Mörderische Spiele. Michael Bardon

Mörderische Spiele - Michael Bardon


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schüttelte ihren Körper und die Tränen verwischten ihre akkurat aufgetragene Wimperntusche. Sie rannen als kleiner, schwarzer Bach ihr makellos schönes Gesicht herunter und zerstörte so Karls akribische Arbeit. Er konnte Stunden damit zubringen, ihren Körper zu waschen, einzucremen und zu schminken, bis alles perfekt an ihr war.

      Karl würde bestimmt böse werden, wenn er ihr verheultes Gesicht sah. Er würde sie bestrafen, würde ihr Schmerzen zufügen und sie dann wieder wie eine Puppe waschen und schminken.

      Sollte er doch! Schmerzen bereiteten ihr keine Angst mehr. Dass er sich an ihr verging, daran hatte sie sich schon beinahe gewöhnt. Nein, ihre Angst hieß Einsamkeit. Sie hatte grenzenlose Panik vor den Stunden des Wartens. Vor den Stunden der absoluten Stille und Dunkelheit um sie herum.

      Dann kamen die Geister aus ihrer Vergangenheit, huschten als körperlose Wesen vor ihrem Bett herum und quälten sie mit gemeinen, endlosen Fragen.

      „Wieso hast du das gemacht, Mami? Wir haben dich geliebt, und du hast uns so wehgetan! Warum nur, Maria? Warum … warum … warum …?“

      »Lasst mich endlich in Ruhe!«, schrie sie mit sich überschlagener Stimme. Speichel spritzte auf ihre nackte Haut: »Verschwindet aus meinem Kopf! Geht dahin zurück, woher ihr gekommen seid! Ich hasse euch, ich hasse euch, ich hasse euch.«

      Wann kam dieser psychopathische Karl endlich und erlöste sie von ihren Qualen? Sobald er das Licht in ihrem Verlies einschaltete, gaben die Geister der Dunkelheit auf und verschwanden wieder aus ihrem Kopf. Dann hatte sie für ein paar Stunden Ruhe vor ihnen und konnte ihre Gedanken neu sortieren.

      Aber irgendwann, da war sie sicher, würde Karl nachlässig werden. Er würde einen Fehler begehen, für einen Moment unachtsam sein. Dann würde sie ihre Chance nutzen und alles auf eine Karte setzen.

      Am Ende kann nur einer von uns beiden überleben, das weißt duich weiß es auch. Solange mein Herz noch schlägt, wird dein Tod mein höchstes Ziel sein, dachte sie voller Hass. Dann warf sie ihren Kopf wild hin und her. Ein gemeines Lächeln umspielte dabei ihre Lippen und formte aus ihrem ebenmäßigen Gesicht eine schrecklich verzerrte Fratze.

       *

      Der Pausengong spielte seinen melodischen Vierfachton. Schlagartig setzte der Tumult in meinem Klassenzimmer ein. Achtlos stopften die Schüler Hefte, Bücher und diverse Schreibutensilien in ihre Rucksäcke. Dann schnappten sie sich ihre Jacken und waren auch schon verschwunden.

      »Ich wünsche euch auch noch einen schönen Tag«, rief ich der Meute hinterher. Dann verstaute ich die eigenen Arbeitsunterlagen in meinem nicht mehr ganz zeitgemäßen Camel-Rucksack und ging aus dem Klassenzimmer.

      Sechs Stunden Unterricht lagen hinter mir, doch ich fühlte mich noch immer ausgeruht, entspannt und steckte voller Tatendrang.

      Mit meinen 38 Jahren gehörte ich nicht mehr zu den ganz jungen Lehrern an unserer Schule. Doch ich stand noch mitten im Leben und genoss meine tägliche Dosis pubertierender Jugendlicher.

      Besser noch: Ich hatte selbst zwei von dieser Sorte unter meinem Dach wohnen. Mein Sohn Phil war 15 Jahre, eine wahre Sportskanone und hatte das gute Aussehen und das blonde Haar meiner Frau Mia geerbt. Meine Tochter hieß Julia, war 13 Jahre alt, hatte meine Haarfarbe, dunkelbraun, und entwickelte sich langsam zu einer hübschen Frau.

      Gemeinsam versuchten sie, uns das Leben zur Hölle zu machen und lebten ihre Pubertät in vollen Zügen aus. Doch so sehr sie sich auch bemühten, gegen die Hölle, durch die wir vor gut zwei Monaten gegangen waren, kamen sie einfach nicht an.

      Unsere Nachbarn waren eines Nachts überfallen und brutal ermordet worden. Vergeblich hatte ich noch versucht, ihnen zu helfen, doch ich wurde selbst schwer verletzt und wachte nach einer Operation im Krankenhaus wieder auf. Von da an nahm das Schicksal seinen Lauf. Wir durchlebten mörderische Wochen, in denen unser Leben mehr als einmal in Gefahr war.

