aber noch keinen Treffer gelandet. Schau dir bitte erst alles in Ruhe an und dann sag uns deine Meinung dazu! Wir fünf sind in der Zwischenzeit mucksmäuschenstill und warten, bist du dich durch die Unterlagen durchgearbeitet hast. Nimm dir die Zeit, die du brauchst und wenn du Fragen hast«, er machte eine ausschweifende Handbewegung, »dann frag uns einfach.«
Umständlich setzte er sich wieder auf seinen Platz, nahm seine Brille ab und trank einen Schluck von seinem kalt gewordenen Kaffee. Dass ihn vier Augenpaare verwundert anstarrten, ignorierte er beflissen. Jetzt war einfach nicht der richtige Zeitpunkt für langatmige Erklärungen. Jetzt brauchten sie Fakten und einen Ansatz, bei dem sie mit ihren Ermittlungen anfangen konnten. Beides würde ihnen die großgewachsene, attraktive LKA-Beamtin liefern, da war er sich sicher.
Und dann konnte er endlich loslegen und diesen Scheißkerl jagen. Dieses Mal würde ihm der Täter nicht entkommen!
Dieses Mal würde ihn niemand an der Nase herumführen!
*
Träge schlug sie die Augen auf, unterdrückte ein Gähnen und ließ den Blick durch ihr Verlies schweifen. Im Radio dudelte der Song Move in the Right Direction von Gossip und ihre Zehen zuckten im Takt der Musik mit.
In ihrem Kopf herrschte eine angenehme Stille.
Die letzte Nacht hatte sie ohne Albträume hinter sich gebracht. Sie hatte seit Wochen nicht mehr so gut geschlafen und fühlte sich fit und steckte voller Tatendrang.
Sogar diese verdammten Stimmen, die sie bisher jede Nacht verfolgt, ja regelrecht gepeinigt hatten, waren heute Nacht stumm geblieben.
Sie fühlte sich seltsam ausgeruht, fast entspannt, schon beinahe glücklich. Gemächlich rollte sie sich auf die Seite, zog die Beine an und legte den Kopf auf ihren Oberarm. Der säuerliche Geruch von Schweiß strömte in ihre Nase und sie rümpfte diese angeekelt. Mit der Zungenspitze berührte sie die salzige Haut ihres Oberarms; ihr wurde bewusst, wie klebrig sich ihre Haut anfühlte.
Karl würde ausflippen! Er hasste ungepflegte Frauen. Er würde ihren Körper so lange abschrubben, bis ihre Haut die Farbe eines gekochten Hummers hatte.
In diesem Moment beschloss sie, mehr auf ihre Körperhygiene zu achten. Sie musste sich angewöhnen, nach den schweißtreibenden Versuchen, die Ketten zu sprengen, ihren Körper abzuwaschen und anschließend gut einzucremen.
Gott, wie ich diesen Kokos-Duft hasse, dachte sie und verdrehte angewidert ihre Augen.
Aber Karl schien diesen Geruch zu lieben! Kokos und Mandeln waren eindeutig seine Favoriten. Bei ihr duftete alles nach Kokos. Deo, Duschgel, Haarshampoo, Körperlotion, ja sogar die Handcreme.
Bei Tamara hatte alles nach Mandeln gerochen. Auch diesen Geruch hatte sie irgendwann zutiefst gehasst und als höchst unangenehm empfunden. Doch was konnte sie schon dagegen tun? Karl hatte seine Vorlieben. Sein Wille war hier, in ihrer kleinen Welt, in diesem modrigen Keller, nun einmal das Gesetz. Es nicht zu befolgen, gegen das Gesetz zu verstoßen, war schlicht und einfach tödlich.
Sie schaute auf ihre wundgescheuerten Handgelenke, schaute auf die Kette, die locker von der Wand herab hing.
Wenn Karl wüsste, dass ich jeden Tag meiner Freiheit ein Stückchen näher komme, dann würde er mich auf der Stelle umbringen, dachte sie und ein Gefühl der Angst schnürte ihr die Kehle zu.
Doch so sehr ihr die Angst auch zu schaffen machte, die süße Verlockung, ihre Fesseln für immer abzustreifen war einfach zu groß. Eines Tages, das wusste sie, würde sie es schaffen. Ihre Ketten würden fallen und ihre Pein würde für immer ein Ende haben.
Doch bis dahin war es noch ein weiter Weg. Noch hatten diese verdammten Ketten ihre kalten Krallen um sie geschlungen. Noch verhinderten sie erfolgreich ihren Ausbruch und waren ein Garant für ihre Gefangenschaft.
Ich muss einfach nur geduldig sein. Ich darf mein Ziel nie aus den Augen verlieren, dachte sie und der Anflug eines Lächelns huschte über ihr Gesicht.
Stöhnend wälzte sie sich auf den Rücken und stemmte ihren Oberkörper in die Höhe. Jetzt spürte sie auch den Muskelkater, der sich in jedem Teil ihres Körpers eingenistet hatte. Mit einem gequälten Laut schwang sie die Beine aus dem Bett und stellte sie auf den kühlen Lehmboden. Sie spürte das Zittern in ihren Beinmuskeln. Spürte den heißen Schmerz, der durch ihren gepeinigten Körper raste. Und sie spürte die wilde Entschlossenheit, die ihren Geist beherrschte und ihr verbot, sich einfach wieder hinzulegen.
Mit einer ruckartigen Bewegung stemmte sie sich von ihrem Lager hoch. Ihre Hände schlossen sich wie selbstverständlich um die Kettenglieder und ihre Füße stemmten sich gegen die Wand. Mit einem Aufschrei warf sie sich zurück, zog mit aller Kraft, die sie aufzubringen vermochte, und bog ihren nackten Körper so weit nach hinten, wie sie konnte.
Sie beschloss, noch für eine Stunde mit dieser elenden Kette zu kämpfen. Dann würde sie sich waschen, eincremen und auf Karl warten. Erneut spannte sie ihre Muskeln und drückte sich von der Wand ab. Speichel tropfte aus ihrem Mund, rann ihr über Kinn und Hals und verlor sich zwischen ihren Brüsten. Mit einer wilden Bewegung schüttelte sie ihren Kopf, krallte sich noch fester an die Kettenglieder und riss an ihnen wie von Sinnen.
Aus dem Radio dudelte ein Song von Linkin Park. Sie sang den Text laut mit und beschloss, drei Worte daraus zu ihrem persönlichen Mantra zu machen.
»Burn it down, Burn it down«, schrie sie mit sich überschlagender Stimme und stemmte sich wieder und wieder gegen die starken Glieder der Eisenkette.
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