Mörderische Spiele. Michael Bardon

Mörderische Spiele - Michael Bardon


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du recht. Die Chance, so etwas zu überstehen, dürfte ziemlich gering sein«, nickte ich, »deine Mutter hat einfach nicht aufgepasst und ist über ein paar Schuhe gestolpert. Lasst euch das für die Zukunft bitte eine Lehre sein und stellt eure Treter gefälligst dorthin, wo sie hingehören. Wir haben da draußen im Flur«, ich deutete mit meinem Daumen über meine Schulter, »einen wunderbaren Garderobenschrank, der sich über jeden einzelnen eurer Schuhe freut. Die nächsten, die in der Gegend herumliegen, landen im Müll. Alles klar?«

      »Na, da werden sich deine neuen Sportschuhe aber freuen, wenn sie demnächst Gesellschaft bekommen. Die habe ich nämlich vorhin in der Mülltonne entsorgt. Ich staune immer wieder, wie einig wir uns beim Thema Bestrafen sind, mein Schatz«, meinte Mia, schürzte ihre Lippen und nickte dazu anerkennend mit dem Kopf.

       *

      Was war denn heute nur los? Warum kam er nicht? Hatte er sie etwa vergessen? Oder war er bei dem Versuch, eine Frau zu entführen, verhaftet worden? Doch was würde dann aus ihr? Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass dieser verblendete Psychopath seinen Unterschlupf preisgeben würde.

      Wenn sie ihn wirklich geschnappt haben, bin ich schon so gut wie tot, dachte sie und ein Gefühl der Hilflosigkeit schnürte ihr die Kehle zu. Andererseits wollte sie auf keinen Fall von der Polizei gerettet werden. Lieber würde sie hier in ihrem einsamen Verlies sterben!

      Wenn Karl mich nicht in dieser schrecklichen Nacht aus der Garage verschleppt hätte, dann säße ich jetzt in irgendeinem Gefängnis und würde auf meine Verhandlung warten, schoss es ihr durch den Kopf.

      »Da bin ich hier schon besser dran. Hier habe ich eine reelle Chance, irgendwann zu entkommen. Im Gefängnis würde ich für den Rest meines Lebens sitzen und wie ein Zombie vor mich hinvegetieren!«, murmelte sie gedankenverloren.

      Warum kam der blöde Sack nicht? Warum kümmerte er sich nicht um sie?

      Eine Flut von Gefühlen tobte in ihren Eingeweiden und Tausend Würmer schienen durch ihre Gedärme zu kriechen. Keine Frage, sie hasste diesen verrückten Spinner und wünschte sich nichts sehnlicher, als ihn zu erwürgen. Auf der anderen Seite vermisste sie ihn, wenn er nicht bei ihr war. Was war nur los mit ihr? Was lief in ihrem Kopf denn falsch?

      Dieser Karl hielt sie gefangen wie ein exotisches, wildes Tier. Er fügte ihr Schmerzen zu, hatte eine Frau vor ihren Augen getötet und erniedrigte sie pausenlos.

      Und trotzdem empfand sie so etwas wie Zuneigung für ihn! Er nannte sie liebevoll seine Nummer 1. Noch nie hatte ein Mann ihren Körper mit so viel Hingabe bewundert. Karl konnte der zärtlichste Mann sein, den sie kannte. Doch seine zarte Sanftheit konnte jederzeit in brutale Gewalt umschlagen.

      Das war das Problem an ihm. Man konnte seine Launen nicht vorhersagen, er ließ sich auch nicht manipulieren. Er verhielt sich wie ein ungezügeltes Tier. In der einen Sekunde sanft wie ein Lamm und in der nächsten tödlich wie ein Skorpion.

      Sie schätzte ihn auf Anfang fünfzig. Doch er hatte den Körper eines jungen Mannes. Seine Muskeln waren hart, stark und austrainiert. Seine Hände waren die eines Arbeiters, rau und schwielig. Sein Körper war mit unzähligen kleinen Narben überzogen und seltsam vorstehende Froschaugen beherrschten sein wimpernloses Gesicht.

      »Wann kommst du endlich, du blöder Arsch?«, schrie sie unvermittelt laut auf.

      Die Geister der Dunkelheit redeten seit Stunden auf sie ein, bestürmten sie mit Fragen und zogen sie Sekunde für Sekunde auf einen Abgrund aus Verzweiflung und Wahnsinn zu.

      Ein rotglühender Punkt leuchtete in der Schwärze des Nichts, gewann an Intensität und verschwand so plötzlich, wie er gekommen war. Irritiert hielt sie die Luft an und lauschte in die Stille der Dunkelheit.