      So nach und nach gelang uns das, was der Polizei nicht gelingen wollte: Wir konnten die Täter überführen. Ein unglaubliches Abenteuer lag hinter uns – und es hatte seine unauslöschlichen Spuren hinterlassen.

      Vieles in unserem Leben hatte sich verändert, wir hatten gelernt, dass das Leben viel zu schnell seine Farben wechseln konnte.

      Heute führst du noch ein unbeschwertes, sorgenfreies Leben und in der nächsten Sekunde verändert sich alles. Aus den Guten werden die Bösen. Aus Fremden werden die besten Freunde, aus Weiß wird ein hässliches Grau.

      Nichts ist so veränderlich wie das Leben, nichts ist so endgültig wie der Tod!

      Ich schlenderte durch das Treppenhaus, ging im Erdgeschoss durch die geräumigen Flure und wollte gerade die Tür zum Lehrerzimmer öffnen, als eine Stimme meinen Namen rief: »Herr Bender, äh …äh …, warten Sie doch bitte einmal einen kleinen Moment.«

      Neugierig drehte ich mich herum und sah in das leicht verschwitzte Gesicht meines Schulleiters.

      »Herr Wolf …, was kann ich für Sie tun?«

      »Äh …, Herr Bender, ich wollte einmal äh … etwas mit Ihnen besprechen. Ist nur so eine äh …äh … Idee von mir, und ich wollte Sie äh … um Ihre Meinung äh … dazu bitten.«

      »Schießen Sie los!«

      »Ja also äh …äh …, kennen Sie das Spiel äh … Geocaching?«

      »Hab es erst vor zwei Wochen mit meiner Familie gespielt«, sagte ich vorsichtig.

      »Ich habe es äh … letztes Wochenende kennengelernt und äh … bin begeistert davon. Soviel Spaß äh … äh … hatte ich im Wald seit meiner Kindheit äh … nicht mehr. Man braucht dazu äh … zwar so ein neumodisches äh … Gerät, aber die äh … könnten wir uns ja ausleihen, nicht wahr?«

      »Was Sie meinen, nennt sich Smartphone, und so ein Ding hat heutzutage fast jeder in der Tasche stecken!«

      »Besitzen äh … Sie auch so ein Gerät?«, wollte mein Schulleiter nun von mir wissen.

      »Ja, warum fragen Sie?«

      »Ich dachte mir äh …äh …, dass wir den Wandertag am äh … Donnerstag ausfallen lassen und stattdessen äh … mit den Schülern im Wald dieses Geocaching spielen«, sagte er und strahlte mich dabei aus glänzenden Augen an.

      Ich überlegte kurz, was ich über diesen neuen Volkssport wusste? Bei Geocaching verstecken wildfremde Menschen einen Gegenstand. Dies konnte eine kleine Figur aus einem Überraschungs-Ei sein oder auch ein Zettel mit einer Nachricht. Der Fantasie waren hierbei keine Grenzen gesetzt – das Ganze war richtig spannend.

      Meistens markierten die Spieler ihr Versteck mit einem weißen Kreuz und meldeten dann die Koordinaten mit Hilfe eines kleinen Programms, einer App, dem Veranstalter. So hatte sich eine moderne Form der altbekannten Schnitzeljagd entwickelt. Es gab Millionen von Verstecken, die sich über die ganze Welt verteilten. Ein schönes Spiel, das man bei einem Spaziergang in der freien Natur spielen konnte, wenn man ein Smartphone mit GPS-Funktion besaß.

      »Super Idee, Chef! Das wird den Kids bestimmt besser gefallen als nur von A nach B zu laufen«, meinte ich anerkennend.«

      »Dachte ich mir äh … äh … auch, dachte äh … ich mir auch!«

      »Dann wollen wir mal den lieben Kollegen von Ihrer Idee erzählen. Ich bin sicher, dass einige vor Begeisterung von ihren Stühlen fallen«, sagte ich und öffnete, voller Vorfreude, die Tür zum Lehrerzimmer.

      3

      Er saß regungslos unter einem Baum und beobachtete aufmerksam seine Umgebung. Der Regen fiel in dünnen Fäden vom Himmel und erzeugte ein nervöses Trommeln auf dem Dach aus Blättern, das ihn umgab. Noch hatte niemand die Frauenleiche gefunden, die er so sorgsam in Szene gesetzt hatte. Das Wetter war wohl momentan einfach zu schlecht für ausgedehnte Waldspaziergänge.

      Ein verächtlicher Zug legte


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