      Hatte sie eben etwas gehört?

      »Bist du das, Karl?«, fragte sie mit unsicherer Stimme.

      Nichts! Kein Laut drang an ihre Ohren, nur die Stimmen in ihrem Kopf redeten unaufhörlich auf sie ein. Der feine Geruch von Tabak zog in ihre Nase, umhüllte ihre Sinne und kroch in ihr Bewusstsein.

      Er ist da, dachte sie und konnte seine Anwesenheit mit einem Male spüren.

      »Wo warst du so lange? Ich habe auf dich gewartet«, flüsterte sie erleichtert.

      »Ich hatte viel zu erledigen, Nummer 1, viel zu erledigen.«

      Müde schloss sie die Augen und fing an sich zu entspannen. Die Geister der Dunkelheit zogen sich zurück. Die Stimmen ihrer Vergangenheit wurden leiser und leiser, bis sie schließlich ganz verstummten.

      4

      »Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.«

      »Amen«, seufzte ich, spitzte die Lippen und blies geräuschvoll die Luft aus meinem Mund.

      »Gehet hin in Frieden und achtet bitte gut auf die Geschöpfe des Waldes. Auch sie sind Gottes Kinder und verdienen es, in Frieden leben zu können. Der Herr ist unser Hirte und möge uns sicher und wohlbehalten wieder nach Hause führen.«

      »Schöne äh … Predigt«, sagte mein Schulleiter und lächelte versonnen.

      »Und so kurzweilig«, flüsterte ich leise zurück.

      Leider konnte ich einen sarkastischen Unterton in meiner Stimme nicht ganz verbergen, was meinem Schulleiter aber nicht weiter auffiel.

      Es war Donnerstag, Wandertag oder besser gesagt: Geocaching-Tag. Mein Schulleiter und ich hatten uns gegen die Bedenken zahlreicher Kollegen hinweggesetzt und unseren Geocaching-Tag ins Leben gerufen.

      Allerdings hatten wir uns überzeugen lassen und die Jahrgangsstufen fünf bis sieben von der Veranstaltung ausgenommen. Um genügend Aufsichtspersonen zusammenzubekommen, hatten wir auf unseren Hausmeister, einige Mütter aus dem Elternbeirat und den Religionslehrer, Pfarrer Milch, zurückgreifen müssen.

      Der Pfarrer hatte spontan zugestimmt und die Möglichkeit ergriffen, einen kleinen, knapp eine Stunde dauernden Gottesdienst abzuhalten. Getreu nach dem Motto Des einen Leid ist des anderen Freud hatten wir unsere Wanderschaft in den Wald unterbrochen und einen Abstecher zu Pfarrer Milchs Kirche unternommen.

      »Alle mal äh … herhören«, rief unser Schulleiter und erklomm dabei die Treppenstufen zum Altar. Von seiner nun etwas erhöhten Position war er für jeden gut sichtbar.

      »Wir machen es äh …äh … jetzt so wie besprochen. Teilt euch bitte in eure äh … Klassenverbände auf und lauft gemeinsam äh … äh … zu eurem Ausgangspunkt. Wir treffen uns äh … alle wieder um 16 Uhr hier in äh … der Kirche, wo Pfarrer äh … Milch den Tag dann mit einer kleinen Danksagung beendet.«

      Allgemeines Gemurmel setzte ein, doch unser Schulleiter fuhr unbeirrt mit seiner Rede fort: »Ich wünsche euch äh … äh … eine erfolgreiche äh … Schnitzeljagd und dass mir äh … ja keine Klagen über euer Benehmen im Wald zu Ohren kommen«, fügte er hinzu.

      Ich stand bei meiner Klasse und schaute fragend in die Runde.

      »Wie oft?«

      »Zwölf Mal!«

      »Wer war am nächsten dran?«

      »Domi mit Dreizehn.«

      »Alles klar, Dominik, dann bist du also heute unser Anführer. Glückwunsch, mein Lieber!«, sagte ich und klopfte dem Jungen kameradschaftlich auf die Schulter.

      Unser Schulleiter hatte einen kleinen Sprachfehler. Er dachte viel schneller als er sprechen konnte und musste dann seine Sätze mit einem äh … auffüllen. Eine kleine Marotte, die wir aber alle an ihm liebten. Und die stets bei einer seiner Reden Anlass für eine kleine Wette abgab.

      In unserem Fall hatte Dominik mit der geschätzten Anzahl der Äh-Pausen am nächsten gelegen; sein Preis war die Rolle des Anführers unserer knapp 30 Mann starken Truppe.

      »Ok,


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